Polen | Polen: In dieser Ukraine-Politik dreht Warschau nicht mehr mit am großen Rad

Premier Tusk war auf der Berliner Konferenz des Friedrich Merz mehr ein Statist. Will Polen die alten Affinitäten zu Amerika pflegen, müsste es sich in der Russland-Politik bewegen. Das gebietet schon die neue US-Sicherheitsstrategie


Polen wird jener Staat sein, der von künftigen Ukraine-Agreements mit am stärksten betroffen ist. Wurde das genügend beachtet?

Foto: Kay Nietfeld/Getty Images


Zwar war Premier Donald Tusk auf der großen Berliner Ukraine-Bühne jüngst zugegen, aber das traf ebenso auf sieben weitere EU-Staaten sowie Norwegen und Großbritannien zu. Was sie als Abschlussdokument bezeichnet haben, lässt sich je nach Sicht als Verhandlungs- oder Verhinderungsbeitrag zu einem möglichen Frieden betrachten.

Aber nicht nur wegen der zweifelhaften Erfolgsaussichten der benannten Forderungen wirkte Polens Regierungschef auf dem Gruppenfoto wie ein Statist. Was zu diesem Zeitpunkt vorlag, trug vor allem die Handschrift der E3-Gruppe aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die zuvor in mehreren Gesprächsrunden den Ton angaben.

Wurde genügend beachtet, dass Polen jener Staat sein wird, der von künftigen Ukraine-Agreements mit am stärksten betroffen sein wird? Man denke an erneute Flüchtlingsströme, Sicherheitsgarantien oder die Modalitäten für Kiews Annäherung an die EU. Dass die Stimme Polens dazu im europäischen Chor verhallt, hat mehrere Gründe. Da ist zum einen die über Jahre gepflegte US-Nähe, die zuweilen kniefällig daherkam, aber zugleich pragmatisch ausfiel.

So hat Warschau einen Großteil der seit Februar 2022 gekauften Waffen in den USA geordert, während europäische Hersteller kaum berücksichtigt wurden. Ebenso setzte man beim Einstieg in die Atomenergie auf einen amerikanischen Konzern. Die gestiegene Abhängigkeit von US-Flüssiggas tat ein Übriges. Dies und anderes sollte helfen, eine Dauerpräsenz von US-Truppen in Polen zu erwirken. Dass es sich um Wunschdenken handelte, wurde erst allmählich begriffen.

Was hat es mit der Vorzugsbehandlung Polens durch die USA künftig auf sich?

Beobachter in Warschau mutmaßen, das Fehlen Polens bei der E3-Gruppe sei weniger einem zu geringen außenpolitischen Gewicht zu verdanken als vielmehr den wachsenden Vorbehalten in der polnischen Bevölkerung gegenüber einem Engagement für die Ukraine. Die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für einen Einsatz zugunsten Kiews „drängt uns aus einer Position als regionaler Anführer an den europäischen Rand“, schreibt Michał Szułdrzyński, Chefredakteur der Zeitung Rzeczpospolita. Freilich habe man Einfluss auch deshalb verloren, weil alle politischen Lager in Polen erklärten, dass keine eigenen Truppen für eine etwaige Militärmission in die Ukraine entsandt werden sollten.

Dass dies letztlich nur in Maßen ein Grund für Polens Bedeutungsverlust sein kann, da Russland ohnehin keine Militärs aus NATO-Staaten in der Ukraine akzeptiert, wird in Warschau kaum zur Kenntnis genommen. Alle wollten mehr Mitspracherechte in Sachen Ukraine, ließ Anfang Dezember Außenminister Radosław Sikorski durchblicken und teilte mit, man habe gemeinsam mit Norwegen und Deutschland im Rahmen des NATO-Programms Prioritized Ukraine Requirements List (PURL) eine Finanzzusage von 100 Millionen Euro für Waffenkäufe zugunsten der Ukraine in den USA gemacht. Die drei Länder brächten in der Summe 500 Millionen Euro auf. „Ich hoffe, die Amerikaner sehen dies“, so Sikorski. Gewiss werden sie das registrieren, jedoch deshalb Polen kaum als herausgehobenen Partner hofieren.

Wie der renommierte Geostratege Jacek Bartosiak anmerkt, hofften Polens politische Eliten auch nach der Verkündung der neuen US-Sicherheitsstrategie weiterhin auf eine wohlwollende Behandlung durch die Amerikaner. „Die Reaktion der polnischen Politik ist vorhersehbar – man poliert die Beziehungen zu den USA in der Erwartung, dass diese irgendwann wieder silbern glänzen“, so Bartosiak. Die Regierung Tusk habe sich bislang noch nicht damit abgefunden, dass die Amerikaner längst eine andere Strategie verfolgen. Dies sei eine, in der künftig nicht nur die Interessen der Ukraine, sondern auch jene Polens zur Verhandlungsmasse bei der Neujustierung der Beziehungen zwischen Washington und Moskau werden könnten.

Dass westliche Truppen in die Ukraine verlegt werden, ist doch stark in Zweifel zu ziehen

Immerhin wollte Donald Tusk nach den Gesprächen in Berlin seine Skepsis nicht verhehlen, ob die dort vertretenen Position einen Realitätstest bestehen. „Offen bleibt die Frage der eventuellen Gebietsabtretungen. Es ist klar, dass dies sehr schwierig ist und von der Ukraine eine sehr ernsthafte Reflexion verlangt.“ Und ob etwaige westliche Truppen dorthin verlegt werden könnten, sei doch ebenfalls in Zweifel zu ziehen. Würde Tusk diesem Realismus mehr Geltung verschaffen, anstatt das Gegenteil davon zu unterzeichnen, könnten Polens Rolle und Einfluss in Europa demnächst eventuell wieder zulegen.