„Passage“: Ausgerechnet am Hermannplatz – Berlins ungewöhnlichster Kunstort – WELT
Es gibt einen neuen Kunstort in Berlin, oder genauer gesagt unter Berlin. Auf dem Bahnsteig der U7 im Umsteigebahnhof Hermannplatz eröffnete im Mai 2024 die „Passage“, ein in Metall gefasster, grüner Glaskasten. Initiiert von dem jungen Schweizer Kurator Victor Auberjonois.
Bei dieser Passage handelt es sich im Wesentlichen um die Zweckentfremdung eines von den Verkehrsbetrieben vermieteten Werbekastens, an dem jeden Tag Zehntausende Menschen vorbeieilen. Öffentliche, regelmäßig wechselnde Installationen, wo man sonst nur hastet oder wartet. Eine geniale Idee, und so niedrigschwellig wie ein Kunstort nur sein kann.
Unter dem quirligen Hermannplatz, an dem die Berliner Stadtteile Kreuzberg und Neukölln aufeinandertreffen, stellt als Erster der 1968 geborene Konzeptkünstler Christian Jankowski aus. Er zeigt ein Schloss aus rotem Neon, in wackeligen, etwas verrutschten Linien: „Luftschloss Roter Tempel“ aus dem Jahr 2022.
Der Künstler hatte auf der Baustelle des Kunst-Boutique-Hotels „Chateau Royal“ beschäftigte Arbeiter gebeten, ein imaginäres Schloss ihrer Träume zu zeichnen, ähnlich jenem, das Unter den Linden als Humboldt Forum rekonstruiert wurde und das wiederum den Palast der Republik ersetzte.
Wie immer bei Jankowski werden die Mechanismen des Marktes im Werk thematisiert: Die Arbeiter wurden nach ihrem üblichen Lohn für das Zeichnen bezahlt und sind am Verkaufserlös (Preis auf Anfrage) der leuchtenden Immobilie prozentual beteiligt, ähnlich wie ein Architekt. Die Ausstellung „Luftschloss Underground“ eröffnete symbolisch am Tag der Arbeit, dem 1. Mai.
Als zweite Ausstellung wird ab 4. Juni 2024 ein Werk von Johannes Seluga zu sehen sein. Es ist ein vielversprechender und selbstironischer Auftakt für die Initiative: Denn unter einem Luftschloss, so steht es bei Wikipedia, „versteht man eine Vorstellung oder einen Plan von etwas, das man sich ersehnt, herbeiwünscht oder erträumt, das aber bei vernünftiger Betrachtung nicht realistisch ist“.
Dass man zeitgenössische Kunst in die berüchtigte Berliner U-Bahn bringen kann, diese Vision wird hoffentlich kein Traum bleiben.
Source: welt.de