OSZE in Zeiten des Krieges: Ein Stachel im Fleisch von Despoten

Das Jahr 2025 hätte ein Jubeljahr für die größte regionale Sicherheitsorganisation der Erde sein können. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde 50. Mit 57 Teilnehmerstaaten auf drei Kontinenten, „von Vancouver bis Wladiwostok“, ist sie eine Plattform, auf der sämtliche Staaten und Nachfolgestaaten der einstigen Blockauseinandersetzung bis heute gemeinsam stehen.

Sie geht auf die Schlussakte von Helsinki zurück, in der sich die Teilnehmer 1975 auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs auf wichtige Prinzipien wie Souveränität und Gewaltverzicht, Wirtschaftskooperation und Achtung der Menschenrechte einigten – und vertraglich festlegten.

Aber das Jahr ist vergangen, ohne dass über den kleinen Kreis diplomatisch Interessierter hinaus Notiz davon genommen worden wäre. Es liegt auf der Hand, dass der Raubkrieg Russlands gegen sein Nachbarland Ukraine das Jubiläum verhagelt hat. Aber die Probleme der Organisation liegen tiefer und gehen darüber hinaus. Der Multilateralismus ist insgesamt in die Krise geraten. Die Abkehr der Vereinigten Staaten unter Donald Trump von diesem Prinzip ist nur der stärkste Ausdruck dieser Entwicklung.

Es ging und geht nicht nur um Sicherheit

Sinnbildlich hat Finnland dieses Jahr den wechselnden Vorsitz der OSZE übernommen. Also das Land, in dessen Hauptstadt vor einem halben Jahrhundert eine „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ getagt hatte. Die Schlussakte von Helsinki war nicht nur für das Thema Sicherheit im engeren Sinn von Bedeutung, auch wenn sie wichtige Festlegungen und Absichten zur Rüstungsbegrenzung und -kontrolle enthielt.

Es gab zwei weitere „Körbe“ an Themen. Der eine zielte auf Handel und Wissensaustausch zwischen den Blöcken. Diese Dimension war der damaligen Sowjetunion besonders wichtig.

Der dritte „Korb“ enthielt individuelle Menschenrechte. Die Machthaber der kommunistischen Diktaturen im Osten Europas mögen gedacht haben, das sei ein billiges Zugeständnis, schließlich standen entsprechende Postulate auch in den Verfassungen ihrer Staaten. Aber couragierte Bürger fingen an, auf diese Rechte für sich zu pochen, und brachten ihre Regime in Moskau, Prag, Ost-Berlin und anderen Hauptstädten in Verlegenheit und am Ende in Wanken. Es gab weitere Faktoren für deren Zusammenbruch, aber für die zumeist „samtene“ Art der Revolutionen war die Zivilgesellschaft, die durch den KSZE-Prozess ermutigt worden war, entscheidend.

Für Menschenrechte und Medienfreiheit

Es ist folglich kein Wunder, dass das auch heute noch all jenen Machthabern ein Stachel im Fleisch ist, die es mit Demokratie und Menschenrechten nicht so genau nehmen, weil das ihre Herrschaft unterminiert. Das gilt nicht nur in Moskau, sondern auch in Hauptstädten wie Minsk (Belarus) oder Baku (Aserbaidschan). Die KSZE ist nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht aufgegeben worden, sondern wurde zu einer Institution verfestigt und in OSZE umbenannt. Sie hat ein Generalsekretariat in Wien, wo in der Hofburg zudem wöchentlich ein Ständiger Rat mit Vertretern aller Teilnehmerstaaten tagt.

Außerdem gibt es Büros und Beauftragte, die sich vor allem auf Aufgaben des „dritten Korbs“ von Helsinki beziehen: für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau, für nationale Minderheiten in Den Haag und für Medienfreiheit in Wien. OSZE-Wahlbeobachter haben Maßstäbe gesetzt für die Überwachung und Beurteilung demokratischer Abstimmungen. Es gab Missionen in Konflikten – auch in der Ukraine bis zum offenen Überfall durch Russland.

Segen und Fluch: Das Einstimmigkeitsprinzip

Das Prinzip der OSZE ist, dass Beschlüsse nur einstimmig gefällt werden. Das ist eine Stärke, weil sie dann für alle als verbindlich angesehen werden können, aber natürlich in dem Moment auch eine Schwäche, in dem das Prinzip zur Lähmung missbraucht wird. So war es zunehmend in den vergangenen Jahren. Die OSZE wirtschaftet immer noch auf der Grundlage eines Budgets von vor fünf Jahren, weil seither kein neues beschlossen werden konnte. Auch auf dem Ministerrat zum Abschluss dieses Jahres gab es keine generellen Beschlüsse außer dem, eine Kontaktgruppe aufzulösen, die sich seit Jahrzehnten mit dem (nun ohne OSZE-Beteiligung beigelegten) Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien befasste.

Russland hat aber bisher auch unter Putin nicht eine durchgehend destruktive Rolle gespielt. Außenminister Sergej Lawrow war der treueste Besucher auf den jährlichen Ministerräten. Und im Ständigen Rat pflegen die russischen Vertreter, wie langjährige Teilnehmer anderer Staaten erzählen, auch bei scheinbar randständigen Themen perfekt vorbereitet zu sein – und eine Agenda zu haben.

Dieses Jahr wurde Finnland, seit der Zeitenwende Mitglied der NATO, von Moskau weitgehend geschnitten. Obwohl der Ministerrat extra nicht wie üblich in der Hauptstadt des Vorsitzlandes abgehalten wurde, sondern in Wien, blieb Lawrow fern – der amerikanische Außenminister Marco Rubio allerdings auch. Die scheidende Vorsitzende, Finnlands Außenministerin Elina Valtonen, hielt dort mit Kritik an „Russlands Angriffskrieg“ nicht hinter dem Berg. Er habe „die Grundpfeiler der Sicherheit der gesamten OSZE-Region erschüttert und die Arbeit der Organisation behindert“.

Ihr Nachfolger, der Schweizer Bundesrat Ignazio Cassis, gab für die kommende Präsidentschaft seines Landes ein dialektisches Motto aus: „Wenn Diplomatie unmöglich erscheint, wird sie unverzichtbar.“ OSZE-Generalsekretär Feridun H. Sinirlioğlu, ein türkischer Diplomat, gab einen Ausblick auf eine Rolle, die die In­stitution trotz allem einnehmen kann: Die Gründer hätten „bewiesen, dass selbst in den düstersten Momenten ein Dialog möglich ist, auch und gerade zwischen Gegnern – wenn es dafür Raum gibt. Die OSZE bleibt dieser Raum.“

Source: faz.net