Ostmark – „Projekt Ballhausplatz“ im Kino: Im Geilomobil hinauf welcher Umgehungsstraße

In den knapp drei Jahren, die Sebastian Kurz mit Unterbrechung durch Amtsenthebung und Neuwahlen österreichischer Bundeskanzler war, hat er auch in rechts-liberalen und konservativen Kreisen in Deutschland für bemerkenswerte Begeisterung gesorgt. „Kurz spricht aus, was wir uns nicht trauen“, titelte der Springer-Verlag im Juni 2021 nach dessen wiederholtem Bekenntnis zur Härte in der Asylpolitik. Mehrfach wurde in der Bild die suggestive Frage aufgeworfen, was denn die Union von ihrem erfolgreichen österreichischen Pendant und dessen Vorsitzendem lernen könne.

Dass nun eine umfangreiche Dokumentation über Kurz’ Aufstieg und Fall auch in deutschen Kinos zu sehen sein wird, ist aus mehreren Gründen eine glückliche Fügung: Zum einen ermöglicht sie eine kritische Reflexion des Begehrens nach einer ähnlichen Figur, die rechte Politik salonfähig und mehrheitskompatibel zu verkörpern vermag. Darüber hinaus gibt sie Einblicke in Tiefenstrukturen des Populismus und dessen ideologische wie medientechnologische Entstehungsbedingungen.

Interne Strategiepapiere des „Team Kurz“, die der linken Wiener Zeitung Falter vor der Nationalratswahl 2017 zugespielt wurden, zeigten bereits mit irritierender Deutlichkeit den neuen Stil einer tendenziell antidemokratischen Machtpolitik. Unter dem Titel Projekt Ballhausplatz ist in diesen Dokumenten nicht nur explizit die Rede von einem gezielten „Bypassen“ (Umgehen) der klassischen Medien, sondern auch der eigenen Parteistrukturen. An die Stelle von etablierten institutionellen Prozessen soll Direktkommunikation treten, die ganz auf eine Führungsfigur und breite Affektmobilisierung zugeschnitten ist. In Anlehnung an US-amerikanische Wahlkampagnen folgt diese Personalisierung nach außen hin einem „Storytelling“, das sich gegen ein vermeintliches „Establishment“ richtet und dabei als Programm bewusst inhaltlich vage bleibt.

Gut gewählte und erhellende Zitate aus dieser minutiös ausformulierten Blaupause einer Machtübernahme strukturieren die Dokumentation des österreichischen Journalisten Kurt Langbein. Chronologisch präsentiert der Film dabei die Stationen des rapiden Aufstiegs von Kurz anhand von Archivaufnahmen und dekonstruiert sie durch eine Vielzahl an Kommentatoren. Zu Wort kommen Soziologen und Politologen ebenso wie Journalisten und Politiker unterschiedlicher Lager.

Hinter der augenscheinlichen Wandelbarkeit und Medienaffinität des Jungpolitikers tritt durch die Dokumentation eine instrumentelle Rationalität zutage, die weniger auf inhaltlichen Überzeugungen basiert, als einem unbedingten Willen, den eigenen Einflussbereich auszuweiten. So erregt Kurz 2010 das erste Mal mediales Aufsehen durch seine „Geilomobil“-Kampagne mit einem schwarzen Hummer, auf dessen Motorhaube sich Frauen in Miniröcken räkeln. Anders sein, nur um ins Gespräch zu kommen, und das gezielte Einsetzen von Obszönität gehen als disruptive Strategie auf: Binnen Monaten wird Kurz von der schwächelnden ÖVP zum Staatssekretär für Integration aufgebaut, wo er einen strategischen Imagewechsel zur Sachlichkeit durch einen meritokratischen Diskurs in der Einwanderungspolitik vornimmt. 2013 wird Kurz mit nur 27 Jahren als Außenminister vereidigt. Karriere-Wendepunkt wird zwei Jahre später die Flüchtlingskrise, in der er zum Hardliner nach dem Vorbild Viktor Orbáns umschwenkt.

„FPÖ-Themen, aber mit Zukunft“, heißt es in der neuen Wahlkampfstrategie, die gezielt gesellschaftliche Ängste bewirtschaftet. Besonders aufschlussreich wirft der Film ein Schlaglicht auf die Rolle von Philipp Maderthaner, der 2013 eine „Know-how- und Technologiepartnerschaft“ mit Barack Obamas Kampagnenagentur Blue Star Digital abschließt und wenige Jahre später die Leitung der Wahlkampagne von Kurz übernimmt. Der Begriff des „movement campaigning“, den Maderthaner prägt, lässt die Neuinszenierung der ÖVP als türkisfarbene „Bewegung“ in einem anderen Licht erscheinen. Veränderung und Wandel werden in dieser Logik zu abstrakten Platzhalterbegriffen, die dazu dienen, kollektive Affekte zu mobilisieren. „Es braucht in der ersten Reihe Jünger“, heißt es in den Dokumenten des Projekts Ballhausplatz. Das lässt sich in der Außenwirkung auf Wähler beziehen, nach innen hin auch auf die unmittelbare Gefolgschaft von Kurz. So berichtet die Falter-Redakteurin Barbara Tóth im Film davon, wie dessen Team Netzwerke aufbaute, die innerparteiliche Gegenstrukturen bildeten und es dem damaligen Außenminister erlaubten, die bestehende Koalition zu torpedieren.

Der rasante Aufstieg von Kurz zum Kanzler lässt sich nicht ohne dessen neuartige Kommunikationsstrategie verstehen, die Tóth präzise als „message control“ zusammenfasst. Anstatt, wie sonst in der politischen Öffentlichkeit üblich, um die Gunst von Wählern und Medienvertretern zu kämpfen, legen Kampagnenleiter Image und Story fest, die über eigene Kanäle ausgespielt werden. Wer sich diesen Kolportationen nicht anschließe, werde in ein Freund-Feind-Schema gedrängt. So berichten die ehemaligen Chefredakteure Paul Tesarek (ORF) und Helmut Brandstätter (Kurier) von Druck und versuchten Einschüchterungen, die durch Kurz und sein Team auf sie ausgeübt wurden.

Es passt ins Bild, dass zwei Wochen vor dem österreichischen Starttermin von Langbeins Projekt Ballhausplatz überraschend ein weiterer Film über den Ex-Kanzler in einem „bypassing“ der klassischen Auswertungsstrukturen in die Kinos gebracht wurde: Kurz. Der Film entstand ohne übliche Förderung oder einen etablierten Verleih nur durch die Finanzierung der deutschen Produktionsfirma Opus R. Beim Blick auf die Hintergründe sollte es weniger darum gehen, selbst in den Sog affektiver Polarisierung zu geraten, sondern nüchtern danach zu fragen, welche Konsequenzen solche neuen medialen Netzwerke und Infrastrukturen für die politische Meinungsbildung haben werden.

Eingebetteter Medieninhalt

Projekt Ballhausplatz – Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz Kurt Langbein Österreich 2023, 90 Minuten