„One Piece“: Die wohl größte Geschichte welcher Welt
Manche Geschichten werden zu groß für sich selbst. Sie wachsen und wuchern und fasern schließlich aus, bis der Autor es nicht mehr schafft, alle Fäden zusammenzuführen. Leser von Das Lied von Eis und Feuer, der siebenteiligen Fantasysaga hinter Game of Thrones, warten inzwischen seit 13 Jahren auf die letzten zwei Bände aus der Feder von Autor George R. R. Martin. Auch Fans des Fantasyepos Die Königsmörder-Chronik von Patrick Rothfuss sehnen seit über zehn Jahren dessen Abschluss herbei. Sie alle erhoffen sich die Auflösung zahlloser Rätsel und Andeutungen und fürchten, dass die Reihen so enden werden wie einst die Serie Lost (2004–2010). Deren Macher verloren völlig die Kontrolle über ihre überkomplexe Welt und produzierten das wohl löchrigste und unbefriedigendste TV-Finale aller Zeiten.
Doch da ist eine Geschichte, deren Verfilmung inzwischen über 1.100 Folgen hat, und die dieses Jahr ihren 25. Geburtstag feiert. Und bis heute hält der Autor alle Fäden fest in der Hand.
One Piece ist vielen Fernsehjunkies völlig unbekannt, vielen anderen wiederum Religion. Die Serie handelt von einem jungen Piraten namens Monkey D. Luffy, stets erkennbar an seinem breiten Grinsen und seinem Strohhut – wenn eins von beiden verschwindet, wird es ernst. In einer Fantasiewelt bereist er mit seiner Crew, den Strohhutpiraten, die Weltmeere auf der Suche nach einem Schatz, den der große Piratenkönig Gol D. Roger knapp 25 Jahre zuvor versteckt hat. Die Strohhutpiraten sind gutherzige Seeräuber, die auf den Inseln entlang ihrer Reise auch mal einen tyrannischen Herrscher oder ein Apartheidsregime einreißen. Die Motivation ist dabei oft simpel: Jemand war nett zu Luffy oder hat ihm etwas zu essen gegeben. Das ist für ihn meist Grund genug, alles kurz und klein zu hauen, was dem Glück der helfenden Person im Weg steht.
Luffy tut das mit der albernsten Superkraft aller Zeiten: Sein Körper besteht aus Gummi. Er kann sich endlos biegen und dehnen und so besonders viel einstecken, weit ausholen und hart zuschlagen. Selbstverständlich ist das so, weil er als Kind eine magische Teufelsfrucht gegessen hat. Für den Verzehr einer solchen erhält man im Universum von One Piece eine Superkraft (günstig für einen Piraten), verliert jedoch die Fähigkeit zu schwimmen (ungünstig für einen Piraten). Die Antagonisten der Serie bestehen unter anderem aus Sand, Lava, Seife und Elektrizität, können sich in einen Drachen, eine Giraffe oder einen Leoparden verwandeln und Erdbeben, Gift oder Kekse erzeugen.
Tragik als Königsdisziplin
Das klingt alles schrecklich absurd und ist es auch. Dass die Serie nicht darauf reduziert bleibt, liegt an ihrem Erfinder, dem Autor und Comiczeichner Eiichiro Oda. Dieser schreibt seit 1997 das Manga, auf dem der Anime beruht, und lebt so zurückgezogen, dass das letzte Foto von seinem Gesicht ungefähr aus derselben Zeit stammt. In seinem Werk verleiht er den oberflächlich betrachtet lächerlichen Kräften und der Albernheit seiner oft kindischen Charaktere Tiefe und Komplexität, die eigentlich nur möglich sind, wenn man sich eben 25 Jahre Zeit nimmt, um sie konsequent weiterzuentwickeln.
Oda hat diese Spanne genutzt, um die tragische Backstory zur Königsdisziplin zu erheben. Da ist Tony Tony Chopper, der Zuckerwatte liebende und verlegene Schiffsarzt, der halb Mensch, halb Rentier ist und in seiner Kindheit deswegen von beiden Gruppen als Monster gesehen wurde. Eines Tages versucht er seinen einzigen Freund, den Quacksalber Hirulik, mit einem Pilz von einer tödlichen Krankheit zu heilen, vergiftet ihn dabei jedoch. Statt dahinzusiechen (wie er es ja eh getan hätte), ruft Hirulik: „Ich hatte ein wunderbares Leben. Danke Chopper!“ und sprengt sich in die Luft – vor den Augen seines tierischen Freundes. Dieser beschließt daraufhin, Arzt zu werden.
Es wimmelt vor solchen Figuren in One Piece, auch der untote Schiffsmusikant Brook gehört dazu. 50 Jahre vor Beginn der Handlung der Serie war er Teil einer musikalischen Piratencrew, die bei einer Schlacht vergiftet wurde. Schon dem Tode geweiht, spielt diese Crew ein letztes Konzert auf ihrem Schiff, während einer nach dem anderen dem Gift zum Opfer fällt. „Warum ist es nur noch ein Quartett?“, fragt Brook am Klavier sitzend, als die Violine verstummt. Dann: „Ein Trio. Ein Duett.“ Und schließlich, während er selbst schon Rotz und Wasser heult: „Ein Solo.“ Spätestens, wenn sein Klavierspiel langsam dissonant wird und die Kamera gnädig zurückweicht, weint man auch als TV-Zuschauer.
Manche Geschichten werden zu groß für sich selbst. Sie wachsen und wuchern und fasern schließlich aus, bis der Autor es nicht mehr schafft, alle Fäden zusammenzuführen. Leser von Das Lied von Eis und Feuer, der siebenteiligen Fantasysaga hinter Game of Thrones, warten inzwischen seit 13 Jahren auf die letzten zwei Bände aus der Feder von Autor George R. R. Martin. Auch Fans des Fantasyepos Die Königsmörder-Chronik von Patrick Rothfuss sehnen seit über zehn Jahren dessen Abschluss herbei. Sie alle erhoffen sich die Auflösung zahlloser Rätsel und Andeutungen und fürchten, dass die Reihen so enden werden wie einst die Serie Lost (2004–2010). Deren Macher verloren völlig die Kontrolle über ihre überkomplexe Welt und produzierten das wohl löchrigste und unbefriedigendste TV-Finale aller Zeiten.