Offenes Internet: Google aktiviert die Selbstzerstörung

Google ist so viel mehr als nur eine Suchmaschine. Eine Website, die unentdeckt in der hintersten Ecke des Internets verschimmelt, hat dieselbe Wirkkraft wie das Geräusch des Baumes, der im Wald umfällt, während niemand in Hörweite ist: gar keine. Google ist nicht nur ein digitaler Bibliothekar, Google ist die Infrastruktur unseres globalen Wissens. Und hat gerade – ohne es zu dramatisieren – auf den Selbstzerstörungsknopf gedrückt.

„Google will do the Googling for you“, erklärte das Unternehmen kürzlich auf seiner jährlichen Konferenz. Man möchte bald auf Suchanfragen hin nicht mehr nur die bekannten zehn blauen Links anbieten, sondern will die Ergebnisse per KI scannen und an oberster Stelle zusammenfassen, ohne dass ein Klick auf eine weitere Website nötig ist. Google will von einer Such- zu einer Antwortmaschine werden. Es lässt sich kaum übertreiben, wie idiotisch das ist.

Zunächst ist da die technische Seite. Large Language Modelle (wie die KI hinter ChatGPT und jetzt auch der neuen Googlesuche) halluzinieren gerne, denken sich einfach Sachen aus. Das ist absolut okay, wenn ich sie dafür nutze, mir Shakespeare-Sonette über Käsetoast zu verfassen, jedoch schlecht, wenn sie mich auf meine Googlesuche hin womöglich einfach anlügen. Und selbst wenn die KI die Website, auf die sich ihre Antwort bezieht, inhaltsgetreu wiedergibt, bedeutet das noch lange nichts.

In den USA, wo das neue Google schon aktiv ist, riet die KI auf eine Frage nach einem Pizzarezept hin, Kleber in den Käse zu mischen, weil ein Reddit-Nutzer namens „fucksmith“ (kein Scherz) das vor elf Jahren in einem Forum empfahl (sehr wohl als Scherz). Einer anderen Person antwortete sie, es sei laut Wissenschaft gesund, täglich mindestens einen kleinen Stein zu essen. Quelle? Ein Artikel des Satire-Magazins The Onion. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so zum Weinen wäre.

Internet mit Google im Krisenmodus

Dann ist da die wichtigere, wirtschaftliche Seite. Das quid pro quo im Kern des Internets war bislang folgendes: Seiten erstellen Inhalte, Google führt Leute zu diesen Inhalten, jeder schaltet Werbung für Geld und alle sind zufrieden. Wenn Google aber nun die Leute nicht mehr auf die Websites schickt, sondern die Inhalte der Seiten klaut(!), um die Suchanfragen selbst zu beantworten, dann fliegt dieser Deal auseinander. Denn wenn die Seiten keine Klicks bekommen, bleiben die Werbeeinnahmen aus und damit schwindet auch der Anreiz, überhaupt Inhalte zu erstellen. Google hat den Deal gerade einseitig aufgekündigt, schlicht, weil sie es können.

Das Ganze war völlig vorhersehbar: Laut einer Studie von März dieses Jahres könnte die Umstellung viele Seiten bis zu 60 Prozent des von Google gesandten Traffics bedeuten, der selbst für große Seiten oft fast die Hälfte der Klicks bedeutet. Journalisten warnen seit über einem Jahr vor den Effekten der KI-Suche, auch hier im Freitag. Kleineren Seiten, die sich nicht mit Abomodellen durchschlagen können, aber auch besonders für Medien steht ein absoluter Krisenmodus bevor.

Lange wurde gehofft, dass Google vorsichtig vorgeht oder die KI-Suche schlicht bleiben lässt. Ein gewisses Eigeninteresse daran hatten sie, denn ohne offenes Internet braucht es auch kein Google, um dieses Internet zu navigieren. Nun steht fest: Während das Internet langsam von minderwertigem KI-Müll geflutet wird, hat es Google gerade um einiges schwerer gemacht, hochqualitative Inhalte im Internet zu Geld zu machen. Aus Angst, dass einer ihrer Konkurrenten sie eines Tages mit einem KI-Produkt überholen könnte, haben sie womöglich einen langsamen und schmerzhaften Tod für das offene Internet und nicht zuletzt sich selbst eingeleitet.

Maschinentext

Titus Blome beschäftigt sich in seiner Kolumne Maschinentext mit neuen Technologien.