Österreich: Generalsanierung
Wären die Grünen ein Unternehmen, man würde sagen: Die Konjunkturaussichten lesen sich hervorragend. Die Auftragsbücher sind voll, im Alleingang gefüllt vom Bundespräsidenten, der nicht weniger als eine „Generalsanierung“ der Republik ausgeschrieben hat. Wer sollte den Job übernehmen, wenn nicht die Partei, die, kleine Erinnerung, im Wahlkampf 2019 nicht nur mit dem Slogan „saubere Umwelt“ warb, sondern auch für „saubere Politik“?
An die Vorarbeiten haben sich die Grünen in den vergangenen drei Jahren schon gemacht, stets mehr oder weniger offen behindert durch den mächtigeren Koalitionspartner von der ÖVP. Siehe das Informationsfreiheitsgesetz, das seit über anderthalb Jahren einsatzbereit im Werkzeugkasten verstaubt, während Bundeskanzler Karl Nehammer in Reden auskunftsbegierige Bürger als potenzielle „Querulanten“ bezeichnet.
Ausflüchte, die der Volkspartei in ihrer misslichen Lage immer schwerer über die Lippen gehen dürften. Die Korruptionsvorwürfe und die Aussicht auf einen Prozess gegen den ehemaligen Kanzler und ÖVP-Parteichef drücken nicht nur die Umfragewerte, sie verschieben auch die Machtarchitektur der Koalition. Wenn die Grünen wollen, können sie jetzt so richtig loslegen, und damit so nützlich für das Land sein wie wahrscheinlich noch nie in ihrer Geschichte.
Bei den anstehenden Arbeiten geht es nicht um sonderlich visionäre Vorhaben, nicht um ideologisch fundierte Leuchttürme wie das Klimaticket, sondern um notwendige Ausbesserungen am Fundament des Staates, die seit Jahren etwa vom Europarat gefordert werden.
Im Jahr 2021 stellte dessen „Staatengruppe gegen Korruption“ Österreich einen vernichtenden Befund aus: Die Empfehlungen zur Korruptionsprävention seien „allgemein unbefriedigend“ umgesetzt worden. Unter allen Demokratien in Europa verfügt Österreich über ein zweifelhaftes Alleinstellungsmerkmal: Das Amtsgeheimnis steht in Artikel 20 im Verfassungsrang. „Eine österreichische Verwaltungskultur, eine Kultur des Stillschweigens“, nannte das Martin Huter, Obmann des Forums für Informationsfreiheit in Wien einmal (ZEIT Nr. 24/22).
Das fertig verhandelte Informationsfreiheitsgesetz würde eine neue Ära begründen – wenn es denn noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird. Weitere wichtige Gesetzesvorhaben stehen an der Schwelle zur Fertigstellung: zum Beispiel das Hinweisgeberschutzgesetz, die Verschärfungen im Korruptionsstrafrecht oder das neue Medientransparenzgesetz. Dicke Bretter mit sperrigen Namen, die kein PR-Berater auf Wahlplakate drucken würde. Tatsächlich ist es völlig unklar, ob die Grünen von wesentlichen Fortschritten auf diesen Gebieten überhaupt profitieren würden. Und doch würden damit zentrale Säulen errichtet, um Korruption und Freunderlwirtschaft zu erschweren.
Noch vor wenigen Wochen liefen all die Reformen Gefahr zu versanden. Nur: Wie kann man sich nun noch davor drücken? Jetzt, wo man nach dem Geständnis von Thomas Schmid noch tiefere Einblicke in den Betriebsablauf der Regierung bekommen hat, über Machen- und Seilschaften, über finstere Pakte und Vorgänge, die mit mehr verpflichtender Transparenz gar nicht erst möglich gewesen wären?
Auf der grünen Regierungsseite will man mit den Umbauarbeiten beginnen. Den oppositionellen Ruf nach Neuwahlen wischt man – noch – zur Seite. Sie habe „ihre Aufgaben gemacht“, sagte Justizministerin Alma Zadic in einem Interview mit dem ORF – und verweist auf ihren Entwurf zum Korruptionsstrafrecht, der seit einem Jahr beim Koalitionspartner liege. Es brauche „Transparenz und schärfere Gesetze“, das wolle man mit ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer verhandeln.
Sollten diese Gespräche scheitern, was durchaus möglich ist, dann wären die Grünen noch immer nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Ist eine Koalition auf- und sind Neuwahlen angekündigt, beginnt eine ganz andere Dynamik. Ohne Rücksichtnahme auf Regierungspartner lassen sich mit freien Mehrheiten im Parlament Gesetze umsetzen, die vorher vielleicht undenkbar schienen. Der Vorteil: Sie müssen nicht im Hauruck-Verfahren geschrieben werden, sondern liegen eben so gut wie fertig vor.
Machen die Grünen allerdings weiter wie bisher und erdulden die Mauertaktik der ÖVP, werden sie selbst in ihrer eigenen Wählerschaft als Steigbügelhalter wahrgenommen und ganz sicher nicht profitieren. Ganz zu schweigen vom Staat, der reparaturbedürftig bleibt.