Nofretete: Die erste Miss Universe

Im Jahr 2018 kam es in Berlin zum Gipfeltreffen zweier Königinnen. Der Nordkuppelsaal des Neuen Museums war ausnahmsweise exklusiv für zwei Besucher geöffnet: Die Sängerin Beyoncé war mit ihrem Mann Jay-Z im Haus, doch blieb der Rapper ein Statist wie nebenan der bronzene Xantener Knabe in Raum 201, obwohl dieser ja ebenfalls zu den Prachtstücken des Neuen Museums gehört. Alles drehte sich um Beyoncé und Nofretete, das berühmteste Exponat der Sammlung (sowie der ganzen Berliner Museumsinsel). Noch nie hatte man beide zusammen fotografiert.

Dabei waren Sängerin und Echnaton-Witwe schon vorher zu einer einzigen Ikone verschmolzen: Beim kalifornischen Coachella-Musikfestival stand Beyoncé mit einer Pharao-Krone auf der Bühne, auf Instagram hatte sie ein Bild gepostet, auf dem ihr Gesicht ins Foto der Nofretete-Büste collagiert war. Wodurch sich die Sängerin als Reinkarnation der Königin gebärdete, als Überfrau namens „NefertiBey“ (Nofretete heißt auf Englisch Nefertiti). Beyoncés Coachella-Auftritt wurde zum meistangeschauten Konzertlivestream der YouTube-Geschichte und die Sängerin eine wirkmächtige Nofretete-Interpretin. Die Ägypterin als feministische Urahnin der „Black Lives Matter“-Bewegung? War Nofretete schwarz? Mit dieser von afroamerikanischen Bürgerrechtlern (z. B. Malcolm X) oder Musikern (z. B. Sun Ra) längst etablierten Lesart – um nicht zu sagen: kulturellen Aneignung – hatte Beyoncé den Kairoer Chef-Archäologen Zahi Hawass auf die Palme gebracht; die Ägypter wollen ihre Geschichte nämlich partout als eine weiße, also nichtafrikanische schreiben.

Die Königin. Nofretetes globale Karriere heißt die faszinierende Faszinationsgeschichte, die der in Berlin lehrende Historiker Sebastian Conrad vorgelegt hat, mit der er für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert ist. Auch wenn „NefertiBey“ darin nur am Rande vorkommt, steht sie doch mustergültig für den mehr als hundertjährigen Tanz um die 49 Zentimeter hohe und 20 Kilo schwere Kalksteinbüste, die unter der Leitung des deutschen Archäologen Ludwig Borchardt 1912 im mittelägyptischen Amarna ausgegraben worden war.

Sebastian Conrad ist ein glänzender Erzähler und als Historiker dem Faktischen zugeneigter als der Spekulation; er kennt aber den kriminalistischen Thrill, den der Nofretete-Fall weckt, wie etwa die Geschichten vom Fluch der Mumie. Wurde die Königin Opfer eines Gewaltverbrechens? Ist ihre Büste mit lauteren Mitteln in deutschen Besitz gekommen? Warum wurde sie erst nach über zehn Jahren öffentlich gezeigt? Fordern die Ägypter sie mit Recht zurück?

Durch die Funde des Archäologen Richard Lepsius, der 1842, also 70 Jahre vor Borchardt, in Amarna gegraben hatte, weiß man, dass Echnatons Herrschaft dort um 1300 vor Christus eine bis dahin beispiellose Kulturrevolution hervorgebracht hatte. Die vielen ägyptischen Gottheiten wurden allesamt dem Sonnengott Aton unterworfen, der, wie später der alttestamentarische Gott, mit einem Bilderverbot belegt war und nur im abstrakten Symbol der Sonnenscheibe dargestellt werden durfte. Dies war, dem Ägyptologen Jan Assmann zufolge, ein „Monotheismus reinster Prägung“ – allerdings ein äußerst kurzlebiger. Unter Echnatons Sohn, dem Kindspharao Tutenchamun, entbrannte ein Bildersturm, bei dem figürliche Darstellungen der Herrscher zerstört und ihre Namen aus den Königslisten weggemeißelt wurden. Nur weil man nicht gründlich genug gemeißelt hatte, stieß Lepsius auf die Amarna-Revolution, um sie ihrer gut 3.000-jährigen Vergessenheit zu entreißen. Die so ans Licht geförderten Darstellungen der Nofretete deuten darauf hin, dass sie weit mehr war als die First Lady ihres Pharao-Gatten: eine zumindest gleichgestellte Herrscherin nämlich, eine militärische Befehlshaberin sowie, nach Echnatons Tod, womöglich dessen Thronnachfolgerin, allerdings camoufliert durch die Insignien eines männlichen Pharaos namens Semenchkare. Nofretete, die ihrem Gatten wie aus dem Gesicht geschnitten schien – sie taugt auch als queeres Rollenmodell. Doch warum wurde sie ermordet?

So wenig man von der historischen Königin auch weiß: Die viel besungene, vielleicht ja wirklich magische Schönheit, mit der ihre Büste bis heute bezirzt, mag daher rühren, dass in Amarna neben dem Monotheismus auch eine Kunst aus der Taufe gehoben wurde, die einen individuellen Ausdruck lebendig machen konnte. Man schaut ins Bernsteinauge der Nofretete und blickt einem Menschen ins Gesicht.

Conrad zeigt, wie sie zur kulturübergreifenden, aus dem historischen Kontext gelösten Projektionsfläche wurde. Die Impressionisten sahen die Verwandtschaft zu Gemälden von Renoir und Monet, während frühe Kinogänger das Antlitz von Greta Garbo zu schauen glaubten, in den Zwanzigern Inbegriff der modernen Frau. Nofretete war weiß, sie war schwarz, sie wurde bunt, zur Disney-Ente und Anime-Figur. So widerlegte sie als weltweit frei flottierende Ikone Walter Benjamins These, dass das Kunstwerk im Zuge seiner technischen Reproduzierbarkeit an Aura verlöre. Also eigentlich egal, woher die Nofretete kommt und wo sie heute steht. Jay-Z und Beyoncé hätten sich ihre Berlin-Reise sparen können.

Sebastian Conrad: Die Königin. Nofretetes globale Karriere; Propyläen, Berlin 2024; 384 S., 29,– €, als E-Book 26,99 €