„Nixon in China“: Mao ist müde

Die Stars dieses Abends sind die Kostümschneiderinnen, die Bühnenbildner, Lichtdesigner, Choreografen und Statisten, sie sorgen auf der Bühne für ein beachtliches Maß an Wirrsal, manchmal für wirklich lustigen Unfug, geradezu für kulturrevolutionären Tumult. Jedenfalls kriecht Old Mao Zedong als Seidenraupe umher, die Handgranaten-Girls tanzen, der Chor verkörpert die „Volksmassen“ und schmettert seine Texte entsprechend kernig. Das ist, möchte man sagen, große Oper, und den Zuschauermassen gefällt es auch. Der Abend ist ein Riesenerfolg.

Nixon in China von John Adams, 1987 uraufgeführt, gehört zu jenen gefährdeten Werken des Musiktheaters, die einen hochverderblichen nachrichtlichen Kern in sich tragen, Experten sprechen von „Zeitoper“. In diesem Fall geht es um den Peking-Besuch des amerikanischen Präsidenten im Februar 1972, damals weltbewegend. Es droht also Langeweile, weil etwas Historisches aufgerufen wird, und wäre das Stück um gut ein Drittel kürzer, würde es in der Tat gewinnen. Selbstverständlich haben weder das junge Ensemble noch das Regie führende Kollektiv namens Hauen und Stechen Erinnerungen an das Ereignis selbst, möglicherweise noch das silberhaarige Publikum. Verdammt lang her – sodass nun die reine Jetztzeit auftrumpfen kann.

Es schwebt der Präsident der Vereinigten Staaten ein, korpulente Lichtgestalt in einer Wolke. China ist bettelarm, seit zwanzig Jahren ein geschlossenes Land. Die von Mao losgetretene und von Jiang Qing fanatisch vorangetriebene Kulturrevolution wütet. Richard Nixon will Geschichte schreiben, Henry Kissinger und er wittern die Chance, das kommunistische Lager zu spalten. Mao jedoch ist müde, will von Politik nichts mehr wissen. Jede Art von Veränderung würde die permanente Revolution gefährden. Politisch bewirkt Nixons Besuch nichts, doch die Welt blickt wieder auf China. Das ist, von 1972 aus noch unsichtbar, schon der Beginn der kapitalistischen Umwälzung im Land. 15 Jahre nach diesem Ereignis wird die Oper geschrieben, sie ist ein melancholischer, zuweilen sarkastischer Blick auf die Machtillusionen alter Männer. Auch ihre Komposition umgreift einen historischen Raum, zitiert, variiert die musikalischen Motive der Epoche. Insofern ist Nixon in China ein typisches Werk der späten Achtziger, ein Stück aus dem Geist des Endes der Geschichte und des künstlerischen Postmodernismus.

Ein ziemlich alter Kahn ist das also, und nur mit ordentlich Klamauk und Bühnentanz lässt er sich halbwegs wieder flottmachen. Hauen und Stechen schwimmen wie die Fische im Wasser im Strom des derzeit gängigen Berliner Regiestils, der ja ein Revuestil ist. Sie spülen herbei, was zwischen Volksbühne und Friedrichstadt-Palast so läuft oder lief. Franziska Kronfoth und Julia Lwowski von Hauen und Stechen inszenierenähnlich einsammelnd-kombinierend wie Adams Musik. Die Frank-Castorfschen Videos von der Hinterbühne wirken allerdings nicht einmal mehr in der Deutschen Oper frisch, auch nicht die obligaten Würstl-Würg-Rumkotz-Intermezzi. Tatsächlich rettet hier das Musikalische. Daniel Carter dirigiert das kleine Orchester präzise und zügig; die Soprane, Heidi Stober als Pat Nixon und Hye-Young Moon als Maos Frau Jiang Qing, sind exzellent; auch Kyle Miller als Zhou Enlai wird zu Recht bejubelt. Der Amerikaner John Adams hat Strawinsky sorgsam studiert, er orientiert sich an Philip Glass und Steve Reich, spielt mit amerikanischer Populärmusik, spart nicht mit Mozart- oder Wagner-Erinnerungen und liebt Pathosformeln aus der deutschen Symphonik. Auch die klangliche Hybridwelt der Oper ist also ziemlich vergangen, sie klingt retro und fesselt einen vielleicht gerade deswegen.

Der Reiz dieser Aufführung besteht in diesem großen Sprung nach vorn in eine vergessliche Gegenwart hinein. Das musikalische Theater wird hier ebenso kunterbunt und konfus wie die visuelle Zeit, an die es sich wendet. Man kann sich natürlich darüber beschweren, dass Oper dann zum bloßen Inszenierungsmaterial wird, aber alt und historisch ist sie nun einmal, sogar die neuere Oper, und das führen Hauen und Stechen in aller Brutalität auch vor. Was vom Abend bleibt, ist Jiang Qings schöner, finsterer Vers „When I appear the people hang“. Klingt wie Shakespeare. Und natürlich der Bankett-Chor. Wer nach Nixon in China Chinesen zuprostet, wird den Klang der enthusiasmierten Volksmassen für immer im Ohr behalten: „Ganbei!