Niemand will Thilo Mischke canceln


Ob Thilo Mischke hier gerade liest, was Frauen über seine widerlich sexistischen Sprüche denken?

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Bücher voller antifeministischer Thesen: Thilo Mischke darf gerne Sexist sein. Aber sollte er eine Spitzenposition im ARD-Kulturjournalismus bekleiden, wie würde er dann mit Autorinnen umgehen? Über die Frage, wer hier wen cancelt

Eigentlich ist es gar nicht so überraschend, dass ein Sexist und Rassist zum Moderator einer Sendung des Öffentlich Rechtlichen Fernsehens gemacht werden soll. Auch heutzutage nicht – egal, was Thomas Gottschalk sagt. Immerhin ist der der zweitbeste Beweis dafür, dass Männer, die sich sexistisch benehmen, häufig eher nach oben als nach unten fallen. Der beste Beweis ist Donald Trump, der als verurteilter Vergewaltiger diesen Monat zum zweiten Mal als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird.

Nun ist Thilo Mischke, der die ARD-Kultursendung „titel thesen temperamente“ (ttt) übernehmen soll, kein Vergewaltiger. Er hat in einem Sachbuch mit dem literarisch großkotzig angelehnten Titel In achtzig Frauen um die Welt nur Vergewaltigungsphantasien beschrieben – keine Vergewaltigungen: Einer Israelin, die er trifft, würde er in dem Buch gerne ins Gesicht schlagen, sie über den Tisch werfen und ihr Hose und Slip ausziehen. Die besinnungslos betrunkene Ukrainerin lässt er sogar großzügig in der Bar mit ihrem Gesicht im Schnaps liegen – allerdings nicht, weil er kein Vergewaltiger ist, sondern weil er Angst davor hat, andere Männer könnten ihn für einen halten. Komisch, warum bloß? Vielleicht haben sie ja zufällig seinen Podcast Uncovered gehört, indem er erklärt, dass die männliche Sexualität in der Vergewaltigung begründet ist.

Der Einfluss von Feministinnen wächst

Es ist vom Timing einfach fies für ihn gewiesen. „titel thesen temperamente“ haben seinen neuen Moderationsjob ausgerechnet an dem Tag bekannt gegeben, an dem „Strg F“ die Reportage zu den Vergewaltiger-Netzwerken auf Telegram veröffentlichte und in Frankreich das Urteil im Pelicot-Prozess verkündet wurde. Normalerweise wäre so eine Neuigkeit kurz vor den Feiertagen sicherlich untergegangen. Aber Mischkes Buch degradiert Frauen sprachlich nun einmal nur unwesentlich weniger zu willenlosen Ficknummern, als es die Kommentare unter den Videos von Vergewaltigungen in den Telegram-Gruppen tun – und, so direkt nebeneinander gelegt, fiel das eben ausnahmsweise auf.

Rebekka Endler und Annika Brockschmidt trommelten in Reaktion auf die Ankündigung in wenigen Tagen eine ganze Reihe von Journalist:innen, Autor:innen und Kulturschaffenden zusammen, die sich im Podcast Feminist Shelf Control gemeinsam durch den Berg sexistischen Mülls wühlten, den Mischke über die Jahre von sich gegeben hat, und ihn einordneten – alles gut sortiert in einem Google Doc zu finden. Auch in den Sozialen Medien schlug der Sendung ziemlich viel Wut entgegen. Ende Dezember musste die ARD zumindest öffentlich Stellung beziehen und die Ernennung von Mischke überdenken.

Niemand will Thilo Mischke canceln

Da die ARD ihn aber (noch) nicht aufgeben will, haben Anfang dieses noch sehr jungen Jahres über hundert Autor:innen und Kultuschaffende nachgelegt und die Zusammenarbeit mit ttt in einem öffentlichen Brief aufgekündigt, veröffentlicht im Tagesspiegel.

Wer hier gleich wieder Cancel Cultur schreit, hat die Machtverhältnisse nicht verstanden. Thilo Mischke wird gerade in eine Position gehievt, für die er nicht qualifiziert ist, die nicht wenig Einfluss auf den Erfolg von Autorinnen nehmen kann, und das in einem Format, das bis Ende letzten Jahres noch bekannt dafür war, einen besonderen Fokus auf gesellschaftliche Ungleichheiten wie Sexismus und Rassismus zu legen. Aber es ist so viel leichter, Sendungen über Feminismus zu machen, als sich selbst an den eigenen Inhalten zu messen. Es ist Mischke, der hier in eine Rolle befördert werden soll, die das Potential hat, Stimmen und Themen zu canceln, die ihm nicht passen.

Wie es demnächst aussehen könnte, wenn Thilo Mischke bei „ttt“ über Sexismus oder Feminismus redet, zeigt eine Podcastfolge von 2019. Titel: „Feminismus = First World Problem?“ Mischke wollte mit Caroline Rosales über ihr Buch Sexuell verfügbar sprechen und stellte in Bezug auf eine in dem Buch beschriebene Vergewaltigungsszene die krude These auf, dass Frauen beim Sex nur deshalb feucht werden, weil alle anderen ohne diesen „Gendefekt“ zu Tode vergewaltigt wurden: „Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschzeit…“, sagt er wörtlich. Von der auch wissenschaftlich komplett unfundierten Behauptung hat er sich nie distanziert.

Niemand hat die Absicht, Thilo Mischke zu canceln. Wirklich. Er kann ruhig weiter Bücher und Kolumnen für GQ schreiben, Podcasts aufnehmen und Reportagen für Galileo machen. Nur für eine Moderatorenrolle, die Sensibilität bei bestimmten Themen erfordert, ist er offensichtlich der Falsche. Dass Feministinnen heute in der Position sind, dies machtvoll deutlich zu machen, hat wiederum tatsächlich mit Cancel Culture zu tun: Wären feministische Stimmen in den 1990ern nicht an den Rand gedrängt worden, hätte sich die ARD wohl schon bei Thomas Gottschalk einige Fragen mehr stellen müssen.