Niederländisches Parlament: Undichtes Dach, feuchte Balken und Holzameisen

In den Niederlanden wird für jedes Wahlprogramm errechnet, wie es sich auf die Staatsfinanzen auswirken würde. Es gibt sogar eine eigene Behörde dafür. Bei allen Vorhaben der Regierung wird minutiös auf Kosteneffizienz geachtet. Das funktioniert im Allgemeinen auch recht gut, aber bei einem Vorhaben ist es gründlich schiefgelaufen: der Renovierung des historischen Binnenhofs im Zentrum von Den Haag, dem Sitz des Parlaments und des Ministerpräsidenten.
Als sie 2015 geplant wurde, sollten sich die Gesamtkosten auf 475 Millionen Euro belaufen. Am Montag informierte die zuständige Wohnungsbauministerin Mona Keijzer die Abgeordneten darüber, „dass sich die Prognosen auf einen Betrag von mindestens 2,7 Milliarden Euro zum Preisniveau vom 01.01.2026 belaufen werden“. Das sei, fügte sie hinzu, eine „vorsichtige, mit Unsicherheiten behaftete“ Schätzung.
Vorsicht ist angebracht, weil die Niederländer mit dem Binnenhof gerade etwas erleben, das Deutschland mit dem Flughafen Berlin-Brandenburg schon durchgemacht hat. Die Baustelle erweist sich als Fass mit morschem Boden, in dem immer mehr Geld versickert, während sich die Bauzeit verlängert. Als die Abgeordneten im Sommer 2021 ihren angestammten Sitz verließen und die Bauarbeiten begannen, wurde ihnen eine Rückkehr im Jahr 2026 in Aussicht gestellt. Zwei Jahre später war von Ende 2028 und Kosten in Höhe von 750 Millionen Euro die Rede. Jetzt stellt Keijzer einen Einzug 2031 in Aussicht.
Im Jahr 1581 tagte hier die oberste Versammlung
Der Binnenhof ist der historische Kern Den Haags und das politische Zentrum des Landes. Zunächst hatten die Grafen von Holland dort 1250 mit dem Bau einer Burg begonnen, die sie später zu ihrer Residenz erhoben und danach immer weiter ausbauten. Nach der Gründung der Niederlande 1581 tagte hier die oberste Versammlung aller Provinzen des Königreichs, Staten-Generaal genannt, aus der das heutige Parlament mit seinen beiden Kammern hervorging, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus.
Auch der Staatsrat, der das Parlament berät und zugleich das oberste Verwaltungsgericht des Landes ist, hat dort seinen Sitz sowie das Ministerium für Allgemeine Angelegenheiten, das Amt des Ministerpräsidenten. Dessen Büro befindet sich in einem Türmchen aus dem 15. Jahrhundert, dem Torentje.
Der gesamte Komplex ist 90.000 Quadratmeter groß, mit 4000 historischen Räumen in 65 Gebäuden, die unter Denkmalschutz stehen. Es ist das größte Renovierungsprojekt, das jemals in den Niederlanden unternommen wurde. Rein logistisch ist das schon eine gewaltige Herausforderung: Die Baufahrzeuge kommen nur durch zwei schmale Tore in den Innenhof, sie müssen sich zentimetergenau an den alten Mauern vorbeischlängeln. Insgesamt sind etwa tausend Bauarbeiter im Einsatz. Diese Herausforderungen waren freilich zum größeren Teil bekannt, als die Renovierung geplant wurde.
Noch mindestens sechs Jahre im Ausweichquartier
Neu hinzugekommen sind ernüchternde Erkenntnisse über die Bausubstanz. „Der Zustand der Gebäude ist viel schlechter als erwartet, und es treten immer wieder unvorhergesehene Probleme auf“, schrieb Keijzer den Abgeordneten. Das betrifft insbesondere die alten Grafensäle. „Das Dach ist an mehreren Stellen undicht, es gibt Feuchtigkeit und Holzameisen in den tragenden Balken“, heißt es weiter. Der Zustand sei so schlecht, dass dieser älteste Teil des Binnenhofs überhaupt nur erhalten werden könne, wenn er rasch renoviert werde.
Der andere Faktor, der die Preise treibt, sind zusätzliche bauliche Auflagen und die Kostenexplosion im Bausektor. Die gerichtlich durchgesetzte Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung verzögerte die Arbeiten um 14 Monate. Jetzt kommen noch Bestimmungen für die Barrierefreiheit hinzu, die „im Widerspruch zur Erhaltung der denkmalgeschützten Teile stehen“, wie die Wohnungsbauministerin darlegt. Derweil sind die Lohnkosten im Bausektor allein 2024 um zehn Prozent gestiegen, während im bisherigen Budget eine Inflation von nur 2,5 Prozent vorgesehen war. Außerdem mangelt es an qualifizierten Fachkräften.
Für das Abgeordnetenhaus heißt das: Es müssen nicht nur rund 700 Millionen Euro zusätzlich bewilligt werden, sondern die Abgeordneten müssen auch noch mindestens sechs weitere Jahre in ihrem Ausweichquartier bleiben. Dieses ist ein Zweckbau aus den 1980er-Jahren, der den Charme eines Versicherungsgebäudes versprüht.
Source: faz.net