Nicolas Sarkozy: Wenn sich ein Hardliner selbst zum Opfer stilisiert
Manche prominente Straftäter verschwinden diskret hinter
Gittern. Nicht so Nicolas Sarkozy. Der frühere Präsident Frankreichs
inszenierte seinen Gang ins Pariser Gefängnis La Santé mit einer Versammlung
vor seinem Haus und einem pathetischen Pamphlet:
Darin beklagt er eine „erniedrigte“ Nation und sich selbst als Opfer eines
„Rachespiels“ und des „Hasses“. Diese Worte folgen seiner altbekannten Strategie,
seitdem er in zahlreichen Gerichtsprozessen die Hauptrolle spielte: Sarkozy
stilisiert sich zum Verfolgten.
Ende September verurteilte ein Gericht ihn wegen illegaler
Wahlkampffinanzierung aus Libyen
zu fünf Jahren Haft, sofort vollstreckbar. Die Richter sahen es als
erwiesen an, dass Sarkozy enge Vertraute nach Libyen schickte, um seinen Präsidentschaftswahlkampf finanzieren zu lassen.
Der Ex-Präsident legte Berufung ein, doch wegen der „Schwere der Taten“ ordnete
das Gericht an, dass er die Strafe bereits vor dem Berufungsprozess antreten
muss.
Die wird er nun, einen Monat nach dem Urteil, antreten.
Seine Anwälte zählten in Interviews akribisch auf, was er mitnehmen will:
Pullover gegen die Kälte im Gefängnis, Ohrstöpsel gegen den Lärm und drei
Bücher, die Sarkozy offensichtlich mit Blick auf ihre Symbolkraft ausgewählt
hat: darunter zwei Bände von Alexandre Dumas‘ Der Graf von Monte Christo, in
dem der Held unschuldig im Gefängnis sitzt, sowie eine Biografie über Jesus.
Mit seiner Inhaftierung – ein Novum für Frankreich und Europa – inszeniert sich
Sarkozy als tragischer Held, fast als Heiliger.
Le Pen gibt sich solidarisch
Tatsächlich scheint Sarkozys Opfererzählung nicht allzu
sehr zu verfangen: Zu der Solidaritätskundgebung vor seinem Haus im vornehmen
Pariser Vorort Neuilly, organisiert von seinem Sohn, kamen nur wenige Hundert.
Auch in Umfragen findet eine Mehrheit der Befragten die Verurteilung richtig oder interessiert
sich nicht dafür. Zudem sind drei von vier Franzosen entsetzt über Sarkozys scharfe Angriffe auf die Richterinnen, die das Urteil sprachen. Diese erhielten bereits Morddrohungen und stehen seither unter Polizeischutz.
Sarkozy erntet aber zumindest bei alten Weggefährten viel
Mitleid. Sie posten Fotos mit ihm oder halten bei der Kundgebung vor seinem
Haus Bilder aus seiner Zeit als Präsident im Élysée-Palast hoch. Auch die
rechtsextreme Marine Le Pen kritisiert das Urteil. Sarkozy bedankte sich am
vergangenen Wochenende telefonisch bei ihr für ihre Unterstützung. Le Pen
bedauerte ihren früheren Konkurrenten um das Präsidialamt öffentlich –
allerdings nicht ohne Hintergedanken: Auch sie wurde in erster Instanz wegen
Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt. Jahrelang ließ sie ihren
Leibwächter und andere Parteimitarbeiter vom Europäischen Parlament als
angebliche Brüsseler Angestellte bezahlen.
Hier stehen also zwei verurteilte
Alphatiere der Politik Seite an Seite, und beide sind Hardliner, die stets härtere Strafen und
schärfere Haftbedingungen fordern. Ausgerechnet sie kritisieren nun ein Urteil auf Inhaftierung.
Le Pen verlangt regelmäßig eine Verschärfung von Haftstrafen und klagt über den
angeblichen „Laxismus“ der französischen Justiz. Sarkozy selbst versprach
einst, die Vorstädte der Republik „mit dem Kärcher“ von Kriminellen zu säubern.
Auch ein weiterer Hardliner wird bei Sarkozy nun ganz weich:
Justizminister Gérald Darmanin kündigte an, Sarkozy in seiner Zelle besuchen zu
wollen. Als Minister könne er jederzeit Häftlinge aufsuchen, erklärte er knapp.
Er empfinde „tiefe Trauer“ über dessen Lage. Derselbe Darmanin sagte noch vor
wenigen Monaten, die Haftbedingungen müssten hart sein, um zu wirken. Zurzeit
lässt er vier sogenannte „Super-Gefängnisse“ bauen, in denen vor allem
Drogendealer in Einzelhaft und ohne Freigang ihre Strafen verbüßen sollen.