Nichtregierungsorganisation-Studie: Wo die Klimabillionen herkommen sollen
Große Demonstrationen auf einer Weltklimakonferenz gab es zuletzt vor drei Jahren in Glasgow. Protestanten zogen mit Plakaten durch die Straßen, pfiffen, skandierten, zeigten ihre Wut auf die Verhandler, die ihrer Meinung nach zu wenig taten, um die Welt zu retten. Seitdem ist es still geworden rund um die COP genannte Großveranstaltung der Vereinten Nationen. Kein Wunder, denn 2022 und 2023 fanden die Treffen in autoritären Staaten statt und noch dazu in solchen, die Öl und Gas fördern. Beides gilt auch jetzt wieder. Zunächst kam man in Scharm El-Scheich in Ägypten zusammen, dann in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die jetzige COP29 findet in Baku statt, der Hauptstadt von Aserbaidschan am Kaspischen Meer.
Das bedeutet nicht, dass es nicht regelmäßig kleinere Kundgebungen der sogenannten Zivilgesellschaft gäbe. Und zwar mitten auf dem Veranstaltungsgelände, sogar in der „Blauen Zone“, wo sich die Delegierten der 200 Regierungen zu ihren Verhandlungen treffen. Darin zeigt sich nicht etwa die Offenheit der Gastgeber, sondern jene der Vereinten Nationen. Denn auf dem Gelände haben sie das Sagen, hier patrouillieren sogar bewaffnete Sicherheitskräfte der UN.
In Baku findet die Empörung der Nichtregierungsorganisationen in den endlosen fensterlosen Gängen oder Verbindungshallen des „Olympiastadions“ statt. Eigentlich heißt es Nationalstadion, weil es in Aserbaidschan noch nie Olympische Spiele gegeben hat, aber der Zweitname zeigt das Streben des Regimes nach Höherem und nach Ansehen. In der aserbaidschanischen Hauptstadt fanden 2012 schon der beliebte Sängerwettstreit „Eurovision Song Contest“ und 2021 vier Fußballspiele der Europameisterschaft statt.
Protestanten sehen reiche Länder in der Pflicht
Eines der Protestgrüppchen auf dem Stadiongelände schwingt bunte Fahnen und hält Plakate hoch. Darauf steht auf Englisch: „Vermögensteuer für die Klimafinanzen“, „Klimagerechtigkeit jetzt“ oder „Besteuert die Verschmutzer“. Damit zielen die Aktivisten ins Herz der Verhandlungen, die sich an zentraler Stelle um die sogenannten Klimafinanzen drehen. Bisher zahlten die Industrieländer jedes Jahr 100 Milliarde Dollar für Programme zur Treibhausgasminderung und zur Klimafolgenanpassung in den Entwicklungsländern.
Jetzt muss dieses Instrument verlängert werden. Auch eine Ausweitung ist denkbar. Die Empfängerländer wollen mehr Geld, die Geber pochen auf höhere Klimaschutzanstrengungen der Begünstigten und darauf, dass mehr Staaten einzahlen; auch solche die nach einer überholten UN-Definition von 1992 noch immer als Entwicklungsländer gelten, es aber schon lange nicht mehr sind.
Dazu zählen vor allem China und die Förderländer von Öl und Gas, die sich an dem fossilen Boom gesundgestoßen und riesige Emissionen mitverursacht haben. Nach Meinung der alten Industrieländer müssen sie deshalb zur Klimafinanzierung beitragen.
Große Bandbreite von Geldbeträgen steht zur Diskussion
Zu diesem Zusammenhang ist von den Demonstranten heute nichts zu hören. Eine Sprecherin empört sich über den „globalen Norden“, dessen „ungebremste Gier“ die Welt an den Rand der Katastrophe geführt habe und der sich jetzt der Diskussion um höhere Zahlungen verweigere. Diese müssten statt der bisherigen 100 Milliarden Dollar künftig 5000 Milliarden betragen. „Fünf Billionen sind der Preis für die Klimagerechtigkeit“, ruft die junge Frau in das Mikrofon. „Alles andere ist eine Beleidigung für den globalen Süden und für die Angehörigen der einheimischen Gemeinschaften, die dafür mit ihren Leben bezahlen.“
Es schwirren riesige Summen umher in Baku, meist geht es um 300 Milliarden bis zu 1,3 Billionen Dollar, welche die Industrieländer aufbringen müssten, jedenfalls ein Vielfaches des heutigen Wertes. Aber es sind eben auch fünf Billionen zu hören. Die Verwirrung liegt darin, dass nicht immer klar es, ob es sich allein um öffentliches Geld oder auch um Privatkapital dreht. Und wofür die Zahlungen überhaupt gedacht sind. Bisher handelte es sich vor allem um Vorhaben zur Treibhausgasminderung, etwa über den Ausbau erneuerbare Energien, und um die Klimaanpassung, zu der zum Beispiel der Hochwasserschutz gehört.
Zur Beseitigung der schon eingetretenen klimabedingten Verluste und Schäden hat die Weltklimakonferenz in Ägypten vor zwei Jahren einen eigenen „Loss and Damage Fund“ verabredet, der seine Arbeit demnächst endlich aufnimmt. Daran beteiligten sich 2023 auf der Nachfolgeveranstaltung in Dubai auch die Gastgeber, die Vereinigte Arabischen Emirate.
Fondsmodell macht nicht Schule
Das wurde als Durchbruch und Vorbote dafür gefeiert, dass nun auch die neureichen Länder bereit seien, für die armgebliebenen in die Tasche zu greifen. Aber Schule machte das Beispiel nicht: Die im Fonds zusammengekommenen Mittel stammen weiterhin fast ausschließlich von den alten Gebern. Bei der klassische Klimafinanzierung, dem 100-Milliarden-Topf, ist das ohnehin so. Wohl auch wegen dieses Fehlschlags ist es um den einst gefeierten „Loss und Damage Fund“ merkwürdig still geworden.
Immerhin die Demonstranten in Baku erinnern noch an ihn. Allein die Fluten in Pakistan vor zwei Jahren hätten Verheerungen von 30 Milliarden Dollar angerichtet, sagt die Sprecherin. Im Schadenfonds stünden insgesamt nur 700 Millionen bereit: „Der Fonds ist nur ein Feigenblatt des globalen Nordens, die Summe ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Dabei sei genügend Geld vorhanden, die Wirtschaftsförderung während der Corona-Pandemie habe 16 Billionen Dollar gekostet. Frisches Geld könne schnell gewonnen werden, indem man Milliardäre und Klimaverschmutzer gesondert besteuere, die Militärbudgets kürze und Subventionen für die Fossilindustrie beende. „Hier geht es nicht um Almosen, es geht um Gerechtigkeit“, sagt die Protestrednerin.
Deutschland und Europa sollen vor allem zahlen
Ist das Geld wirklich da, ohne dass man andere wichtige Staatsaufgaben vernachlässigt? Ja, behauptet eine neue Studie von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die während der COP herauskam. Statt bisher knapp sechs Milliarden aus dem Haushalt könnte allein Deutschland bis zu 96 Milliarden Euro (102 Milliarden Dollar) für die Klimafinanzierung aufbringen, heißt es in der Untersuchung, die im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland, Germanwatch, WWF-Deutschland und Global Citizen entstanden ist. Die Autoren beziffern die nötige Summe, um Entwicklungsländer klimaneutral zu machen und ihre Resilienz gegen die Folgen der Klimakrise zu stärken, auf 2,4 Billionen Dollar im Jahr. Auf der ganzen Welt seien vier bis sechs Billionen vonnöten.
Der Bericht weist darauf hin, dass die armen Länder zusätzlich eine hohe Schuldenlast zu tragen hätten; deshalb fordern Regierungen und NGO seit langem, nur noch nichtzurückzahlbare Zuschüsse statt Kredite auszureichen. Durch den voraussichtlichen Wegfall der Klimafinanzierung aus den Vereinigten Staaten unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump müssten noch dringender als zuvor andere Geldquellen erschlossen werden, teilten die Studienfinanzierer mit.
Das Hauptergebnis des Papiers lautet, dass die Bundesrepublik schon im kommenden Jahr 18 Milliarden Euro und von 2026 an jährlich mindestens 36 Milliarden Euro an öffentlichem Geld mobilisieren könne, wenn sie ihre Klimafinanzierung umstelle. Mittelfristig wachse der Betrag dann auf fast 100 Milliarden Euro an. Weitere 100 Milliarden Euro könnten aus privaten Quellen stammen. Bisher steuert Deutschland insgesamt zehn Milliarden Euro (elf Milliarden Dollar) zu dem 100-Milliarden-Dollar-Topf aller Industrieländer bei.
Fehlt nur der Wille, das Geld zu beschaffen?
„An potentiellen Geldquellen mangelt es nicht, es mangelt an einem stärkeren deutschen Engagement, diese Quellen auch anzuzapfen“, schreibt die Geschäftsführerin der Klima-Allianz, Christiane Averbeck, in einem Vorwort. Der Eindruck aus den zähen Haushaltsverhandlungen, Berlin habe kein Geld, sei falsch. Eines von Averbecks Gegenbeispiel, das auch die Studie erwähnt lautet: „Zu Hause kann die Bundesregierung die Schuldenbremse reformieren, bevor sie zur Zukunftsbremse zu werden droht.“
Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt stehe in Europa nicht allein da, stellt der Bericht klar. In der EU könnten zunächst bis zu 25 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln und von 2028 an 57 Milliarden bereitgestellt werden. Die lange angestrebte Reform der internationalen Finanzarchitektur mit dem Weltwährungsfonds IWF und der Weltbank sowie der Einstieg in globale CO2-Abgaben und Mindeststeuern hätte von 2028 an ein Potential von 980 Milliarden bis zu 1,2 Billionen Euro jährlich an öffentlichen Mitteln.
Das Geld sei einzusetzen „für die internationale Klimafinanzierung, zur Absicherung der Liquidität klimavulnerabler Staaten sowie für ihren Schutz vor Überschuldung.“ Hinzu käme eine vergleichbare Größenordnung an privatem Kapital, sodass es insgesamt um bis zu 2,4 Billionen Euro (2,5 Billionen Dollar) geht, was die von den Studienautoren ausgemachte Finanzlücke schließen könnte.
Autoren fordern Abschaffung der Schuldenbremse
Eine zentrale Forderung des Reports lautet, stärker als bisher öffentliche Mittel zum Hebeln privater Investitionen zu verwenden, um Investitionsrisiken und damit auch die Kapitalkosten zu senken. Für Deutschland setzen die Autoren wie bisher jährlich sechs Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an. Hinzu müssten zusätzliche Eigenmittel der staatlichen KfW-Bankengruppe mit Schwerpunkt auf Mischfinanzierungen kommen, um mehr privates Kapital anzuziehen. Der Bericht schlägt auch „eine Reform der Schuldenbremse, gegebenenfalls in Kombination mit der Schaffung eines Sondervermögens“ vor.
Des Weiteren empfehlen die Fachleute, den staatlichen Garantie- und Gewährleistungsrahmen für klimabezogene Investitionen und Exportkreditfinanzierungen auszuweiten sowie folgende zusätzliche Finanzquellen heranzuziehen: die Anhebung der Dienstwagenbesteuerung von ein auf zwei Prozent oder alternativ eine Reform des Dienstwagenprivilegs; die Abschaffung von Steuervergünstigungen für den Diesel; die Einführung eines Inflationsausgleichs auf Energiesteuern und den CO2-Preis sowie die Wiedereinführung der Vermögensteuer.
Deutschland soll Führungsrolle einnehmen
Auf europäischer Ebene müsse die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Europäische Investitionsbank EIB und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD mehr Klimafinanzierung zur Verfügung stellten, vor allem in Form von Mischfinanzierungen als Anreiz für Privatinvestitionen. Zudem müsse in Europa eine koordinierte und harmonisierte Finanztransaktionssteuer kommen. Gleichzeitig schlägt das Papier vor, künftige Einnahmen aus der europäischen CO2-Grenzausgleichsabgabe CBAM, einer Art Klimazoll, für den Fonds zur Bezahlung von Verlusten und Schäden zu nutzen.
Flankierend könnten mehr Erlöse aus dem EU-Emissionshandel ETS eingesetzt werden, und es ließe sich die Energiebesteuerung auf Schiffsdiesel und Kerosin ausweiten. Im außereuropäischen Kontext sollte sich Deutschland unter anderem für eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen einsetzen. Ziel wäre die Aufstockung der Klimafinanzierung und der Liquiditätssicherung durch Weltbank und IWF. Sinnvoll sei auch die Ausgabe von „Klima-Sonderziehungsrechten“, womit Reserveguthaben für den Klimaschutz angezapft werden könnten. Ähnlich wie es kürzlich der G-20-Gipfel beschlossen hatte, befürwortet die Studie eine globale Milliardärssteuer und deren Nutzung für die Klimafinanzierung.
Deutschland sollte sich an einer Kapitalaufstockung für die Weltbank beteiligen und einer verstärkten globalen Besteuerung von Sektoren mit hohen Emissionen zum Durchbruch verhelfen, beginnend mit CO2-Abgaben auf Seefracht und Luftverkehr, heißt es weiter. Bei all diesen potentiellen Belastungen für Unternehmen, Verbraucher und die öffentlichen Kassen verspricht die Studie auch positive Rückflüsse: Schließlich kämen international harmonisierte Steuern und Abgaben auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland zugute.