Neuer BASF-Chef: Markus Kamieth übernimmt den Chefposten in Ludwigshafen
Und Markus Kamieth hat seine Hausaufgaben gemacht. Aufgeräumt und zugewandt ist er, offen, interessiert und wach. Gespannt sei er auf sein neues Amt, sagt er, Respekt habe er, zugleich Gestaltungswillen und, ja, Zuversicht. Ein Teamplayer, der seinen Mitarbeitern Freiheit gebe, will er sein, schließlich, das wisse jeder, habe die BASF tolle Leute. Groß und schlank ist er, kurze graue Haare, klarer Blick, er sieht jünger aus, als er ist, verheiratet, keine Kinder, Mischlingshund. Um den Kopf frei zu kriegen, fahre er am Wochenende schon mal zwei Stunden Rennrad durch den Pfälzer Wald. Allüren hat er keine, sagen die, die ihn kennen.
Die blauen Schnürsenkel in den braunen Schuhen lassen erahnen, dass ihm seine Außenwirkung wichtig ist, jetzt, da das Scheinwerferlicht häufiger auf ihn fallen wird. Auch das Foto ist ihm nicht gleichgültig, sie hätten schon das genommen ohne Krawatte?, fragt er seine Leute.
Extrovertiert wie Vorgänger Brudermüller ist er nicht
Sein Vorgänger Martin Brudermüller war in der Gaskrise als einer der lautesten Vertreter der Industrie mit drastischen Warnungen in die Öffentlichkeit geprescht. Manche sagen, er hat die Berliner Politik vor sich hergetrieben. Seit Brudermüller weiß auch der letzte Abgeordnete, dass die chemische Industrie die Mutter aller Industrien ist, ohne die in einem Industrieland wenig funktioniert. Dass es ohne Gas eben auch kein Plastik gibt, keine Lacke, kein Schäume, nicht mal künstliche Vitamine.
Weil die Krise noch nicht vorbei ist und die Industrie vor einem wahren Epochenbruch steht, wird auch Markus Kamieth mehr im Fokus sein als andere Dax-Vorstände, das ist ihm bewusst. Er werde sich weiter zu den Themen äußern, die für die BASF wichtig seien, sagt er. Auch wenn er bisher noch nicht viel Zeit in Berlin und Brüssel zugebracht habe. Eine Reise mit Wirtschaftsminister Habeck nach Indien hat er mitgemacht, eine mit dem Kanzler nach China – „da werde ich hineinwachsen müssen“. Die wachsende Kritik von Wirtschaftsverbänden insbesondere am Kanzler will Kamieth nicht kommentieren. Nur so viel: Ob der ein oder andere Austausch in der Öffentlichkeit hilfreich gewesen sei, wage er doch zu bezweifeln, sagt er. In der Vergangenheit sei man in Deutschland gut gefahren, wenn Verbände und Unternehmen vertrauensvoll mit der Politik zusammengearbeitet hätten.
Ein extrovertierter Lautsprecher wie Brudermüller ist Kamieth gewiss nicht, ein Leisetreter, wie manche vermuteten, wird der Neue an der BASF-Spitze aber auch nicht sein. Wenn Brudermüller Spaß an der Konfrontation hatte, hat Kamieth Spaß an der Analyse. Dass er im Zweifel auch auf den Tisch haut, eine Eigenart, die bei Brudermüller nie in Zweifel gezogen wurde, kann man bei Kamieth nur erahnen. Resultate seien wichtig, sagt er, das wisse er als Sportler. Geschwindigkeit auch. Motto: „Done ist better than perfect“, heißt: Endlich machen und nicht alles zu Tode planen.
Er war in China wochenlang in Quarantäne
In die Wiege gelegt war ihm die Karriere nicht. Kamieth ist kein Professorenkind wie Brudermüller. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, sein Vater war 35 Jahre lang Bergmann unter Tage, eine große Schwester hat er, er war der Erste in der Familie gewesen, der Abitur gemacht und studiert hat. Einer engagierten Kindergärtnerin und einem tollen Chemielehrer habe er seine Bildung zu verdanken. Dass es Chemie sein werde, sei ihm schnell klar geworden, auch wenn seine Eltern Sorgen hatten, wie das wohl werde mit dem Studium. Schlechte Erfahrungen als Arbeiterkind an der Universtität hat er nicht, nur dass er eben im nahe gelegenen Essen studiert habe, um weiter zu Hause günstig wohnen zu können. Ganz warm geworden ist die Mutter mit der Akademiker-Welt nie. Noch als er 2017 in den Vorstand berufen wurde, habe sie sich Sorgen gemacht, schließlich hatte ihr Junge doch gerade ein Haus in Münster gebaut.
Um ein Haar wäre Kamieth bei Bayer gelandet. Nach dem Studium hat er sich auch dort um ein Gespräch beworben, seine Bewerbung sei aber in der Bürokratie untergegangen. Der Personalverantwortliche von Bayer habe ihn später angerufen, sich entschuldigt und ihm doch noch ein Gespräch angeboten, dann aber die Telefonnummer bemerkt und schnell den Rückschluss gezogen, dass sich Markus Kamieth schon für den Konkurrenten aus Ludwigshafen entschieden hatte.
Eine Karriere am Reißbrett habe er nie geplant. Bei der BASF hätten sich eben immer wieder Gelegenheiten ergeben. Er sei immer interessiert gewesen an Neuem, an Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Ambitioniert, die Dinge besser zu machen, ohne Ambitionen auf einen bestimmten Job, so beschreibt er sich. Bei BASF hat er eine klassische Karriere hingelegt: vom Labor über den Stab des damaligen Vorstandes Stefan Marcinowski nach Amerika, wo er verschiedene Geschäfte geführt hat. Danach verantwortet er den Unternehmensbereich Coatings in Münster, seit 2017 ist er im Vorstand, seit 2020 verantwortlich für das gesamte Geschäft in Asien: offizieller Dienstsitz Hongkong.
„Der Muskel der BASF“
Seine Eltern haben die Berufung zum Vorstandschef des größten Chemiekonzerns der Welt nicht mehr erlebt. Seine Herkunft allerdings präge ihn bis heute, sagt er. Als Kind des Ruhrgebietes habe er Respekt vor ehrlicher Arbeit und habe gelernt, was Strukturwandel bedeute – für eine Region und für die Menschen.
Strukturwandel ist vermutlich noch untertrieben, für das, was der chemischen Industrie bevorsteht. Der Klimawandel erzwingt einen tiefgreifenden Umbau der Produktion weg von Öl und Gas hin zu erneuerbaren Energien und Wasserstoff. Die hohen Energiepreise stellen ganze Wertschöpfungskette in Europa infrage. Das Werk in Ludwigshafen, Stammsitz und mit fast 40.000 Beschäftigten das größte zusammenhängende Chemieareal der Welt, macht aktuell erhebliche Verluste.
Noch-Vorstandschef Brudermüller hat dem Konzern eine Vorreiterrolle in der Dekarbonisierung verordnet, gerade hat BASF für Milliarden den zweiten Windpark gekauft, um die Produktion zu elektrifizieren, zugleich streicht der Konzern zum zweiten Mal in kurzer Zeit Stellen, im Stammwerk sollen die Kosten um eine Milliarde Euro im Jahr runter. Ob und welche Teile der Basischemie dauerhaft überhaupt noch in Europa produziert werden können, ist nicht klar. Wie kommt der nötige Grünstrom und Wasserstoff ins Werk, wie das abgeschiedene CO2 raus? Auch das sind ungeklärte Fragen.
Kamieth sagt, die Lage sei weder schwarz noch weiß. Die Chemieindustrie müsse sich wandeln, aber das habe sie schon immer getan. Europa müsse damit leben, dass Energie und Gas teuer blieben. Aber Innovation sei schon immer „der Muskel der BASF“. Der Standort in Ludwigshafen sei groß genug und leistungsfähig genug, um die Zukunft selbst zu gestalten. Elementar sei, dass die deutsche und europäische Politik die Bedeutung der Industrie erkenne. „Wir können nicht nur von Finanzdienstleistungen und Service leben.“ Er habe den Eindruck, dass sie diese Erkenntnis auch immer mehr durchsetze, auch in der EU, wo der Green Deal anfangs beschlossen worden sei, ohne die Industrie mitzunehmen.
Konkrete Pläne nennt Kamieth noch nicht. Im zweiten Halbjahr will er mit dem neu formierten Vorstand eine runderneuerte Strategie vorstellen. Erfolg lasse sich nicht auf eine Kennzahl herunterbrechen, sagt er. Profitables Wachstum sei ein Ziel, dazu: „BASF zum bevorzugten Unternehmen der Transformation der Kunden zu machen“. Warum zum bevorzugten und nicht gleich zum besten Unternehmen?, fragt jemand. Der Beste zu sein sei nur eine Selbstbeschreibung, antwortet Kamieth.
Eine Hundertachtziggradwende wird der neue BASF-Chef nicht vollziehen, schließlich ist er seit Jahren Teil der Führung. Auch die Chinastrategie verteidigt er, BASF werde weiter in China investieren. Als Asien-Vorstand selbst für den neuen bis zu 10 Milliarden Euro teuren Großstandort in Südchina verantwortlich, hat er vor Ort erlebt, wie sich China durch Corona veränderte, zeitweise war er bei seinen Reisen bis zu drei Wochen am Stück in Quarantäne. Trotz der Veränderungen bleibe China mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent an der Chemieproduktion der mit Abstand wichtigste Wachstumsmarkt. Und ausländische Investoren sind nach seinen Worten „derzeit so willkommen wie lange nicht mehr“. Die Produktion in China sei für China gedacht, sie werde von China aus finanziert. Er werde, sagt er, ein kritisches Auge darauf halten.