Neuer Almodóvar-Film „The Room Next Door“: Krebs ist Krieg – WELT

In dem Krieg, den die Kriegsreporterin Martha jetzt zu kämpfen hat, ist sie ganz allein: Gebärmutterhalskrebs. Sie entschließt sich, mithilfe einer Pille zu sterben. Pedro Almodóvars Film „The Room Next Door“ fragt, wie viel Angehörigen zuzumuten ist.

Es gibt Kriege, die sind besser als andere, sagt Martha (Tilda Swinton) zu Ingrid (Julianne Moore), während sie durch einen Buchladen schlendern und durch Frontberichte blättern. Martha ist Kriegsreporterin. Ihre Freundin schreibt Bücher über die Angst vor dem Tod. Ein andermal erklärt Martha: An der Front war sie nie allein, es gab immer die anderen Reporter. In dem Krieg, den sie jetzt zu kämpfen hat, ist sie jedoch ganz allein. Er heißt Krebs. Genauer: Gebärmutterhalskrebs im Endstadium. Eine Krebsart, an der in Deutschland jedes Jahr etwa 4320 Frauen erkranken.

Der Krieg werde sonst immer männlich dargestellt, so lautet ein anderer der vielen reflektierten Sätze Marthas. Nicht so jedoch in dem Film „The Room Next Door“, der kein typischer Pedro Almodóvar wäre, würde der in der Dreifachrolle als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor aufgehende Spanier nicht selbst die Krankenhauszimmer in knalligen Neonfarben erstrahlen und wie ein Luxusresort aussehen lassen sowie die Frauen und ihre alternativen Familienmodelle so zelebrieren wie kaum ein anderer Filmemacher.

Den Kampf gegen die Krankheit, den die ehemalige Kriegsreporterin zu fechten hat, kann sie nicht mehr gewinnen. Deshalb hat sie den Plan gefasst, mit Würde aus dem Leben zu gehen. Selbstbestimmt, bei klarem Bewusstsein und an einem Ort ihrer Wahl. Aber vor allem: nicht allein. Es soll jemand bei ihr sein, im Raum nebenan – daher der Titel –, während sie die Sterbepille nimmt, die sie sich illegal im Darknet beschafft hat. Daher fragt sie ihre Freundin Ingrid, ob die bereit sei, ihr einen Monat lang in einem außerhalb von New York gemieteten, traumhaften Apartment Gesellschaft zu leisten. Ein Hopper-Gemälde hängt dort, „People in the Sun“. Ob es echt sei, fragt sich Martha. Falls nicht, sei es eine sehr gute Kopie. Wie eine sehr gute Kopie liegt auch die Wohnung da, die Martha sich zum Sterben ausgesucht hat: mit zwei Liegen neben dem Pool, mit Blick auf den Wald, in dem an einem Tag die Vögel singen und am anderen die Schneeflocken rieseln. Gegessen wird hier nichts außer orangefarbenen Karotten und roten Erdbeeren.

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Ob sie nicht lieber jemanden fragen wolle, der ihr näherstehe, fragt Ingrid. Die habe sie alle schon gefragt, sie hätten nein gesagt. Solche Dialoge mit ihrem Sarkasmus und ihrer Bodenhaftung sind es, die jeden Kitschverdacht beseitigen. Umgekehrt retten komödiantische Szenen wie die, in der die Todkranke bei der Ankunft in der Ferienwohnung merkt, dass sie ausgerechnet ihre Sterbepille zu Hause vergessen hat, den Film davor, im Ernst seines Sujets zu erstarren. Solche charmanten Wendungen gibt es genau zwei Mal – die andere soll hier nicht verraten werden –, aber man hätte sich noch weit mehr davon gewünscht. Denn „The Room Next Door“ ist zwar kein deprimierender oder grausamer Film geworden – aber ein relativ vorhersehbarer: Eine Frau erkrankt an Krebs und will dem Tod mit einer Pille (und der Hilfe ihrer Freundin) zuvorkommen.

Bei dieser Prämisse bleibt es, nichts Unerwartetes unterbricht die genau vorbereitete Tat. Die starke Ästhetisierung des Geschehens erzeugt die sichere Distanz, die man zu den Figuren und ihrem Leiden einnimmt. Dass diese durchaus beabsichtigt ist, darauf deutet auch die Pose hin, in der Martha schließlich den Tod begrüßt: Mit rot geschminkten Lippen und strahlender Kleidung liegt sie mitten am Tag im Sonnenschein auf einer der Liegen. Eine Choreografie des Todes, der es ihrer Freundin, die sie so auffindet, ermöglicht, gefasst zu reagieren. Auf die Tränendrüse zu drücken, ist nicht das Ziel dieses Films, sondern die Fassung zu bewahren, mit jeder einzelnen Einstellung. Damit reiht sich Almodóvar ein in die Reihe aktueller Kino-Reflexionen über den Suizid und die Frage, wie viel Beistand wir dafür von unseren Freunden erwarten dürfen, wie Matthias Glasners „Sterben“ oder auch Emily Atefs „Mehr denn je“.

Entscheidung zum Freitod

Von der Chemotherapie konzentrationsgeschwächt, verliert die Kranke zunehmend ihre Fähigkeit, die kleinen Freuden des Alltags zu genießen. Sie kann nicht mehr schreiben, nicht mehr lesen. Nur nachts, da denkt sie an all die Männer, mit denen sie in ihrem Leben geschlafen hat. Der Sex erscheint in dem Krebs-Kriegs-Melodram als einziger Ausweg aus der Misere, als einzige Strategie, um der Allgegenwart des Todes für einige Momente zu entkommen. Der Krieg habe sie zu einer promiskuitiven Frau gemacht, so Martha. In Rückblenden, die Almodóvar dezent einsetzt, begegnen wir Kriegsheimkehrern und Kriegsreportern, die sich in der Erotik ein Refugium schaffen.

Auch Damian (John Turturro), der ehemalige Liebhaber beider Freundinnen, kann spätestens seit der Pandemie und angesichts von Klimawandel, Rechtsextremismus und Neoliberalismus nur noch das Eine genießen. „Wir leben in einer Welt, die sich im Todeskampf windet“, lautet seine deprimierende Gegenwartsdiagnose. Ähnlich von zeitpolitischen Strömungen gebeutelt ist Ingrids Personal-Trainer, der klagt, dass er heutzutage seine Kunden nicht mehr anfassen dürfe, weder für eine Umarmung noch zur Haltungskorrektur, ohne sogleich eine Klage befürchten zu müssen. Es ist die Stärke des Films, jene philosophischen Einlassungen weder als Satire wegzulächeln noch sie allzu ernst zu nehmen.

In „The Room Next Door“, der auf Sigrid Nunez Roman „What are you going through?“ basiert, bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde und Almodóvars englischsprachiges Spielfilmdebüt darstellt, ringen alle Figuren auf ihre Weise mit der Vergänglichkeit und den Zumutungen des Gegenwärtigen. In mehrfacher Hinsicht präsentiert Almodóvar, Regisseur von Meisterwerken wie „Alles über meine Mutter“, „Volver“ und „Sprich mit ihr“, hier sein Alterswerk. Eines, das das Altern nicht nur zum Gegenstand erhebt, sondern auch lebloser, entschiedener, melancholischer in sich ruht als seine Vorgänger.

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Es ist ein Film, in dem zwar unaufhörlich von Sex die Rede ist, in dem aber niemand mehr Sex hat. Ein Film, in dem keine Kinder geboren werden, und das einzige, dessen Geburt in einem Rückblick angedeutet wird, entfremdet sich später so sehr von seiner Mutter, dass ein Gespräch zwischen den beiden Frauen selbst angesichts des nahenden Todes nicht mehr möglich scheint. „Es ist deine Entscheidung“, sagt die Tochter nur zur Mutter über deren Entscheidung zum Freitod, ein Satz, den die Mutter als Formel der Kälte schlechthin interpretiert. Und auch davon, von Missverständnissen und ihrem Gegenrezept – dem Wohlwollen – handelt diese genau durchdachte Meditation über den Krebs.

Source: welt.de