NEue Sicherheitsstrategie: Extra Amerika jammern hilft nicht

Guten Morgen! Nur das kann man deutschen und europäischen Politikern zurufen, die erstaunt sind über die neue Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten. Sie ist der (vorläufige) End- und Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung, die schon vor Trump begann: Amerika ist der Rolle als globale Ordnungsmacht überdrüssig, und es definiert seine Interessen wieder eng.

„Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die Eliten der amerikanischen Außenpolitik davon überzeugt, dass eine dauerhafte Vorherrschaft der USA über die ganze Welt im besten Interesse unseres Landes sei“, lautet ein Kernsatz der Sicherheitsstrategie. „Die Angelegenheiten anderer Länder gehen uns jedoch nur dann etwas an, wenn ihre Aktivitäten unsere Interessen direkt bedrohen.“

Man kann sich darüber streiten, ob die USA nach 1990 wirklich so selbstlos handelten, wie es hier dargestellt wird. Der Krieg in Afghanistan war immerhin eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 und die daraus resultierende Bedrohung durch den globalen Dschihadismus, die Amerika direkt betraf. Aber der Misserfolg dieser Intervention, ebenso wie der im Irak, führte schon unter Obama zu Interventionsmüdigkeit und Rückzugsbestrebungen; wirtschaftlich kam die Erfahrung mit der Deindustrialisierung durch Freihandel hinzu (Stichwort „rust belt“), die bereits bei Biden zu Protektionismus führte.

Anspruch auf Lateinamerika

Bei Trump führt das nun alles zu einer konzeptionellen Flucht in die Gründerjahre der Vereinigten Staaten. Von George Washington stammt die Einschätzung, dass Europa eine Reihe von Interessen habe, die für die USA gar nicht oder nur sehr entfernt von Belang seien.

Das kommt der Weltsicht der aktuellen Sicherheitsstrategie nicht nur sprachlich nahe. Auch die Rückbesinnung auf die westliche Hemisphäre, die ein Kernelement des Dokuments ist, ist ein Rückgriff auf frühe Tage des Landes, nämlich auf die Monroe-Doktrin aus dem 19. Jahrhundert: Schon damals wollten die Vereinigten Staaten sich von Europa abkoppeln und beanspruchten Lateinamerika für sich.

Das alles besser zu verstehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, scheitert in Europa nicht nur an unzureichender historischer Bildung. Zu den Punkten, in denen Trumps ­Autoren richtig liegen, zählt der Abschnitt über Europas Mangel an Selbstbewusstsein. Dass die Europäer gegenüber Russland einen bedeutenden Machtvorteil in fast jeder Hinsicht genießen, trifft zu. Sie machen aber zu wenig daraus, wie die vielen zähen Debatten über die Unterstützung der Ukraine zeigen, über ihre eigene Aufrüstung und ihre Unfähigkeit, Russland härter zu sanktionieren.

Trump hatte recht, als er den Europäern vor Kurzem vorhielt, dass sie immer noch Öl und Gas bei Putin kaufen. Und leider stimmt auch, was in der Sicherheitsstrategie über Europas wirtschaftlichen Niedergang steht. Jetzt macht sich bemerkbar, wie viele Weichen hier in der Vergangenheit falsch gestellt wurden, von der Energie- bis zur Klimapolitik. Sie haben Europa aus der ersten Liga der Weltpolitik geworfen.

Die Sicht auf Russland

Problematisch sind in dem Papier dagegen die Aussagen zur europäischen Innenpolitik. Die Warnung vor den Folgen von Massenmigration sind nicht falsch, aber dass Europa „in 20 oder weniger Jahren“ nicht mehr zu erkennen sein könnte, ist übertrieben. Nicht nur in Deutschland hat man damit begonnen, die Migrationspolitik zu ändern. Auch die Meinungsfreiheit ist in Europa nicht so stark unter Druck, wie in der Strategie behauptet wird.

Ohne Zweifel gibt es Übertreibungen, auch beim Anzeigeverhalten mancher deutscher Politiker. Das US-Verständnis ist hier traditionell breiter. Diesen Konflikt werden die Trumpisten aber aushalten müssen, wenn sie Europa wirklich noch für „strategisch und kulturell lebenswichtig für die Vereinigten Staaten“ halten, wie es an anderer Stelle heißt.

Das größte Problem in der Strategie ist die Sicht auf Russland. Während gegenüber China wenigstens noch der Wille zur militärischen Abschreckung bekundet wird (wenn auch nur mit den Verbündeten), ist bei Russland nur vage von der Wiederherstellung strategischer Stabilität die Rede. An der haben auch die Europäer ein Interesse, denn wie es in der Strategie richtig heißt, sind die nuklearen Kapazitäten ja der eine Punkt, an dem sie Russland unterlegen sind. Ein Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung fehlt aber an dieser Stelle, und zur Zukunft der NATO findet sich nur die Feststellung, dass sie keine sich unendlich erweiternde Allianz sein solle.

Das mag realistisch sein, aber es ist im Augenblick vor allem ein Zugeständnis an Putin. Kein Wunder, dass das Dokument in Moskau mit Lob aufgenommen wurde. Aber auch hier gilt für Europa: Jammern hilft nicht. Wenn Amerika sich zurückzieht, dann müssen wir Russland sehr viel stärker selbst abschrecken.

Source: faz.net