Nass! – Von Wasserkanonen und Poolspritzen: Zehn Fakten hoch die Wasserpistole

A

wie Anwohner

Ruhig leben wollen die Menschen. Da stört lautes Taubengurren am frühen Morgen genauso wie nächtlicher Partylärm. Den es auch in Weimar gibt, aber noch ist es nicht so weit, dass Weimarer sich mit Kinderspielzeug gegen Touristen wehren. Gegen Tauben schon. Da erblickte ich auf dem Balkon meiner Verwandten einen kleinen Revolver. „Ist nur eine Wasserpistole“, sagte sie, „gegen die Tauben, die scheißen mir doch alles voll.“ Ein kräftiger Strahl schoss in die Luft, und von der Dachrinne war eiliges Flattern zu hören. Nur einen Moment. Dann kamen die Tauben wieder. Aus Barcelona sollen Touristen dauerhaft vertrieben werden: Wer kürzlich auf der Rambla zum Mittagessen saß und Wein trank, wurde von Demonstranten mit Wasserpistolen attackiert. „Barcelona ist nicht zu verkaufen“ stand auf Plakaten und „Touristen geht nach Hause“. Sie sperrten zudem Restaurant-Terrassen mit rot-weißem Absperrband. Eine Reaktion auf die steigenden Wohn- und Lebenshaltungskosten in der Stadt. Irmtraud Gutschke

D

wie Dusche

Platsch! Wie in einer Dusche ergießt sich der ganze Tank in einer Sekunde über dem Ziel. Mehr als einen Liter können die Pistolen der Serie Flash Flood auf einmal verschießen. Diese gehört zur Marke Super Soaker, mit der seit den 1990ern eine neue Ära der Wasserpistolen begann, die den Markt revolutionierte. Mit viel Werbeaufwand sollten Kunden mit Wasser bewaffnet in Teams gegeneinander antreten. Kern der Super Soaker ist ein eigens entwickeltes Drucksystem, das durch einen Pumpmechanismus gespeist wird. Aus einfachen Drück-und-Sprüh-Appparaten wurden ausgefeilte Geräte, die etwa konstante Wasserstrahlen ermöglichen und über ungekannte Reichweiten verfügen. Einige Modelle können in mehrere Richtungen schießen. Auch Elektromotoren waren schon im Einsatz, um das gegnerische Team ordentlich einzuweichen. Tobias Prüwer

F

wie Ferragosto

Jeden 15. August herrscht in ganz Italien der Ausnahmezustand. Dann sind die großen Städte leergefegt, abgesehen von Touristen (→ Anwohner). Dieser Tag ist oft der heißeste in Italien. Der römische Kaiser Augustus hat am 15. August einen Feiertag zu seinen Ehren – auf Latein die feriae Augusti – eingeführt. Schon in der Antike wurde ausschweifend gefeiert. Partys am Strand, Picknick, Wasserpistole, Lagerfeuer, Gitarre. Aber was, wenn kein Strand in der Nähe ist? Nirgends eine Wasserpistole zu bekommen? Dann hilft man sich eben mit Gavettoni aus: Plastikballons, die voller Wasser sind, wenn sie geworfen werden, explodieren sie: Wasserbomben. Ihr Ursprung liegt im Wort gavetta, was einen Behälter beschreibt, der vom Militär verwendet wurde. Darauf gründet auch diese Tradition. Zuerst hat man sich in den Kasernen zu Ferragosto und auch am letzten Schultag mit Wasser angeschüttet. Wer an heißen Tagen weder Wasserpistole noch Gavetta hat, nimmt einfach Eimer. Oder bastelt die Spaßbomben selbst. Maxi Leinkauf

H

wie Hundeerziehung

Eine bekannte Methode der Hundeerziehung ist die Benutzung von Wasserpistolen. Wenn der Hund etwas tut, was er nicht tun soll, wird er mit einer Wasserpistole angespritzt. Sie ist jedoch umstritten, da sie unerwünschte Verhaltensassoziationen und eine Bindungsstörung zwischen Hund und Besitzerhervorrufen kann. Es wird empfohlen, auf Dosierung und Timing zu achten und keineswegs das Gesicht zu treffen. Warum macht man das überhaupt? Wenn wiederholt auf die gleichen Aktionen immer die gleichen Reaktionen folgen, merkt sich das Gehirn das automatisch. Das bewies der russische Wissenschaftler Iwan Petrowitsch Pawlow mit seinem Experiment: „Pawlowscher Hund“. Physisch ist die direkte Bestrafung harmlos, der Lerneffekt schnell. Doch die Hunde könnten dadurch Angst vor Wasser bekommen. John Müller

K

wie Kriegsspiel

Meine Mutter wäre eingeschritten, auch wenn es nur eine Wasserpistole gewesen wäre. Sie war als junge Frau Funkerin bei der Wehrmacht gewesen, umso mehr hasste sie kriegerisches Getue. „Wer eine Waffe in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ Bis heute habe ich’s im Ohr. Natürlich geschieht „Aufrüstung“ auf dem Spielzeugmarkt, um mit neuen Produkten Profit zu machen (→ Dusche). Doch muss ich sie gerade heute zugleich als Spiegel der militärischen empfinden. Zu DDR-Zeiten sollte unser Peter kein Kriegsspielzeug in die Hände bekommen. Der gute Vorsatz aber war nicht durchzuhalten. Als er sich mit einem Nachbarsjungen „duellierte“ und nur ein Holzstück in der Hand hatte, tat er mir leid. Von einer meiner Reisen mit einer Autorengruppe nach Moskau brachte ich ihm aus dem riesigen Kinderkaufhaus „Detskij Mir“ eine rote Wasserpistole mit. Wie hat er sich gefreut! Dass „Mir“ im Russischen zugleich „Welt“ und „Frieden“ bedeutet, dabei habe ich mir damals überhaupt nichts gedacht. Irmtraud Gutschke

R

wie Retro

Mit Ostalgie und DDR-Retro wird viel Schindluder getrieben. Da gelten plötzlich die hässlichsten Plaste-Eierbecher in Hahnenform als Kult. Wirklich bemerkenswert im Design ist die Wasserpistole Modell Filou. Sie stammt aus den Siebzigern und hebt sich ästhetisch angenehm von ihren kantigeren blauen und grünen Nachfolgern ab. Diese futuristische, wie aus einem Science-Fiction-Film stammende Spritzpistole (→ Dusche) gab es in Gelb und Rot. Eine halbrund gewölbte Griffschale sitzt am kurzen Lauf, der aufgrund seines geriffelten Endstücks ein bisschen wie die Phaser aus Star Trek anmutet. Der große kreisförmige Abzugsbügel rundet das schicke Design ab. Etwa 15 Euro verlangen Onlineanbieter. Das ist ziemlich viel für ein einfaches Plastikteil, aber relativ wenig gemessen daran, was man für ähnliche Vintage-Objekte sonst so berappen muss. Tobias Prüwer

U

wie Umberto Eco

„Gewehre. Doppelläufige. Mit Repetiermechanik. Schnellfeuer- und Maschinengewehre“, dazu „Trommelrevolver, Colts, Rifles, Winchesterbüchsen“, würde er ihm als Spielzeuge schenken, wenn er aus dem Kuscheltieralter heraus wäre, schreibt Umberto Eco 1964 an Stefano, seinen gerade dreijährigen Sohn. In diesem Brief, der 1993 in dem Band Platon im Stiptease-Lokal. Parodien und Travestien (dtv) auf Deutsch erschienen ist, erklärt der italienische Philosoph seinem Sohn, wie er nicht trotz, sondern wegen des Kriegsspielzeugs seiner Kindheit zum Pazifisten wurde, der es geschafft hat, 18 Monate Militärdienst zu absolvieren, ohne ein Gewehr zu berühren. „Denn ein Gewehr ist (…) ein Anstoß zu einem Spiel. Mit ihm musst du eine Situation erfinden, ein Beziehungsgeflecht, eine Dialektik von Ereignissen.“ Im Spiel könne man Konflikte verstehen lernen, etwa wer wen warum zum Bösen erklärt (→ Zaubertinte). Um dann zusammen für die Richtigen zu kämpfen. „Gegen die Schnapshändler und Landräuber im Wilden Westen und mit den Sklaven gegen die Sklavenhalter.“Michael Suckow

V

wie Verbrechen

Mit Wasserpistolen wird nicht nur gespielt. Immer wieder zücken Männer sie, um Raubüberfälle zu begehen. Im Januar überfiel auf diese Art ein Schotte ein Wettbüro. Und in Köln bestahl 2023 ein Mann so eine Bäckerei. Doch ist die Wasserpistole eine Waffe? „Nein“, urteilte 2011 der Bundesgerichtshof. Damals hatte ein Mann gegen seine Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung geklagt. Für den Überfall einer Sparkasse sollte er viereinhalb Jahre ins Gefängnis gehen. Doch der BGH entschied, eine „grellbunte Spielzeugpistole“ (→ Retro) sei keine Waffe, das Verfahren wurde neu aufgerollt. Skandalös ist der Fall von Rolf Kaestel, der in den USA 40 Jahre in Haft saß. Er hatte 1981 einen Taco-Laden mit einer Wasserpistole überfallen – und 264 Dollar erbeutet. 2021 wurde Kaestel im Alter von 70 Jahren aus der lebenslangen Haft entlassen. Ben Mendelson

W

wie Watergun

Wasserpistolen sind in der Popmusik Mangelware. Keiner besingt sie, feiert sie. Keiner außer Remo Forrer, dessen großer Hit Watergun im vergangenen Jahr in seiner Schweizer Heimat an die Spitze der Charts stürmte. Der 2001 geborene Sänger und Voice-of-Switzerland-Sieger vertrat die Schweiz beim Eurovision Song Contest 2023 mit seinem pazifistischen Wasserpistolen-Song, in dem es heißt: „I don’t wanna be a soldier, soldier / I don’t wanna have to play with real blood / ‚Cause we ain‘t playin’ now / Can’t turn and run / No water guns / Just body bags that we’ve become.“ Man kann diese Mainstream-Pop-Ballade kitschig oder blauäugig finden, doch kommt sie von Herzen: „Ich möchte mit ,Watergun’ berühren“, sagt Forrer. „Wir, insbesondere meine Generation, sind heutzutage mit globalen Krisen und Kriegen konfrontiert. Dennoch habe ich Hoffnung, dass wir etwas verändern können.“ Und so sehe er den Song als einen Appell für Frieden und für eine hoffnungsvolle Zukunft. Nieder mit den Waffen (→ Kriegsspiel). Nur Wasserpistolen bleiben erlaubt! Marc Peschke

Z

wie Zaubertinte

In 3nach9, einer Fernseh-Talkshow der Nordkette, war Anfang 1982 Fritz Teufel zu Gast. Er und andere waren 1967 wegen eines „Attentats“ festgenommen worden: Sie wollten gefährlich scheinende Tüten auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey werfen, die aber, wie sich zeigte, nur Pudding, Joghurt und Mehl enthielten. Nicht nur die Springer-Presse war blamiert, denn sie hatte den Horror gesehen. In der Talkshow erinnerte Teufel daran, indem er mit den Worten: „Ich möchte einmal einen Bundesminister nass machen“ den ebenfalls anwesenden Bundesfinanzminister Hans Matthöfer (SPD) aus einer Wasserpistole mit Zaubertinte beschoss. Das Publikum lachte! Doch der Witz war daneben. An jenem Spaß-Attentat (→ Ferragosto) hatte auch Dieter Kunzelmann teilgenommen, der die Tüten später durch Molotowcocktails ersetzte. Michael Jäger