Nahost: Kanzler Scholz ändert aus jener Not hervor die Akzente jener Israel-Politik

Am 11. August hat Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Telefonat versucht, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu überzeugen, die „destruktive Spirale der Vergeltungsgewalt“ zu beenden und bei den in Katar anstehenden indirekten Verhandlungen mit der Hamas „konstruktiv“ auf einen Waffenstillstand hinzuarbeiten. Womit doch auch das Leid der noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln beendet werden könne.

Dass Scholz damit von der Formel, Israel habe „jedes Recht, sich zu verteidigen“ abgewichen ist, sollte registriert werden. Aber diese Akzentverschiebung kam wohl nur in der Hoffnung zustande, dass eine Waffenruhe in Gaza „ein entscheidender Schritt zu einer regionalen Deeskalation“ werden könne. Die Gefahr eines Flächenbrands war noch nie so groß wie jetzt. Und die Folgen eines militärischen Konflikts mit dem Iran und der mit ihm verbündeten „Achse des Widerstands“ dürften für die Europäer ebenso gravierend sein wie der Krieg in der Ukraine.

Macron rief nicht nur in Israel an, sondern auch in Teheran

Letztlich hat Scholz mit seiner Initiative fortgesetzt, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer bereits am 7. August unternommen hatten. Starmer, dessen Schwiegerfamilie in Israel lebt, mahnte bei einem Treffen mit Israels Präsident Jizchak Herzog am Rande der Olympischen Spiele einen „klaren und dringend erforderlichen Waffenstillstand“ an, eine verbesserte humanitäre Lage im Gazastreifen sowie das „unveräußerliche Recht“ der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Außerdem telefonierte er mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas.

Macron rief nicht nur in Israel an, sondern telefonierte sogar mit dem neugewählten iranischen Präsidenten Masud Peseschkian und bat um Zurückhaltung der „Achse des Widerstands“. In Teheran hat man dies vielleicht als Wink verstanden, dass eine solche Zurückhaltung mit verminderten westlichen Sanktionen und einer Wiederaufnahme der Verhandlungen im Sinne des von den USA 2018 (Präsident Trump) einseitig gekündigten Atomvertrages honoriert werden könnte. Von allen Risiken für Teheran einmal abgesehen, sind das womöglich Gründe, mit dem annoncierten Vergeltungsschlag zu warten. Da Israels Verbündeten an dessen Sicherheit viel gelegen ist, wären Verhandlungen mit dem Iran jetzt eine Möglichkeit, die ernsthaft geprüft werden sollte.

US-Rückendeckung für Netanjahu steht unverändert

Allerdings scheinen die Ermahnungen befreundeter Regierungschefs für die Regierung Netanjahu nur Schall und Rauch zu sein. Man bereitet sich demonstrativ auf medizinische Notlagen im eigenen Land vor und zeigt außerdem durch etliche Provokationen, dass man einem Frieden zum jetzigen Zeitpunkt keine Chance geben will. Das zeigte sich durch den Entzug der Akkreditierung von acht Diplomaten aus Norwegen, die seit der Anerkennung Palästinas durch die Regierung in Oslo auch Ansprechpartner für die Autonomiebehörde waren.

Innenminister Itamar Ben-Gvir besuchte erneut den Tempelberg und forderte, dass künftig dort auch Juden das Beten erlaubt sein müsse. Vor allem aber werden die Militäroperationen in Gaza fortgesetzt, wobei große, oft bereits mehrfach vertriebene Bevölkerungsgruppen aufgefordert werden, die vorgesehenen Kampfzonen zu verlassen. Dies bedeutet konkret, dass sie aus ihren Notquartieren in sogenannte „Sicherheitszonen“ verjagt werden.

Die Regierung in Jerusalem kann sich das alles nur erlauben, weil sie nach wie vor Rückendeckung aus den USA erhält. Deren vor der libanesischen Küste aufgefahrene Kriegsflotte wird Tag für Tag erweitert, um im Fall der Fälle eine zweite Front gegen die Hisbollah zu eröffnen.