Mutige Charité-Mitarbeiterin: „Zu Gunsten von meine Kollegen ringen, dasjenige kann ich“

Kartoffeln, Sauce, Gemüse – was Menschen in Berliner Krankenhäusern essen, hat Agnieszka ihnen aufs Tablett gelegt. Die 43-Jährige arbeitet in der Küche der Charité. Angestellt ist sie bei der Charité CFM Facility Management GmbH, über die alle nichtmedizinischen und nichtpflegerischen Berufe laufen. Aufsehen erregte die Belegschaft im Sommer, als sie für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld streikte.

Auch Agnieszka Jastrzebska engagierte sich, wurde laut und sichtbar – für sich selbst, aber vor allem für ihre Kolleg*innen. Wir treffen uns vormittags und sitzen vor einem Café in der Nähe des Krankenhauses. Nach unserem Gespräch muss Agnieszka zur Spätschicht.

der Freitag: Agnieszka, wie bist du zur Charité gekommen?

Agnieszka: Eigentlich bin ich Bekleidungstechnikerin. Ich habe versucht, in meinem Beruf in Deutschland zu arbeiten. Aber ich wurde jedes Mal verarscht. Es sollten Mini-Jobs sein, aber am Ende war es immer Arbeit ohne Vertrag. Die Kunden waren reiche Leute. Ich musste mir immer ihre Probleme anhören. Zum Beispiel: Ein Rock ist ein bisschen zu kurz und die Welt geht unter. Da habe ich mich entschieden, lieber etwas Gutes für andere Menschen zu machen. Das Angebot habe ich von der Arbeitsagentur bekommen und ich dachte: Okay, Großküche Krankenhaus, vielleicht kann ich so kranken Menschen helfen und in einem großen Unternehmen dann auch besser Deutsch lernen. Seit 2016 bin ich an der Charité, also jetzt neun Jahre. Ich habe sofort gefühlt: Das ist mein Platz. Weil die anderen Leute, mit denen ich arbeite, genau die gleichen Probleme haben wie ich.

Welche sind das?

Existenzängste, Geld, Probleme zu Hause. Ganz normales Leben. Ich habe mich dort nicht beschimpft gefühlt mit meinem verkehrten Deutsch. Vor dem Streik habe ich mich nicht getraut, mit echten Deutschen Deutsch zu sprechen.

Durch den Streik hat sich das geändert?

Ja, total. Wir hatten Unterstützung von „Berlin steht zusammen“, „Gesundheit statt Profite“ und Verdi. Die Leute haben uns Mut gegeben: Ja, ihr seid Ausländer, aber wir sind alle gleich. Egal ob wir korrekt sprechen oder nicht. Wir sind gleich viel wert. Ich habe gemerkt: Es ist wichtig, was wir zu sagen haben.

Bloß für mich selbst kämpfen, das ist schwierig. Aber für die Kollegen kann ich das

Wie kamst du zum Streik?

Eine Person vom Betriebsrat hat mich gefragt, ob ich dabei sein möchte. Und erst dachte ich: Oh je, vielleicht verstehe ich die Hälfte auf Deutsch nicht und kann dort auch nicht sprechen. Aber dann haben sie gesagt, du bist da nicht allein, wir helfen dir. Wenn du etwas nicht verstehst, fragst du einfach. Und wirklich, sie haben geholfen, wenn ich mal ein Wort auf Deutsch gesucht habe. Das war so eine tolle Unterstützung.

Welche Rückmeldungen hast du von deinen Kolleg*innen bekommen?

Meine Arbeitskollegen haben gesehen, dass sie mir vertrauen können. Ich bin besser im Zuhören als im Sprechen. Wenn ich sehe, es geht jemandem nicht gut, helfe ich. Bloß für mich selbst kämpfen, das ist schwierig. Aber für die Kollegen kann ich das. Ich habe dort meinen Platz gefunden und kann mir nicht vorstellen, woanders zu arbeiten. Obwohl meine Arbeit wirklich anstrengend ist.

Was genau machst du in einer Schicht?

Wir kochen kein Essen, wir tablettieren Essen. Ich nehme das Essen aus Behältern, jemand stellt Teller auf ein Laufband und ich packe das Essen auf den Teller. An dem Band stehen zehn Leute. Vorne steht eine Person, die macht die Tabletts auf das Band. Die nächste Person stellt die Teller aufs Band. Ein Mittagessen hat drei oder vier Komponenten. Je nachdem, wie viele Komponenten es gibt, so viele Personen stehen am Band. Bei Saucen kann es mehrere geben, zum Beispiel drei Saucen. Auf dem Band liegt auch der Zettel mit dem Namen der Patienten und welche Komponenten bestellt wurden. Kartoffel oder Fleisch oder vegan. Man denkt vielleicht, das sei einfach, das ist es aber nicht. Ich stehe zum Beispiel bei den Kartoffeln. Aber da sind nicht nur Kartoffeln, sondern auch Reis oder Nudeln. Man muss sich sehr konzentrieren.

Viele Arbeitgeber denken, unsere Arbeit wäre nicht so wichtig. Unsere Arbeit könnte jeder von der Straße machen

Für wie viele Menschen tablettiert ihr das Essen?

Es sind ungefähr jeden Tag 6.000 Essen. Und das Band läuft schnell. Wir müssen tablettieren und das Geschirr spülen. Manchmal gehen an einem Tag 2.000 oder 3.000 Teller durch meine Hände.

Ist es da warm?

Vor zwei Wochen waren 38 Grad in unserer Küche, neben der Spülmaschine waren 40 Grad. Ich arbeite zum Beispiel zwei Stunden an der warmen Spülmaschine und dann gehe ich an das Band zum tablettieren. Dort haben wir ungefähr sechs Grad. Dieser Temperaturunterschied!

Was findest du schlimmer?

Sechs Grad. Zwei Stunden ist kein Problem. Aber wenn du dort fünf Stunden stehst, das finde ich nicht gut. Wir haben Handschuhe aus Gummi und ich kann nicht dickere anziehen, weil ich dann nichts fühle.

Also von dir hängt es ab, wie viel Essen ich bekomme, wenn ich im Krankenhaus liege?

Genau. Und ob du einen sauberen Teller bekommst oder nicht.

Das ist wichtig.

Total. Ich habe versucht, in all meinen Reden im Streik zu zeigen, wie wichtig unsere Arbeit ist. Viele Arbeitgeber denken, unsere Arbeit wäre nicht so wichtig. Unsere Arbeit könnte jeder von der Straße machen. Deshalb ist unsere Eingruppierung im TVÖD („Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst“ – Anmerkung der Redaktion) so niedrig.

Hat das jemand gesagt?

Am Verhandlungstisch wurde das öfter gesagt oder gezeigt, dass unsere Arbeit nicht so wichtig wäre. Ja klar, ich muss kein Studium dafür machen. Aber ich muss diese Verantwortung übernehmen. Und ich weiß ganz genau: Essen ist im Krankenhaus genauso wichtig wie Medikamente. Unser Arbeitsbereich wurde von Arbeitgeberseite immer klein gemacht, weil wir viele Ausländer sind, weil viele sich nicht getraut haben zu sprechen.

Unsere Kinder laufen durch die Straßen und bauen Scheiße, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben

Was sagen deine Kolleg*innen zu deinem Engagement?

Die finden es richtig, dass endlich jemand aus unserem Bereich, der Großküche, spricht. Dort sind wir viele Ausländer mit schwachen Deutschkenntnissen. Es ist gut, dass endlich jemand über unsere Probleme spricht. Egal ob gutes Deutsch oder nicht, Hauptsache, jemand macht das laut.

Wie war es das erste Mal, vor so vielen Menschen zu sprechen?

Aufregend. Aber wenn ich die Reden vorbereite, geht es. Ich habe jetzt schon auf vielen Demonstrationen gesprochen. Auch da werde ich immer mutiger. Ich weiß, wenn ich uns nicht laut und sichtbar mache, dann macht es keiner. Und ich mache das auch für meinen Sohn. Unsere Kinder sitzen auf der Couch und schauen Tiktok. Weil wir uns keine Sportkurse oder Musikunterricht leisten können. Unsere Kinder laufen durch die Straßen und bauen Scheiße, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben. Ich möchte, dass mein Sohn Kurse machen kann. Aber wie soll das gehen, wenn ich 1.300 Euro verdiene?

Hattest du auch Angst?

Ich passe immer auf, was ich sage. Ich möchte nicht noch größere Probleme für uns machen. Ich habe auch Angst, dass ich meinen Arbeitsplatz verliere.

Wollten alle Kolleg*innen beim Streik mitmachen, oder musste da auch Überzeugungsarbeit geleistet werden?

Am Anfang waren wir ungefähr 15 Leute bei Verdi – in meinem Bereich sind wir 60 Menschen. Ich habe mit meinen Leuten gesprochen und dann ist der Rest zu Verdi gekommen. Am ersten Streiktag sagte meine Chefin: „Agnieszka, du hast wirklich gute Arbeit geleistet“, aber ironisch, denn sie hatte keine Leute mehr zum Arbeiten. Da habe ich gesagt: „Ich habe das nicht gegen dich gemacht, sondern dafür, dass wir ganz normal leben können.“ Ich kann sie auch verstehen, sie hat auch eine große Verantwortung. Und sie hat mir auch geholfen, als ich von 35 auf 39 Stunden hochgehen wollte.

Viele hatten Angst, was nach dem Streik passiert. Ich habe gesagt: Wenn wir weiter gut unsere Arbeit machen, kann uns niemand was

Du wolltest mehr arbeiten, damit du mehr Geld bekommst?

Genau.

Während deutsche Politiker sagen, die Leute sollen nicht so faul sein und mehr arbeiten. Ihr wollt also mehr arbeiten, aber werdet nicht gelassen?

Genau. 80 Prozent meiner Arbeitskollegen haben nur 35 Stunden.

Wie viel verdient ihr?

Ich bekomme netto 1.600 Euro für 39 Stunden. Die Leute mit 35 Stunden natürlich weniger. Vielen habe ich bei der Anmeldung bei Verdi geholfen und weiß deshalb, was sie verdienen. Einige haben nur 1.400 Euro netto oder 1.200 Euro netto. Das ist zu wenig. Das ist unmöglich. Die Mieten sind hoch.

Kannst du von deinem Gehalt leben?

Ja, aber nur, weil ich zusammen mit meinem Mann lebe. Er arbeitet in einer großen Metallfirma und verdient fast doppelt so viel wie ich. Alleine könnte ich von dem Geld bei den aktuellen Mietpreisen mit meinem Sohn nicht leben. Viele meiner Kolleginnen sind also abhängig von ihren Männern, weil sie zu wenig verdienen.

Durch den Streik werdet ihr nun mehr Geld bekommen.

Wir sind neu eingruppiert und bekommen eine Lohnerhöhung. Dieser Streik ist für uns ein Erfolg. Meine Arbeitskolleginnen, die fünfzehn Jahre im Betrieb sind, bekommen 300 Euro mehr. Ich bekomme 190 Euro mehr. Mir fehlen sieben Monate zu zehn Jahren, dann bekomme ich wieder 190 Euro mehr.

Immerhin, oder?

Ja! Viele sind nicht ganz zufrieden mit dem Streik, weil sie mehr erwartet haben. Für meinen Bereich ist das ein riesengroßer Erfolg. Und für mich persönlich auch.

Was wäre ein gerechtes Gehalt für deinen Job?

3.500 Euro wären gerecht für meine Arbeit. Davon kann man leben.

Macht dir deine Arbeit mehr Freude seit dem Streik?

Ja, weil wir jetzt wirklich zusammenhalten und mehr über unsere Probleme sprechen. Viele hatten Angst, was nach dem Streik passiert. Ich habe gesagt: Wenn wir weiter gut unsere Arbeit machen, kann uns niemand was. Wir sind sechzig Personen und wir haben gestreikt, das ist unser Recht. Ich mache meine Arbeit sehr gerne. Obwohl es körperlich anstrengend ist und das Arbeitstempo belastend ist.

In unserer Küche ist es total laut. Meine Ohren nicht mehr so sind vor neun Jahren

Ein Krankenwagen fährt mit Sirene an uns vorbei, ich halte mir die Ohren zu, Agnieszka nicht.

Ich muss immer Ohren zuhalten.

In unserer Küche ist es total laut.

Was genau ist da laut?

Agnieszka stellt ihre Tasse auf ihre Untertasse und klappert damit. Hörst du?

Ah, das Geschirr?

Genau. Und Maschinen, aber vor allem das Geschirr. Wir tragen Ohrstöpsel.

Könnt ihr euch mit Ohrstöpseln unterhalten?

Ja, doch. Das geht. Nicht so gut wie wir beide jetzt, aber es geht. Am Band ist es theoretisch leise. Aber da haben wir Belüftungen, die machen auch Geräusche. Ich arbeite dort neun Jahre und ich merke, dass meine Ohren nicht mehr so sind vor neun Jahren. Wir opfern jeden Tag unsere Gesundheit für die Arbeit.

Warst du mal als Patientin im Krankenhaus, seitdem du im Krankenhaus arbeitest?

Nein. Und würde ich ins Krankenhaus müssen, würde ich das Essen nicht essen.

In der Serie „Neue Maloche führt die Journalistin Mareice Kaiser für den Freitag Gespräche mit Menschen, die hart schuften – und meist nicht in medialen Diskursen zu Arbeitsthemen zu Wort kommen