Mozart-Serien im Fernsehen: Zu Gunsten von die Das Erste ist Mozart pervers

Mit der Klitoris Musik hören – das ist eine Begabung, über die Frankreichs Königin Marie-Antoinette, geborene Erzherzogin von Österreich-Lothringen, offenbar in gesteigerter und beglückend steigerungsfähiger Weise verfügt. Sie liegt rücklings auf dem Flügel und macht die Beine breit zwecks vaginaler Penetration durch das Adagio B-Dur aus der Klavier­sonate F-Dur KV 332 von Wolfgang Amadé Mozart. Dass nicht Mozart – den hier alle „Amadeus“ nennen – am Flügel sitzt und sie durch diesen abenteuerlichen Akt zum Orgasmus bringt, sondern dessen als Bruder verkleidete Schwester Maria Anna – bitte bloß nicht „Nannerl“ nennen, das hat sie gar nicht gern –, weiß die Königin nicht.

Elitär, pervers und hochkulturaffin

Marie-Antoinette, elitär, pervers und hochkulturaffin, wird später ins Haus Mozarts einen Präsentkorb mit rasch vernaschbaren Leckerlis schicken lassen als Dank einer sexuellen Belästigerin (soll auch Frauen geben, die so was machen, besonders wenn sie elitär, pervers und hochkulturaffin sind) für eine unvergess­liche Nacht. Mozarts Gattin Constanze, bildende Künstlerin und ansonsten mit ei­ner fahrenden Folkband unterwegs, ist trotz genderfluider und metrosexueller Erfahrungen irgendwie konsterniert.

„Opulent, lautstark und heutig“, sei diese „Event-Serie“ der ARD mit dem Titel „Mozart/Mozart“, jubelt die Katho­lische Nachrichtenagentur. Was die Regisseurin Clara Zoe My Linh von Arnim nach dem Buch von Andreas Gutzeit und Swantje Oppermann in sechs Teilen erzählt, ist „die Geschichte der Geschwister Mozart, nicht wie die historische Überlieferung sie schreibt, sondern die Vorstellungskraft“, stellt der Vorspann klar.

Badet in Eselsmilch: Verena Altenberger als Königin Marie-Antoinette.
Badet in Eselsmilch: Verena Altenberger als Königin Marie-Antoinette.WDR/Armands Virbulis

Zur Vorstellungskraft der Autoren gehört, dass Amadeus – er benutzte „Amadeus“ nie, sondern meist „Amadé“, wurde von Liebmeinenden gern „Wolferl“ genannt – drogensüchtig ist und in eine Entzugsklinik muss. Da litauische und lettische Geldgeber wichtige Ko-Produzenten dieser „Event-Serie“ sind, sieht diese Klinik aus wie das Schloss eines bal­tendeutschen Barons aus dem späten 19. Jahrhundert (Mozart und dessen Frau trugen schon bei der Hochzeit Blumenkränze im Haar wie bei lettischen Jānis-Festen am Johannistag). Zur Vorstellungskraft der Autoren gehört auch, dass wegen dieser Drogensucht ihres Bruders Maria Anna das Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ komponiert. Amadeus konnte nämlich gar nicht komponieren, zuvörderst aus gesundheit­lichen Gründen.

DSGVO Platzhalter

Zur Vorstellungskraft der Autoren gehört ferner, dass Leopold Mozart, der Vater der Geschwister, vor 21 Jahren eine afroeuropäische Geliebte hatte, die aufgrund ihrer Hautfarbe – „Schauen Sie mich doch an!“ – keine Karriere als Opernsängerin machen konnte. Ausgerechnet diese Eleonora Maxim, kurz „Nora“ genannt (Ibsen, ick hör dir trapsen!), wird von Maria Anna überredet, im Ari­enwettstreit mit dem fiesen, aber feschen Antonio Salieri um die Vergabe eines Auftrags von Kaiser Joseph II. zur neuen „Volksoper“ anzutreten.

Bloß keine Arie, lieber einen Popsong

Und was schreibt Maria Anna, als Amadeus verkleidet, für diesen Wettbewerb um eine Musik, die alle verstehen? Richtig! Keine Arie wie der fiese, aber fesche Salieri, sondern einen mitreißenden, opulenten, lautstarken und heutigen Popsong! Oper, Arien, Hoch­kultur, das ist etwas für die perverse Elite. „Hochkulturaffin“ ist nämlich identisch mit „elitär und pervers“, auch mit „lebensfern“. Als Amadeus in Constanzes Folkband, das „Glas- und Blasorchester“, gerät, wo gefiedelter Ethnopop mit Afrobeats gepflegt wird, jubelt er: „So sollte sich Musikmachen anfühlen.“ Echter Mozart, Messen, Opern, Sonaten – alles Mist!

Sie komponiert, er schaut nur lässig aus der Wäsche: Havana Joy und Eren M. Güvercin als die Geschwister Mozart.
Sie komponiert, er schaut nur lässig aus der Wäsche: Havana Joy und Eren M. Güvercin als die Geschwister Mozart.WDR/Armands Virbulis

Während uns der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Mozart unterschiebt, der nicht komponieren kann und seine eigene Musik verachtet, zeigt uns die Konkurrenz des Bezahlsenders Sky/Wow in dem Fünfteiler „Amadeus“ einen fanatischen Mozart, der von Ehrgeiz und Hochbe­gabung getrieben wird. Es ist die Musik selbst mit ihrem ureigenen Kunstanspruch, die dieses Leben wie den Film befeuert. Der britische Fünfteiler in der Regie von Julien Farino und Alice Seabright nach dem Drehbuch von Joe Barton greift das Theaterstück „Amadeus“ von Peter Shaffer aus dem Jahr 1979 wieder auf, das schon Miloš Forman 1984 als Grundlage seines Films diente.

Politisch korrekter Nonsens

Allerdings muss auch bei Farino und Seabright rückwirkend in der Geschichte Teilhabegerechtigkeit für verschiedenste soziale Gruppen hergestellt werden. Deshalb ist Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr eine person of colour und Lorenzo da Ponte, Mozarts Lieblingslibrettist, nicht nur schwarz, sondern auch schwul. Dass der genetische Abstand Süßmayrs und da Pontes zu Afrika, der Mutter der Menschheit, geringer war als bei Mozart selbst, wäre ein neuer Befund, ist aber wahrscheinlich nur eine politisch korrekte historische Inkorrektheit. Genauso wie die Perückenfrau am Violoncello in der kaiserlichen Hofkapelle bei der Aufführung des „Don Giovanni“. Anders als bei der peniblen Rekonstruktion von Jabots, Tressen, Dekolleté-Schleifen und Kniebundhosen war man in Fragen von Geschlecht und Hautfarben freizügig. Ausstattung um 1785, Sitten um 2025, Schönheit von damals, Freiheit von heute. Gutes kann so billig sein.

Dafür gibt der britische Film Mozarts Musik in deren ganzer Intensität Raum: Ihre Verblüffungstechniken, ihre hohe Informationsdichte, ihre Kraft zur emotionalen Verwirrung und Erschütterung werden wirkungsvoll inszeniert und gespiegelt in den Gesichtern von Paul Bettany als Salieri oder von Will Sharpe als Mozart selbst. Auch an der Psychologie Mozarts haben Barton, Farino und Seabright Interesse: Der Tod der Mutter während der Paris-Reise 1778 liegt als Hypothek der Schuld auf Mozarts Seele und macht ihn für die moralischen Erpressungen seines Vaters empfänglich. Die Alkohol- und Sexsucht des erwachsenen Komponisten erscheint als nachgeholte Kindheit und Ausbruch aus disziplinierendem Leistungsdruck. Die Dialoge, die der nüchtern handwerklich denkende Mozart mit dem metaphysisch schwadronierenden Salieri führt, haben den Schliff und die Pointierung eines Stephen-Frears-Films. Dass Mozart den Bühnenarbeiter Gregor, einen aufrichtigen Verehrer, demütigt, zeigt den unvergleichlichen Mu­siker nicht nur von der Marzipankugelseite. „Amadeus“ ist zwar Fiktion, aber eine mit psychologischer und ästhetischer Plau­sibilität. Die Faszination von Mozarts Musik bleibt Zentrum der Serie.

„Mozart/Mozart“ erscheint zu einer Zeit, da es um den Musikunterricht in unseren allgemeinbildenden Schulen nicht mehr gut bestellt ist: Er fällt mehrheitlich aus, wird fachfremd erteilt oder mit anderen Fächern zusammengelegt. Wo aber das Wissen zunehmend fehlt, ist solch eine Fiktion fahrlässig. „Mozart/Mozart“ macht Mozart sein Werk streitig: als Autor wie als Gegenstand der Wertschätzung. Als Amadeus in Folge fünf die Hoheit über sein Werk zurückerstreiten will, steht er musikalisch als fürstenhö­riger Reaktionär und moralisch als frauenfeindliches Egoschwein da. Aus diesem Misskredit entlassen ihn die Autorinnen nur, indem er freiwillig hinter die Au­torschaft seiner Schwester zurücktritt. Wenn man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behaupten kann, Mozart habe seine Schwester unterdrückt, nicht komponieren können und sein Vater eine woman of colour als Geliebte gehabt, kann man auch behaupten, der Erste Weltkrieg habe begonnen, weil Belgien das Deutsche Reich überfiel. Mozart scheint vor solchem Unsinn nicht geschützt.

Das Fernsehen, gerade das öffentlich-rechtliche, wäre in Zeiten der Schul­musikunterrichtsmisere eine der letzten Möglichkeiten, noch einen Erstkontakt der Kinder zur klassischen Musik herzustellen. „Mozart/Mozart“ betrachtet diesen Erstkontakt aber gar nicht als herstellenswert. Drehbuch und Regie geben sich alle Mühe, klassische Musik als elitär, pervers und gestrig zu denunzieren.

Ganz wie in den sogenannten Kulturprogrammen der öffentlich-rechtlichen Radiosender ein mehr oder weniger offensives Bildungsbürgermobbing betrieben wird, betreibt diese Serie nun eine zwangsgebührenfinanzierte Kunstzerstörung. Dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk, der sich immer auf seinen Kulturauftrag herausredet, aber gleichzeitig den Fortbestand seiner Klangkörper infrage stellt, hat mit „Mozart/Mozart“ reines Unterhaltungsfernsehen produziert. Nach der Ausstrahlung wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland sicher einige Tausend Befürworter weniger im Land haben und die AfD einige Tausend potentielle Wähler aus bildungs­nahen Schichten mehr. So nimmt die ARD ihren Auftrag zur Stärkung der Demokratie wahr.

Mozart/Mozart startet am Dienstag um 20.15 Uhr im Ersten und läuft in der ARD-Mediathek. Amadeus startet am 21. Dezember auf Sky/Wow.

Source: faz.net