Monika Schnitzer: „Die Unabhängigkeit unseres Gremiums ist unser allerhöchstes Gut“

Seit Monaten streiten sich die Mitglieder des Sachverständigenrats wegen der Doppelrolle von Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die einen Posten im Aufsichtsrat von Siemens Energy angenommen hat. Im Interview mit der ZEIT wies die Ökonomin die Vorwürfe zurück. Hier reagiert die Vorsitzende des Rates Monika Schnitzer.

ZEIT ONLINE: Die Debatte um einen möglichen Interessenkonflikt im Sachverständigenrat schade der Reputation des Gremiums,
sagt Veronika Grimm. Frau Schnitzer, machen Sie sich auch Sorgen um die
Glaubwürdigkeit und das Ansehen des Sachverständigenrats? 

Monika Schnitzer: Wir haben uns im Sachverständigenrat,
seit wir von Frau Grimms Nominierung für den Aufsichtsrat bei Siemens Energy
erfahren haben, Sorgen gemacht, dass es zu einer solchen Debatte kommt und die
Öffentlichkeit wegen der Gefahr eines möglichen Interessenkonflikts die
Unabhängigkeit des Rates infrage stellt. Deswegen haben vier Ratsmitglieder
davor gewarnt, dass das Ansehen unseres Gremiums Schaden nehmen könnte. Das war
auch der Grund, warum wir Frau Grimm gebeten haben, sich genau zu überlegen, ob
sie das Mandat annimmt.

ZEIT ONLINE: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
schreibt, in der jetzigen Form könne der Rat weg. Ihm drohe die Bedeutungslosigkeit. Wie
groß ist der Schaden bereits?  

Schnitzer: Da wird jetzt von unterschiedlichen
Medien sehr viel interpretiert. Es ist unglücklich, dass die Diskussion in der
Öffentlichkeit so einen breiten Raum einnimmt und von inhaltlichen Fragen
ablenkt. Genau das war ja unsere Sorge. Auch intern kostet uns die Debatte
Zeit, weil wir uns damit auseinandersetzen müssen, wie wir mit der Situation am
besten umgehen können.

Die Unabhängigkeit unseres Gremiums ist unser allerhöchstes Gut.

Monika Schnitzer

ZEIT ONLINE: In der Vergangenheit gab es auch schon
Ratsmitglieder, die Aufsichtsratsmandate hatten. Was ist heute anders? 

Schnitzer: Die Art des Aufsichtsratsmandats ist für
uns entscheidend. Ein Mandat bei einem Unternehmen für Sportartikel oder
Lebensmittel zum Beispiel wäre nicht so relevant für unsere Beratungstätigkeit.
Ein Unternehmen wie Siemens Energy berührt aber Themen rund um die Energiewende
und damit einen Kernbereich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Laufe
der Jahre hat sich außerdem geändert, was von der Öffentlichkeit als
problematisch angesehen wird. In der Privatwirtschaft wird deshalb verstärkt
darauf geachtet, die Gefahr möglicher Interessenkonflikte zu vermeiden. Alle
großen Unternehmen haben heute Compliance-Regeln. In den USA ist das die Norm.
In Deutschland hinken wir da noch etwas hinterher. Es fehlt immer noch am
Verständnis, dass die Politikberatung in schwieriges Fahrwasser gerät, wenn sie
nicht als unabhängig wahrgenommen wird. Dann besteht die Gefahr, dass wir als
Ratgeber nicht mehr ernst genommen werden. Expertinnen und Experten werden
heute viel stärker infrage gestellt, gerade von Populisten. Der
Sachverständigenrat muss deshalb vermeiden, dass auch nur der Anschein eines Interessenkonflikts entsteht. Die Unabhängigkeit unseres Gremiums ist unser
allerhöchstes Gut. 

ZEIT ONLINE: Veronika Grimm versichert, sich bei
Themen, die Siemens Energy direkt betreffen, aus der öffentlichen Debatte heraushalten zu wollen. Ist das möglich?  

Schnitzer: Die Reaktion der Medien auf unser
Gutachten zeigt schon, wie schwierig es ist, den Anschein eines solchen
Interessenkonflikts zu vermeiden. Wir müssen uns jedoch weiterhin zu
Energiefragen äußern.  

ZEIT ONLINE: Im aktuellen Gutachten des Sachverständigenrats hat Grimm ein Minderheitsvotum abgegeben, und zwar zum
Thema Wasserstoff. Siemens Energy ist im Wasserstoffgeschäft tätig. Ist das
nicht schon mehr als nur der Anschein eines Interessenkonflikts? 

Schnitzer: Genau
vor einer solchen Debatte haben wir im Februar gewarnt. Und: Wenn es kein
Minderheitsvotum gegeben hätte, wäre vielleicht sogar die Frage aufgekommen, ob
wir alle von Frau Grimm beeinflusst sind. Wir müssen uns auch vor dem Anschein schützen,
wir könnten vereinnahmt werden. Wir müssen sicherstellen, dass unsere
Einschätzungen als unbeeinflusst gelten.