Mit dieser maroden Deutschen Bahn zu den Einstürzenden Neubauten und zurück

Beim Konzert der Einstürzenden Neubauten in Leipzig fühlte sich unser Kolumnist schon altersbedingt ein wenig fremd. Doch die Heimfahrt sorgte für den richtigen Vibe


Jubel im Publikum: Blixa Bargeld war schonmal hier

Foto: Roland Owsnitzki/Votos/Imago


Wer dieser Tage mit der Deutschen Bahn fährt, kommt einer Empfindung nahe, die zuletzt in den 80er Jahren prominent in der Popkultur vertreten war: der Idee, dass eine immer weiter voranschreitende Moderne irgendwann ihren Kipppunkt erreichen wird – vor allem dann, wenn laufend mehr kaputt geht, als eigentlich jemals ganz war. So zumindest versuche ich mir zu erklären, wie dieses einst einigermaßen funktionierende Verkehrssystem so frappierend dysfunktional werden konnte, während ich mit reichlich Verspätung zu einem Konzert der Band Einstürzende Neubauten fahre. Ausgerechnet!

Das erste Studioalbum Kollaps der Band aus dem Jahr 1981 steckt voller Ahnungen und Zitate einer industriellen Beschleunigung, deren Ende sich schon im Modus ihrer Bewegung abzeichnet. Der Song Steh auf Berlin beginnt mit dem unerbittlichen Geräusch eines Bohrhammers, insinuiert eine Stadtlandschaft, die Erneuerung und Verbesserung verspricht, das schöne Leben darin aber zugunsten permanenter Bauarbeiten auf ein nie zu erreichendes „Später“ vertagt. Ist eine Straße fertig, fällt die nächste schon auseinander. Fortschritt, irgendwie, aber vor allem: Flickenteppich forever. Vielleicht hat keine Band das Absurde, das Grausame, aber auch das Aufregende an der Industrialisierung besser akustisch zu beschreiben gewusst als Einstürzende Neubauten – immer hart an der Grenze zum reinen Geräusch.

Punk, Gothic oder auch Kreissparkasse

Sie seien schon mal hier gewesen, verkündet Sänger und Komponist Blixa Bargeld zu Beginn der Show vergangenen Donnerstag im Leipziger Haus Auensee, aber er könne sich kaum mehr daran erinnern. Einige Gäste scheinen sich durchaus zu entsinnen, denn sie jubeln, als Bargeld schildert, wie er früher per Megafon die Gäste vor dem Konzerthaus gebeten habe, doch bitte in den Saal zu kommen. Diese Aufforderung braucht es nun, über 40 Jahre nachdem die Band gegründet wurde, nicht mehr. Längst sind die Neubauten lebend legendär. Dafür, dass sie auf der Bühne weit mehr als Instrumente spielen, sondern immer wieder mit selbst gebauten Objekten Töne, Geräusche, Krach erzeugen. Und für Blixa Bargelds Kreischen, das er einst sogar Hollywood lieh. Auf nichts davon muss das Publikum in Leipzig verzichten.

Das Publikum ist deutlich älter als ich, sieht mal nach Punk, mal nach Gothic und hin und wieder auch nach Kreissparkasse aus. Ich schaue mich ein wenig um und frage mich, ob ich hierhingehöre, ich, der ich gar kein richtiger Fan bin, sondern nur mit einem Freund zu einer Band gehen wollte, die wir früher irgendwie interessant fanden.

Nun ist der Freund krank und ich allein unter anderen. Dann beschließe ich, dass schon die Frage nach dem Hingehören obszön ist, insbesondere weil die Band, die hier spielt, auch nirgendwo hingehört. Noise, Punk, „Post-Industrial“? Ein „Stück“, wie Blixa Bargeld zu sagen pflegt, wie Sabrina, das zu ihren bekanntesten gehört, übersteigt Schubladen mit Leichtigkeit.

Gesundbrunnen, ein Song vom neuesten Album Rampen (apm: alien pop music), handelt oberflächlich von einem Flickenteppich, der faserig und marode daherkommt, in sich aber die Möglichkeit eines neuen Zusammenhangs trägt. Dann sagt Bargeld: „Mein Kind ist sechzehn. Sie wurde geboren als meine Tochter, und sie ist jetzt mein Sohn.“ In einem Interview mit der Berliner Zeitung sprach er jüngst über das Trans-Coming-out seines Kindes. Vereinzelt ratlose Gesichter im Saal. Bargeld haucht: „Wir üben das Neue, ganz außerhalb der Biologie.“

Die Band verabschiedet sich opulent, mit zwei Zugabe-Phasen und einem Dankeschön. Ich begebe mich wieder in die marode Infrastruktur des Nahverkehrs, mühe mich zwischen Ausfällen und Baustellen irgendwie nach Hause – und fühle mich, als gehörte ich hierher.