Mit dem Militär möchte manche Hochschule tunlichst nichts zu tun nach sich ziehen
Die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg forscht für Projekte der Rüstungswirtschaft und Sicherheitstechnologien, etwa zur Drohnenabwehr. Die großen „zivilen“ Hochschulen in der Hansestadt hingegen versuchen, eine Nähe zur Aufrüstung möglichst zu vermeiden.
Drohnen verschiedener Größen stehen im Labor, Bildschirme und allerlei Diagnosegeräte. Wissenschaftliche Mitarbeiter werten an ihren Computern Daten aus. An der Professur für Elektrische Messtechnik der Helmut-Schmidt-Universität im Hamburger Stadtteil Horn entsteht Sicherheit. Die Netzwerfer-Drohne „Falke“ wurde hier zwischen 2019 und 2023 entwickelt – damals hauptsächlich, um Flughäfen besser gegen Drohnen abzuschirmen. Doch inzwischen tauchen die Mini-Helikopter überall im Land dort auf, wo sie besser nicht fliegen sollten, vor allem über kritischer Infrastruktur, über Fabriken, Verkehrszentren und Kasernen. Mutmaßlich auch deshalb, weil Russland die günstig zu bauenden Spionageflieger im Zuge seiner „hybriden Kriegsführung“ verstärkt gegen Europa einsetzt.
Professor Gerd Scholl, der das Team leitet, führt die Besucher durch die Räume. Fast zur selben Zeit an diesem trüben Dezembertag präsentiert Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) im brandenburgischen Ahrensfelde die neu aufgestellte Drohnenabwehreinheit der Bundespolizei. Später im Dezember wird Dobrindt in Berlin obendrein auch noch ein gemeinsames Drohnenabwehrzentrum der Länderpolizeien und der Sicherheitsbehörden des Bundes eröffnen, um der wachsenden Gefahr aus der Luft effektiv zu begegnen.
Der „Falke“ wird bei der Drohnenabwehr in Deutschland eine wichtige Rolle spielen – das Fluggerät fängt verdächtige Drohnen in der Luft mit einem Wurfnetz ein, um sie zu stoppen und am Absturz zu hindern. „Die wissenschaftlichen Grundlagen für die ,Netzwerfer‘-Drohne wurden in dem vom Bundesverteidigungsministerium geförderten Forschungsprojekt ,Falke‘ hier an der Helmut-Schmidt-Universität gelegt“, sagt Scholl. „Das Unternehmen Argus Interception stellt diese Abfangdrohne jetzt im industriellen Maßstab her. Im Rahmen eines Technologie- und Know-how-Transfers wechselten drei unserer Doktoranden zu Argus Interception.“
Scholl, der lange auch für den Elektronikkonzern Siemens gearbeitet hat, und seine derzeit acht wissenschaftlichen Mitarbeiter sind in den vergangenen Jahren immer tiefer in die Materie der Drohnenabwehr eingedrungen. „Wir erforschen derzeit gemeinsam mit der Deutschen Telekom, Ericsson und der ipoque GmbH Möglichkeiten, wie aus den Datenstreams im Mobilfunknetz Drohnen erkannt werden können, die möglicherweise illegal über das Mobilfunknetz gesteuert werden“, sagt der Wissenschaftler, der in den 1990er-Jahren mit Auszeichnung promoviert hat. „Wir nutzen dafür ein eigenes hochmodernes Stand-Alone-5G-Campus-Netzwerk, das wir unter anderem auch mit Förderung der Europäischen Union über das NextGenerationEU-Programm auf dem Gelände der Helmut-Schmidt-Universität errichten konnten.“ Grundlage für die Forschungsarbeit sei auch das „dtec.bw“-Projekt, in dessen Rahmen die beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München umfangreich finanziert werden.
Mit Projekten wie diesen tragen die Hochschulen der Bundeswehr dazu bei, Waffen- und Sicherheitssysteme zu modernisieren, Deutschlands Wehrfähigkeit zu erhöhen – und auch dazu, Schwachstellen und Defizite im Verteidigungssystem rechtzeitig zu erkennen. „Als unser Dienstherr erwartet die Bundeswehr natürlich, dass wir uns spätestens seit der Zeitenwende stärker einbringen“, sagt in seinem Büro Professor Klaus Beckmann, der Präsident der Helmut-Schmidt-Universität, der selbst Oberst der Reserve ist. „Im Jahr 2020 wurde das Programm dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr – aufgelegt. Allein im Rahmen dessen bekommen die beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und in München zwischen 2020 und 2026 insgesamt 700 Millionen Euro zur Durchführung sicherheitsrelevanter Forschungsprojekte.“
Vergleichen können man die daraus stammenden 350 Millionen Euro für die Helmut-Schmidt-Universität mit den 130 bis 140 Millionen Euro öffentlichen Mitteln über einen Zeitraum von vier Jahren für eine Exzellenzuniversität wie die Universität Hamburg: „Schon daran sieht man, dass wir einen erheblichen Schub erhalten haben, speziell bei der sogenannten Dual-Use-Forschung“, sagt Beckmann, „bei Projekten also, die sich militärisch wie auch zivil ausrichten lassen.“
Für eine Universität der Bundeswehr mag Rüstungsforschung selbstverständlich erscheinen – an den „zivilen“ Hochschulen in Hamburg hingegen ist die Beschäftigung mit Kriegsgerät und den Systemen drumherum auch fast vier Jahre nach Russlands Überfall auf die Ukraine nicht willkommen. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), die Technische Universität Hamburg (TUHH) und die Universität Hamburg heben auf Anfrage von WELT AM SONNTAG hervor, die im Grundgesetz garantierte Freiheit von Forschung und Lehre stelle es jeder Professorin und jedem Professor frei, sich an Rüstungsforschung zu beteiligen – oder eben auch nicht. Um die Beschäftigung mit dem Militär zu verhindern, geben sich manche Hochschulen „Zivilklauseln“, die wehrtechnische Forschungen ausschließen, die Universität Hamburg etwa an ihrer Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften.
Und auch der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) engagiert sich bei vielen Themen und Debatten dafür, dass die Universität nicht für die Rüstungsforschung arbeitet. „Wir als AStA der Uni Hamburg wollen Lehre für gesellschaftlichen Fortschritt und Verbesserung des Zusammenlebens, nicht für die effizienteste Kriegsführung“, hieß es etwa in einer Stellungnahme im Sommer anlässlich eines Bildungskongresses der Bundeswehr in Hamburg. „Darum halten wir es für unerlässlich, dass Forschung unberührt von militärischen Zwecken, Interessen und unabhängig von militärischen Geldern passiert. Der AStA stellt sich gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und des Studiums.“
Die Technische Universität Hamburg hat keine allgemeine oder spezielle Zivilklausel und versucht, offensichtliche Projekte der Rüstungsforschung mit anderen Mechanismen zu vermeiden, zum Beispiel mit dem „Ausschuss für ethische Fragestellungen“. „Natürlich müssen wir einen ordentlichen Diskurs darüber führen, ob alle deutschen Universitäten flächendeckend Rüstungsforschung betreiben sollen“, sagt Professor Andreas Timm-Giel, Präsident der TUHH (siehe Interview unten). „Ich sehe das allerdings mit Sorge und bin immer mehr der Meinung, dass wir in Deutschland das Pendel überschwingen lassen – von der Nicht-Militärforschung vergangener Jahrzehnte hin zu einer Debatte, bei dem wir explizit zur Rüstungsforschung und Kriegstüchtigkeit aufgefordert werden.“
Die HAW wiederum hat eine Zivilklausel in die Präambel ihrer Grundordnung gestellt. „Der Umgang mit der Zivilklausel wird auch an unserer Hochschule rege und offen diskutiert. Wir verstehen die Zivilklausel dabei nicht als Verbotsklausel – das wäre mit der im Grundgesetz verankerten Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre auch gar nicht vereinbar“, teilt die HAW mit. „Wir begrüßen daher eine offene, respektvolle Debatte über die ethischen und politischen Rahmenbedingungen von Wissenschaft und Innovation. Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen und veränderten Erwartungen an Forschung und Innovation zeigen, wie wichtig ein verantwortungsvoller gesellschaftlicher Dialog zu dieser Frage ist.“
Von der Universität Hamburg (UHH) heißt es: „Die Hamburger Verfassung verpflichtet die Universität dem Frieden. Dieser Gedanke spiegelt sich auch im Leitbild der UHH als staatlicher Einrichtung wider. Forschung und Lehre orientieren sich am Leitbild einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft sowie am Einsatz von Wissenschaft und Bildung für eine friedliche und menschenwürdige Welt.“
Während sich andere Hamburger Institutionen mit dem Thema schwertun, will die Helmut-Schmidt-Universität ihr Netzwerk zur Rüstungsforschung weiter ausbauen. Auf vielen Ebenen tauschen sich Professoren, Professorinnen und Studierende der Bundeswehrhochschule, die im militärischen Sicherheitsbereich einer Kaserne steht, mit den „zivilen“ Hamburger Hochschulen aus. Auch an der Helmut-Schmidt-Universität möchte manch einer oder eine nicht für die Rüstung forschen: „Ich habe Professoren, die durchaus nicht an solchen Projekten interessiert sind, und ich habe auch Kolleginnen und Kollegen, die die Bundeswehr aus einem sehr kritischen Winkel beleuchten“, sagt HSU-Präsident Klaus Beckmann. „Das ist die Freiheit von Forschung und Lehre, die unser Grundgesetz garantiert.“ Etwas wie eine Zivilklausel werde es an seiner Hochschule trotzdem nicht geben – denn die müsste der Akademische Senat der HSU beschließen und sie in die Rahmenbestimmung der Universität hinein ergänzen. Diese Bestimmung aber erlässt das Bundesverteidigungsministerium.
Der Volkswirtschaftler Beckmann will die Stärken der Helmut-Schmidt-Universität noch besser mit dem Wissen der Rüstungsindustrie im Norden und von Fachinstituten wie dem Röntgenlaser-Zentrum Desy oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammenführen. Das Vorbild dafür ist die Universität der Bundeswehr in München, die mit zahlreichen Start-up-Unternehmen vernetzt ist und auch mit schnell wachsenden, jüngeren Rüstungsunternehmen wie Quantum Systems oder Helsing. „Der Freistaat Bayern hat eine jahrzehntelange Tradition in der Industrie- und Forschungsförderung. Man hat dort sehr früh erkannt, dass man das kombinieren muss und hat auch überhaupt gar keine Scheu, alle Kräfte an einer Stelle zu konzentrieren“, sagt Beckmann. „Wir Hamburger sind da ein Stück weit hinterher. Ich sehe ein Potenzial über Hamburg hinaus im gesamten norddeutschen Raum – bis hin ins Baltikum.“
Auch Elektrotechnik-Experte Gerd Scholl sieht Chancen und die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung – etwa zwischen den Behörden des Bundes und der Länder. Die Netzwerfer-Drohne sei ein Beispiel für einen Wissenstransfer, der zur Sicherheit im öffentlichen Raum beitrage – und der zudem wirtschaftlichen Wert schaffe, vor allem auch bei zivilen Anwendungen. „Die Kollegen und Kolleginnen der Bundeswehr-Universitäten“, sagt der Professor, umgeben von Drohnen im Labor, „könnten mit ihrer Expertise durchaus stärker auch in Beschaffungsvorhaben des Bundes einbezogen werden.“ Militärisch gehe es zum Beispiel um den Schutz des Luftraums, „ohne den etwa Panzerverbände schon heute nicht mehr operieren könnten“. Doch dieselbe Drohnen-Technologie könne im zivilen Leben auch „wertvolle Beiträge zum Beispiel in der Logistik leisten oder bei der schnellen Versorgung mit Medikamenten“.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit langer Zeit über die Rüstungswirtschaft im Norden und auch über die Bundeswehr.
Source: welt.de