Mit Avataren von No Isolation nehmen kranke Kinder am Unterricht teil.

Durch die Corona-Pandemie haben Einsamkeit und soziale Isolation mehr Aufmerksamkeit bekommen. Viele Menschen, auch Kinder und Jugendliche, sind an Long Covid erkrankt oder haben mit den Nebenwirkungen von Corona zu kämpfen. Sie können womöglich die Schule länger nicht besuchen. Das verursacht Lernlücken und verstärkt die Einsamkeit.

„Uns ist schon klar, dass wir mit unserem Produkt eine Nische bedienen, wobei man diese Nische auch nicht unterschätzen darf“, sagt Carina Schmitz, Marketingmanagerin der No Isolation GmbH in München. Das Unternehmen schätzt, dass etwa ein Prozent der Schüler in irgendeiner Form mal länger abwesend sein wird, bedingt durch physische oder psychische Krankheiten.

No Isolation wurde 2015 in Norwegen gegründet. Außer in Oslo und München unterhält das Unternehmen ein Büro in London. Man wirkt der sozialen Isolation mithilfe „warmer Technologie“ entgegen. Als „warme Technologie“ bezeichnet No Isolation Produkte, die Menschen die Kommunikation mit ihrem Umfeld ermöglichen und somit für ein „warmes“ Gefühl der Zugehörigkeit sorgten. Dafür entwickelt das Unternehmen Avatare, mit denen die Schüler trotz Krankheit am Unterricht teilnehmen können. Dabei liege der Schwerpunkt nicht auf dem Lernen, sondern auf sozialer Teilhabe.

„Er gibt mir einen Teil meines Alltags zurück“

Die Produktidee stammt von einer der Gründerinnen, Karen Dolva, die im privaten Umfeld mit einer Mutter in Kontakt stand, deren Tochter an Krebs verstorben war. Es stellte sich die Frage, wie man diesem Mädchen die schweren letzten Monate ihres Lebens hätte erleichtern können. Die Einsamkeit, verursacht durch den Ausschluss aus dem Schulalltag und die Distanz zu ihren Freunden, wurde als Problem erkannt, und auf dieser Basis wurde ein Avatar entwickelt. Es handle sich um eine eigens entwickelte Technologie, versichert Carina Schmitz. Sie ermögliche die Teilnahme am Unterricht und die Reintegration in das Schulleben.

„Wir sind in Deutschland die alleinige Firma, die dieses Produkt verkauft“, sagt Schmitz. Zwar gebe es einige Unternehmen, die im Umfeld der Telepräsenztechnologie Produkte herstellten, zum Beispiel Double Robotics. Sie fokussierten sich aber nicht auf die Nische der langzeiterkrankten Schüler. Laut Schmitz beschäftigt No Isolation international rund 50 Mitarbeiter. Ein Teil der Mitarbeiter konzentriere sich auf die Weiterentwicklung des Telepräsenz-Avatars AV1, der andere Teil setze sich intensiver mit dem zweiten Produkt des Unternehmens, dem Ein-Knopf-Computer für seniorengerechte Videotelefonie, auseinander.

Der AV1 ist ein rund 30 Zentimeter hoher, weißer Roboter. „Der Avatar bedeutet mir sehr viel. Durch ihn ist es mir möglich, in Echtzeit am Unterricht teilzunehmen und mich in den Pausen mit meinen Freunden zu unterhalten. Er gibt mir einen Teil meines Alltags zurück“, erzählt Nicole Littig. Aufgrund der Folgen eines schweren Corona-Impfschadens ist es der Schülerin der Stiftsschule St. Johann Amöneburg nicht möglich, in Präsenz am Unterricht der 12. Klasse teilzunehmen. Der kleine Roboter bekommt einen eigenen Platz im Klassenzimmer und kann problemlos in andere Räume getragen werden. Er ist durch die AV1-App mit dem erkrankten Kind verbunden und kann vom Bett aus gesteuert werden.

Einfach zu bedienen und datenschutzkonform

„Ich habe mich schnell an den Avatar gewöhnt, da die Funktionen leicht verständlich und einfach zu bedienen sind“, sagt Nicole. Er biete vielfältige Möglichkeiten. Durch ein in der Lautstärke regulierbares Mikrofon und eine Meldefunktion könne sie sich gut am Unterricht ­beteiligen. Außerdem zeigt der Passivmodus der Lehrkraft durch ein blaues Leuchten an, dass die Schülerin sich derzeit nicht in der Lage fühlt, am Unterricht teilzunehmen.

Auch die Gesichtsausdrücke des Roboters lassen sich verändern; die Schülerin kann Emotionen wie Freude, Traurigkeit, Nachdenklichkeit oder Neutralität ausdrücken. Der Kopf des Avatars lasse sich um 360 Grad drehen, erzählt Nicole. So könne sie das Sichtfeld selbst bestimmen.

Man habe sich bewusst für eine einseitige Videoübertragung entschieden, sagt Schmitz. Viele Kinder wollten aufgrund ihres Krankheitsbildes nicht gesehen werden. Die Technologie sei DSGVO-konform, betont sie. Thomas Martin, Oberstufenleiter der Schule im hessischen Amöneburg, sagt: „Der Datenschutz ist dadurch gewährleistet, dass jegliche Aufzeichnungen von Gesprächen und Abläufen durch das Gerät blockiert werden, sodass weder Bild noch Ton gegen jemanden verwendet werden können.“

Nach Schmitz sind in einigen Bundesländern keine Einverständniserklärungen der Eltern von den Mitschülern mehr nötig. Es habe Einzelfälle gegeben, in denen Lehrkräfte befürchteten, ausspioniert zu werden, und sich deshalb weigerten, die Technologie in ihrem Klassenzimmer zu nutzen. In der Regel sei es aber so, dass die Eltern von Mitschülern, das Kollegium und auch die Klassengemeinschaft dem Kind hälfen, durch diese schwierige Phase zu kommen.

„Kein Produkt für besser verdienende Familien“

„Außerdem ist die Eingewöhnungsphase der Mitschüler und Lehrkräfte kurz; technische Schwierigkeiten sind zumindest nicht durch das Gerät und seine Bedienung verursacht“, erklärt Oberstufenleiter Martin. Mitschüler und Lehrkräfte müssten lernen, Signale des Roboters wahrzunehmen. „Er sollte deshalb zentral und nicht am Rand des Unterrichtsraums stehen.“ Ein weiterer positiver Effekt des Einsatzes sei, dass Schüler eine höhere Sensibilität entwickelten, sowohl für die Situation der Kranken als auch für die Situation in der Lerngruppe. „Die Empathie für die Betroffenen ist auch förderlich für das Unterrichtsklima in der Lerngruppe und steigert die Bereitschaft zur Solidarität.“

Laut Schmitz gibt es derzeit 2890 verfügbare Avatare, die in 18 Ländern zum Einsatz kämen. Norwegen, Schweden, Großbritannien und Deutschland seien die größten Abnehmer. In Deutschland sind nach eigenen Angaben zwischen 350 und 400 Avatare im Einsatz. Die Anschaffungskosten liegen bei knapp 2500 Euro. Hinzu kommen die laufenden Kosten für das jährliche Servicepaket von 800 Euro. Insgesamt kommt man inklusive Steuern auf einen Betrag von 4290 Euro. Nach Schmitz betrug der Umsatz des Unternehmens 2022 rund 60 Millionen norwegische Kronen, das entspricht etwa 5,2 Millionen Euro.

„Es soll kein Produkt für besser verdienende Familien sein“, stellt Schmitz klar. Hauptsächlich Kommunen, Medienzen­tren und Fördervereine kauften die Roboter, um sie an erkrankte Kinder zu verleihen. Es gebe auch einige Schulen, die über den Digitalpakt eine Geldsumme beantragt hätten und so Avatare finanzierten. Das ist auch bei Nicole der Fall. Ihre Schule mietet den Avatar. Ein großes Ziel ist laut Schmitz, dass der Avatar von Krankenkassen bezahlt wird. Die Techniker Krankenkasse sei zurzeit die einzige, die größeres Interesse an dem Produkt zeige und ein Pilotprojekt zum Einsatz der Avatare durchführe.

Auch Hochschulen interessieren sich für den Roboter. In Kürze beginne ein erstes deutsches Forschungsprojekt zum Nutzen der Avatare, an dem die TU Kaiserslautern-Landau, die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg und die Pädagogische Hochschule Heidelberg teilnähmen.