Militanz | Roman „Parts per Million“: Radikalisierung im Klimaprotest

Während die CDU mit der AfD eine Regierung bildet, radikalisiert sich die Protagonistin. Theresa Hannig beschreibt in ihrem neuen Roman „Parts Per Million“ die Wut der Menschen, bleibt dabei aber oft zu holzschnittartig


Theresa Hannig malt den Radikalisierungsprozess ihrer Figur detailliert aus

Foto: Jonathan Fernstrom/Connect Images/Getty Images


Die Schriftstellerin Johanna Stromann ist geschockt, als sie miterlebt, wie Klimaaktivisten bei einer Straßenblockade von wütenden Autofahrern verprügelt werden. Sie hängt wegen der Blockade zwar selbst im Stau fest, aber sie steigt aus dem Wagen und steht den jungen Demonstranten bei, zum Unmut anderer Autofahrer. Die Anfangsszene in Theresa Hannigs Roman Parts Per Million. Gewalt ist eine Option ist realistisch; was dann in dem Klima-Thriller passiert, ist reine Fiktion und erzählt von einer sich radikalisierenden Klimagruppe, die in den Terrorismus abdriftet.

Die engagierte Autorin Johanna, erst Beobachterin und Chronistin, wird schließlich selbst Mitglied der titelgebenden Gruppe „Parts Per Million“. Nach ihrem einschneidenden Erlebnis bei der Straßenblockade beschließt die eher bürgerliche Autorin mit hart arbeitendem Ehemann, Teenager-Tochter und Einfamilienhaus, ihren neuen Roman über Klimaaktivisten zu schreiben. Und die haben in dieser Zukunft nichts zu lachen. Nach der Ampel übernehmen Union und AfD die Regierung. Es gibt verschärfte Asylgesetze, Massenabschiebungen, eine aufgerüstete Polizei, die mit KI-gesteuerter Gesichtserkennung jeden Verdächtigen schnappt, einen Ausstieg aus dem Kohleausstieg und ein europaweites Verbot zahlreicher Klimagruppen.

Johanna lernt den altgedienten linksradikalen Klimaaktivisten Marcus kennen, der ihr den Weg in die Bewegung öffnet, sie fährt zu Klimacamps, Demonstrationen und Blockaden. Theresa Hannig weiß die Unsicherheit ihrer Figur und wie sie versucht, sich unter jüngeren Aktivisten in der Klimabewegung zurechtzufinden, glaubhaft zu erzählen. Wobei einige Figuren und Diskussionen mitunter holzschnittartig sind, Verweise auf Berlins linksradikale Polit-Szene wirken unkundig. Als Johanna erste Erfahrungen mit Polizeigewalt macht, ist sie absolut schockiert.

Parts Per Million beschreibt, wie die bewegungspolitische Dynamik Johanna ihrer Familie entfremdet. Ihr Ehemann will, dass sie sich aus der Politik raushält, es gibt Streit, sie fliegt aus der Wohnung, taucht mit einigen Aktivisten unter und gründet die Gruppe. Die geschilderte Polizeigewalt soll den autoritärer werdenden Staat in Szene setzen, unterscheidet sich aber kaum davon, wie Sicherheitskräfte heute schon gegenüber Klima- oder Antifa-Aktivisten vorgehen.

Wild wie Wutbürger

Parts Per Million ist eine Science-Fiction-Story, in der die AfD zusammen mit der CDU das Land regiert. Allzu detailliert wird diese Machtübernahme nicht ausgemalt. Bald radikalisieren sich Aktivisten, zu denen auch Johanna Stromann gehört, lassen nachts Luft aus den Reifen von SUVs und betonieren Büroeingänge von Firmen zu, die ihrer Meinung nach für den Klimazid verantwortlich sind. So weit kennt man das aus Andreas Malms Buch How to Blow Up a Pipeline (2020), das eine militante Klimabewegung fordert und 2022 als Independent-Spielfilm in die Kinos kam.

Aber dann beginnt Johannas Gruppe, ausgewählte Übeltäter zu überfallen, vor laufender Kamera zu verprügeln und das als Stream ins Netz hochzuladen. Statt klimaschädliche Infrastruktur anzugreifen, toben sich die Klimaaktivisten wie wild gewordene Wutbürger aus und verprügeln vermeintliche Herrschaftssubjekte. Theresa Hannig malt den Radikalisierungsprozess ihrer Figur detailliert aus, verliert dabei aber den politischen Hintergrund dieser Geschichte aus dem Blick. Das liest sich wie eine Radikalisierungsideologie aus dem bürgerlichen Handbuch der gemäßigten Mitte, gemäß der militante Politik zwangsläufig in realitätsferner Selbstermächtigung endet.

Im Nachwort schreibt Hannig, die für die Grünen im Stadtrat von Fürstenfeldbruck sitzt, ihr Buch solle als „Warnung“ verstanden werden. Diese Auflösung ist ärgerlich, weil der Roman Stärken hat und den Klimaaktivismus einem breiteren Publikum näherbringt. Und die mögliche Radikalisierung wird nicht nur als Schreckgespenst von rechten Politikern an die Wand gemalt, sondern auch in der Klimabewegung kontrovers diskutiert.

Parts per Million. Gewalt ist eine Option Theresa Hannig Fischer Tor 2024, 368 S., 18 €