Militärpolitische Reise von Boris Pistorius: Handlungsreisender für jedes die deutsche Rüstungsindustrie
Ein Leuchtturmprojekt muss nicht leuchten, es kann auch in
unscheinbarem Grau daherkommen, aus einem fensterlosen Airbus 737 bestehen und auf einem zugigen Rollfeld im schottischen Nordwesten, in einem Küstenort namens
Lossiemouth, auf seinen nächsten Einsatz warten. Das einzig Auffallende, sogar
ein wenig Exzentrische, an diesem leuchttürmigen Projekt ist der Name – er
klingt weniger nach einem hochmodernen militärischen System als nach einem der
zahlreichen Sprösslinge von Elon Musk: P-8A-Poseidon.
Boris Pistorius wird gleich eine dieser „P-Eight“, so das
Fach-Jargon-Kürzel, besteigen, in die Lüfte über dem nördlichen Atlantik
entschweben und die Nordflanke der Nato sichern. Allerdings nur auf Probe. Denn
noch besitzen bloß Briten und Amerikaner und der ein oder andere Nato-Staat diesen modernen Seefernaufklärer, mit dem sich feindliche U-Boote besser
bekämpfen lassen als bisher. Doch schon im November soll auch die deutsche
Marine ihren ersten erhalten, sieben weitere werden in den kommenden zwei bis
drei Jahren folgen. Man könnte sie auch U-Boot-Jagdflugzeuge nennen.
Seefernaufklärer hört sich aber defensiver an, mehr nach Verteidigung als nach
Angriff.
Ein Leuchtturmprojekt ist das Flugzeug, weil es vor
genau einem Jahr im Trinity House Agreement – einem Abkommen zwischen
Deutschland und Großbritannien zur vertieften Kooperation in Sicherheitsfragen
– als solches identifiziert wurde, neben drei weiteren. Ziel: die militärische
Schlagkraft Europas entscheidend erhöhen, um Russland vor Provokationen,
Sabotageakten und letztlich vor einem Angriff abzuschrecken. Anders gesagt: Es
soll in großem Stil nachgerüstet werden.
Es geht auch um die Nachschublinien zwischen Nordamerika und Europa
Mit seinem Besuch in Lossiemouth – einem Ort, der im
Wesentlichen aus einer gigantischen Base der Royal Air Force, ein paar
versprengten Häusern und viel grasgrünem, sehr windigem Nichts besteht – rundet
Pistorius von Mittwochabend bis Donnerstagmittag eine fünftägige Reise nach
Island, Kanada und Großbritannien ab. Die Tour stand ganz im Zeichen
der Sicherheitskooperation im Nordatlantik, einer Region, die immer stärker in
den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt. Wegen des Wettlaufs um den besten
Zugang zur rohstoffreichen Arktis, wegen ihrer Bedeutung für die
Seeverbindungs- und, im Ernstfall, für die Nachschublinien zwischen Nordamerika
und Europa, wegen der Gefahr von Sabotageakten gegen dort verlaufende, wichtige
Unterseekabel.
Und weil vor allem in der strategisch wichtigen GIUK-Lücke – den
Meeresbereichen zwischen Grönland, Island und Großbritannien – immer häufiger mit
Nuklearwaffen bestückte russische U-Boote auftauchen. Folge: Mehrere Anrainerstaaten
der Nato verstärken ihre Zusammenarbeit, erhöhen ihre maritime Präsenz – und
rüsten nach. Bei dem Pistorius-Trip ging und geht es vor allem um U-Boote. Und halt
um jene modernen Systeme, mit denen man sie so schnell entdecken und so effektiv
bekämpfen kann wie noch nie: den Seefernaufklärern.
Im vergangenen Jahr gründeten die Nato-Partner Deutschland,
Norwegen und Kanada eine sogenannte Maritime Sicherheitspartnerschaft, der inzwischen auch Dänemark beigetreten ist. Ziel ist es, Ausbildung und Übungen der jeweiligen
Armeen so zu synchronisieren, dass gemeinsame Einsätze so effektiv wie möglich
gestaltet werden können. Die Deutschen und Norweger sind mit einer Initiative
vorgeprescht, für die sie nun auch die Kanadier begeistern wollen, weshalb
neben Pistorius sein norwegischer Amtskollege Tore Sandvik ins kanadische Ottawa gereist kam.
Die beiden Länder haben vor geraumer Zeit beim deutschen
Rüstungskonzern Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) zehn baugleiche U-Boote
der Klasse 212 CD bestellt, sechs die Deutschen, vier die Norweger. Mit dem –
fast völligen – Verzicht auf nationale Sonderwünsche soll nicht nur Geld
gespart, sondern auch die „Interoperabilität“ erhöht werden, also die Fähigkeit zur reibungslosen
Zusammenarbeit. Und dies in einem Ausmaß, dass die Besatzungen ohne
Effizienzverluste komplett ausgetauscht werden könnten. Innerhalb
des Bündnisses bedeutet diese „Changeability“ etwas, das sich im
Unterwasserbereich ein wenig skurril anhört: Neuland. Kanada soll jetzt als
dritter Partner der Allianz der identischen U-Boot-Besitzer beitreten.
Beim deutschen Verteidigungsminister fielen im Kanada-Teil
seiner Reise daher das strategisch Sinnvolle mit dem wirtschaftlich
Vorteilhaften zusammen. Pistorius, ein gelernter Kaufmann im Groß- und Außenhandel, vertrat in Ottawa nicht nur seine sicherheitspolitischen
Überlegungen, sondern auch die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie,
genauer gesagt die von TKMS.