Militärexperte: „Donald Trump könnte den Ukrainekrieg unter zwei Bedingungen verfertigen“
Vor einiger Zeit soll Donald Trump dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu mitgeteilt haben, er wolle den Krieg im Nahen Osten noch vor seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 beendet sehen. Und das ist nicht der einzige militärische Konflikt, den der „President-elect“ auf Eis legen will. So sagte er in seiner Siegesrede: „Ich werde Kriege beenden.“
Nun fragen sich viele, welche Konsequenzen diese Aussage für die Ukraine hat. Immerhin hat Trump vor seiner Wahl die Hilfen für das osteuropäische Land mehrfach infrage gestellt und verlautbart, im Falle seiner Wiederwahl dieses Problem „zu regeln“. Nach eigenen Angaben haben die USA seit Kriegsbeginn Kiew Militärhilfe im Wert von 64 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Ist es damit bald vorbei? Und ist Trump überhaupt in der Lage, den Krieg zu stoppen? Fragen an den Politikwissenschaftler August Pradetto.
der Freitag: Herr Pradetto, ist die Welt durch die Wahl Donald Trumps sicherer oder unsicherer geworden?
August Pradetto: Trump ist ein nationalistischer Egomane, der nichts am Hut hat mit internationalem Recht, internationalen Institutionen oder multilateralen Vereinbarungen. Für ihn ist das, was er als Interesse der Vereinigten Staaten definiert, an erster Stelle: „America First“. Das bestimmt auch sein Verhältnis zur UN, zur NATO und zur Europäischen Union. Wenn so eine Position von einem Regierungschef wie Viktor Orbán in Ungarn vertreten wird, hat das nur beschränkte, regionale Auswirkungen. Aber wenn das ein Mann wie der amerikanische Präsident vertritt, dann löst sowas natürlich ein globales politisches Erdbeben aus. Deswegen bin ich der Auffassung, dass mit Trump die internationalen Beziehungen unberechenbarer, unsicherer unddisruptiver werden.
Trump hat angekündigt, den Ukrainekrieg „innerhalb von 24 Stunden“ beenden zu können. Ist das realistisch?
Es wäre realistisch nur unter zwei Bedingungen. Erstens: Wenn er Wolodymyr Selenskyj die Pistole auf die Brust setzt und die Zahlungen, vor allem die Waffenlieferungen, an die Ukraine einstellt. Dann bleibt der ukrainischen Führung nichts anderes übrig, als in irgendeiner Weise den Krieg zu einem Ende zu bringen. Zweitens, und das ist der entscheidende Punkt: Wenn er auf die Forderungen Putins eingeht. Die erklärten Ziele der russischen Kriegsführung sind die Übernahme des Donbas und dass die Ukraine kein NATO-Mitglied wird.
Wird Trump beides akzeptieren?
Kiew eine Absage an eine NATO-Mitgliedschaft zu erteilen, wird ihm nicht schwerfallen. Trump ist ja sowieso niemand, der noch zusätzliche Verpflichtungen und dann noch für ein Kriegsland wie die Ukraine haben will. Mit dem Donbas verhält es sich ein bisschen anders, denke ich. Trump will bestimmt nicht einer sein, der Putin über die bestehenden militärischen Realitäten hinausgehend in der Ostukraine territoriale Zugeständnisse in einem Drittland macht. Dann würde er gegenüber Moskau als schwacher Präsident dastehen. Das wird er versuchen, zu verhindern. Ich gehe deswegen davon aus, dass die russische Armee versuchen wird, in den zwei verbleibenden Monaten bis zu Trumps Amtsantritt möglichst viel Territorium zu erobern. Im günstigsten Fall endet der Krieg dann an der bestehenden Frontlinie.
Die NATO-Osterweiterung um die Ukraine war von Anfang an gefährlich
Ob und wann der Krieg endet, hängt auch davon ab, wen Trump als Außenminister bestimmt. Da sind ja gerade zwei Namen im Gespräch: Richard Grenell und Marco Rubio …
… und Mike Pompeo!
Wie würde die letztliche Auswahl denn die amerikanische Ukrainepolitik beeinflussen?
Alle drei liegen voll auf Trumps Linie, insofern, als sieUnilateralisten und America-First-Vertreter sind. Sie wollen nicht europäische Interessen groß berücksichtigen, sondern nur dann, wenn eine Übereinstimmung mit den amerikanischen Interessen besteht. Alle drei folgen Trumps Kurs, den Ukrainekrieg schnell zu beenden. Ich denke aber, dass Richard Grenell aus Sicht Kiews noch die günstigste Wahl wäre …
Wieso?
Erstens würde er gegenüber der russischen Führung bestimmt genauso arrogant auftreten wie seinerzeit gegenüber der deutschen Regierung, als er Botschafter in Berlin war. Zweitens könnte seine sexuelle Orientierung der Ukraine paradoxerweise zugutekommen. Schließlich steht seine Homosexualität in völligem Widerspruch zur Homophobie, die von Putin und der russischen Führung gepflegt wird. Grenell würde gegenüber dem Kreml schon deswegen noch unnachgiebiger auftreten als die anderen zwei.
In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ war kürzlich zu lesen, dass im Falle eines Sieges von Kamala Harris eine Einladung der Ukraine in die NATO im Raum stünde – zumindest jener Gebiete, die von der Kiew-Regierung kontrolliert werden. Das wäre gefährlich geworden, oder?
Zweifellos! Die NATO-Osterweiterung um die Ukraine war von Anfang an gefährlich. Diese Idee wird ja bereits seit 2002 von der US-Administration verfolgt. Das wurde auf einem NATO-Gipfel unter George W. Bush kurz vor dem Einmarsch in den Irak auch dezidiert gesagt: Auch die Ukraine soll ein Teil der NATO werden. 2008 eskalierte das dann, als auf dem Gipfel in Bukarest die amerikanische Administration mit einigen Politikern aus der Ukraine den Antrag einbrachte, Kiew mit einem „Membership Action Plan“ auch ganz praktisch auf den Weg in die NATO zu bringen. Das verhinderten Deutschland und Frankreich, weil sie wussten, dies würde Konfrontation mit Moskau bedeuten. Genau vor dem Hintergrund dieser US-amerikanisch-ukrainischen Initiative fing die heftige Auseinandersetzung mit Russland und Putin an. Er hat dort vehement reagiert und deutlich gemacht: Ich akzeptiere das nicht.
Wäre die Ukraine unter einer Präsidentin Harris in die NATO gekommen?
Nein, dafür hätten alle Mitglieder zustimmen müssen, und es gibt keine einheitliche Meinung dazu in der NATO. Das Unternehmen wäre zum Scheitern verurteilt gewesen.
Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen
Sie haben 2015 in einem Text die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine als „lächerlich“ bezeichnet. Würden Sie das heute auch noch so formulieren?
Mit Blick auf den politischen Umbruch 2014 würde ich das nochmal genauso sagen, ja. Der Ukraine hat es doch damals nicht anWaffen gemangelt. Sie gehörte neben den USA, Russland und einigen westeuropäischen Ländern zu den größten Waffenexporteuren der Welt und stellte nebenbei gesagt auch einen der modernsten Kampfpanzer überhaupt her, den T84. Das Hauptproblem damals war die innerukrainische Aussöhnung: Auf der einen Seite stand die ukrainisch sprechende Volksgruppe, auf der anderen die russophile. Es ging nicht nur um die Gleichbehandlung der Sprachen, sondern auch um die Außenpolitik. Ein Teil der Ukrainisch sprechenden Elite hat die NATO-Mitgliedschaft gefordert, während das vor allem im Osten abgelehnt worden ist. Es war immer eine Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Großgruppen, oder richtiger: zwischen ukrainisch-nationalistischen Kreisen und den russophilen Extremisten.Seit dem 24. Februar 2022 ist die Frage nach den Waffenlieferungen anders zu beantworten. Nach dem russischen Überfall konnte nur versucht werden, die Existenz der Ukraine mit Waffenlieferungen aus dem Westen aufrechtzuerhalten. Aber 2013/2014 stand ein anderer Konflikt im Vordergrund, nämlich die Multiethnizität und die Koexistenz der beiden Volksgruppen in der Ukraine. Dieses Problem wurde auch nach dem Umbruch 2014 nicht gelöst und von den Extremisten auf beiden Seiten eskaliert.
In der öffentlichen Debatte sind Sie nicht bekannt als jemand, der ständig für neue Waffen trommelt.
Völlig richtig. Ich habe immer gesagt: Die Ukraine muss befähigt werden, sich zu verteidigen. Ihr bleibt unter den Bedingungen eines solchen Krieges nichts anderes übrig, und das kann sie nur mit Waffenlieferungen aus dem Westen. Aber bloß Waffenlieferungen werden den Krieg nicht beenden. Dieser Krieg muss politisch beendet werden, und das erfordert eine politische Strategie, die anerkennt, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann und bei Fortdauer des Krieges immer tiefer in die Zerstörung abrutscht.
Wenn Trump bald regiert, wird die Hälfte der US-Unterstützung an die Ukraine wegfallen, heißt es. Welche Folgen hätte das für die Ukraine?
In welchem Ausmaß Waffenlieferungen wegfallen, weiß man nicht. Trump wird mit Sicherheit nicht in der gleichen Weise die Ukraine unterstützen, wie das bisher unter Joe Biden der Fall ist. Deswegen stehen wir vor einem Dilemma: Der Bundeskanzler hat völlig richtig gesagt, dass ohne die amerikanische Unterstützung die Hilfe für die Ukraine von den Europäern nicht kompensiert werden kann.
Der Ukrainekonflikt wird gerne als „Kalter Krieg 2.0“ dargestellt, wo der gute Westen gegen den bösen Osten kämpft. Was halten Sie von diesem Narrativ?
Das geht an der viel komplexeren Realität völlig vorbei, ist aber typisch: An allem sind die Russen schuld. Warum sich in der ersten Hälfte der 2000-Jahre das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland so verschlechtert hat, braucht in diesem Narrativ überhaupt nicht mehr analysiert zu werden. Die eigenen Versäumnisse spielen keine Rolle, und die Ukraine und der Westen sind immer das Opfer.
An allem sollen die Russen schuld sein: Das geht an der viel komplexeren Realität völlig vorbei
Was sind denn die Versäumnisse des Westens?
Dass die Amerikaner über Jahre versucht haben, die Ukraine in die NATO zu holen. Victoria Nuland ist da eine der Schlüsselfiguren, die sich das auf die Fahne geschrieben hatte. Bis vor kurzem war sie noch für die eurasische Politik im amerikanischen Außenministerium verantwortlich. Leute wie sie haben immer gedacht: Die USA machen, was sie für richtig halten. Außerdem: Putin blufft nur. Das war ein schwerwiegender Fehler. 2019 hat die Ukraine die Mitgliedschaft sowohl in der EU als auch in der NATO sogar zum Staatsziel in der Verfassung erhoben. Wie konnte man das nur machen? Wo man, wenn man nicht taub war, wissen konnte, dass Putin das nicht mitmacht?
Hat die Ukraine völkerrechtlich und moralisch nicht das Recht, ihre eigene Außenpolitik zu machen?
Völlig richtig. Aber Recht und Moral sind in der internationalen Politik noch nie die allein gültigen Maßstäbe gewesen. Wie man so an der Realität vorbeigehen konnte, obwohl es nebenan eine große Macht gab, die bereit war, militärisch einzugreifen – das erschließt sich nur, wenn man die Arroganz der Macht in Rechnung stellt, deren Schwäche darin besteht, sich selbst zu überschätzen und Realitäten auszublenden.