Migrationspolitik: Teure Abschreckung

Am Rande des EU-Gipfels in dieser Woche hatte die
italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni noch einen großen Auftritt. Elf
Regierungschefs und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versammelten
sich in einem recht kleinen Raum, um sich von Meloni das sogenannte
Albanien-Modell erläutern zu lassen. Italien ist das erste Mitgliedsland der
Europäischen Union, das ein Aufnahmelager für Migranten in einem Drittstaat
errichtet hat, nämlich in der albanischen Stadt Gjadër.

Nur wenige Tage später jedoch gab es für Meloni einen herben Dämpfer. Kurz nach der Aufnahme der ersten Migranten in dem Lager hat ein Gericht in Rom deren Inhaftierung außerhalb der EU für unzulässig erklärt. Die Richter urteilten, dass die zwölf Männer aus Bangladesch und Ägypten nach Italien gebracht werden müssen, damit dort über ihre Asylanträge entschieden werden kann.

Dabei sah alles für Meloni bisher so gut aus. Im Herbst 2023 hatte die Ministerpräsidentin mit
dem albanischen Premier Edi Rama ein Abkommen für die Einrichtung des Lagers geschlossen. Es
wird auch Aperò-Pakt genannt, weil es wohl während eines Besuches von Meloni in
der Sommerresidenz Ramas geschmiedet wurde – offenbar in recht entspannter
Atmosphäre.

Abschrecken und abschieben

Und noch vor Beginn des EU­-Gipfels hatte
Ursula von der Leyen in einem Brief angeregt, eventuell „Lehren“ aus dem
Abkommen Italiens mit Albanien zu ziehen. Als die 27 Staats- und Regierungschefs am
Donnerstagabend schließlich auseinandergingen, hatte Ursula von der Leyen den
Auftrag, „umgehend einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen“, um die Rückführung
von Migranten aus der Europäischen Union zu erleichtern. „Entschlossenes
Handeln auf allen Ebenen“ sei jetzt gefordert. Der Schwerpunkt europäischer
Migrationspolitik verlagert sich also auf: abschrecken und abschieben.

Aber was kostet abschrecken und
abschieben?

Als die Libra, ein Schiff der
italienischen Marine, am Mittwoch den albanischen Hafen von Shëngjin mit den
ersten Migranten an Bord ansteuerte, begannen die Journalisten des Fernsehender
L7, zu rechnen. 64 Besatzungsmitglieder, zehn Migranten aus Bangladesch, sechs aus
Ägypten – Gesamtkosten der Überführung: 290.000 Euro. Macht pro Migrant etwas
mehr 18.000 Euro. 

Ein Moderator kommentierte mit zynischen Worten: „Da könnte
man jedem eine luxuriöse Kreuzfahrt in der Karibik bezahlen!“ Nur einen Tag
später wurden vier der 16 Migranten wieder nach Italien gebracht. Die vier sind
minderjährig beziehungsweise gesundheitlich angeschlagen, die Kosten für diesen
Transport nicht bekannt. Und jetzt müssen alle anderen bisher nach Albanien gebrachten 14 Migranten wahrscheinlich auch wieder zurück. Es ist eine Blamage für Meloni.

Italien hat für das Lager im
albanischen Gjadër insgesamt 643 Millionen Euro für die ersten fünf Jahre
veranschlagt. 30 Millionen kostet die Errichtung, weitere 30 Millionen sind für
den laufenden Betrieb vorgesehen. Der größte Ausgabenposten – nämlich 252
Millionen Euro – ist für die Beamten des italienischen Justiz-, Innen- und
Gesundheitsministeriums vorgesehen, die im Aufnahmelager von Gjadër ihren
Dienst tun werden. Das macht 180.000 Euro pro Tag. 

95 Millionen Euro sind für
die Anmietung von Schiffen vorgesehen, mit denen man Migranten nach Albanien bringen
wird. Das Aufnahmelager in Gjadër bietet insgesamt Platz für 3.000 Migranten. Nach
den Plänen der italienischen Regierung sollen in dem Lager in Albanien jährlich bis zu 36.000 Asylanträge bearbeitet werden. Bei einem abschlägigen Bescheid soll der
Migrant abgeschoben werden. Erhält er Asyl, kann er auf das italienische
Festland. Die Kosten dafür jedoch sind nicht in der Gesamtkalkulation für das Lager
in Gjadër aufgenommen. 

Unklar ist, was mit den Menschen geschieht, die nicht
abgeschoben werden können, weil kein Land – auch nicht das Land ihrer Herkunft
– sie aufnimmt. Es ist wahrscheinlich, dass sie an den Grenzen der EU hängen bleiben, weil sie weder vor noch zurück können.

Vorbild Großbritannien

Wie teuer abschieben und abschrecken sein kann, lässt sich auch am sogenannten Ruanda-Modell
darstellen. Die britische Regierung hatte als erste europäische Regierung ein
Aufnahmelager in einem Drittstaat errichten lassen, nämlich in Ruanda. Laut
einem Bericht des Nationalen Rechnungshofs in Großbritannien konnte Ruanda bei der Überstellung von
300 Migranten mit einer Überweisung von einer halben Milliarde Pfund rechnen.
Diese Summe setzte sich zusammen aus jährlichen Zahlungen mit einem
Gesamtvolumen in Höhe von 370 Millionen Pfund, das sind rund 430 Millionen
Euro. 

Weitere 120 Millionen Pfund hätte die britische Regierung nach Ruanda überweisen müssen,
sobald die 300 Personen umgesiedelt worden wären. Hinzu kommen rund 23.000 Euro
pro Abschiebung. Der britische Denkfabrik Institute for Public Policy Research
berechnete, dass das Modell Ruanda auf fünf Jahre gesehen den britischen Steuerzahler über
vier Milliarden Dollar kosten würde. Die Kosten pro Migrant könnten sich laut
dem Institut auf knapp 300.000 Euro belaufen. Im
Vergleich dazu kostet die Versorgung eines Migranten in Großbritannien,
berechnet auf zwei Jahre, 70.000 Euro. Diese exorbitanten Kosten rechtfertigte
das Innenministerium der konservativen Regierung folgendermaßen: „Der beste Weg,
um das Geld der Steuerzahler zu sparen, besteht darin, Leute abzuschrecken. Und
unser Abkommen mit Ruanda will genau das erreichen.“

Der im Sommer ins Amt des
Premiers gewählte Sozialdemokrat Keir Starmer beendete das Abkommen mit Ruanda
umgehend mit den Worten. „Es war tot, bevor es gestartet ist.“ Es habe nie als
Abschreckungsmittel funktioniert.