Migration: Darum ist Zuwanderung die Grundlage zum Besten von unseren Wohlstand

Viele Menschen in Deutschland sind unzufrieden mit der Migrationspolitik. Dieser Unmut hat auch die größte Rolle für die Wahlentscheidung bei der
Europawahl
vergangene Woche gespielt. Die Hälfte der Wählerinnen und Wähler der AfD gab Migrationspolitik in Befragungen als Grund für ihre Entscheidung an. Laut einer aktuellen ECFR-Studie
hält fast jede dritte Person in Deutschland Migration für das größte Problem
unserer Zeit. Damit halten mehr Menschen die Zuwanderung für ein größeres Problem als Klimakrise, Kriege oder die
wirtschaftliche Entwicklung. Die Studie zeigt auch, in keinem der anderen der elf untersuchten EU-Länder so viele Menschen Migration als die größte Herausforderung sehen. Was ist los mit Deutschland? Warum machen sich die Menschen hierzulande so viele Sorgen über Mirgration?

Eine Erklärung ist, dass drei falsche Wahrnehmungen den öffentlichen Diskurs bestimmen – und leider auch von Politikern und Politikerinnen demokratischer Parteien immer wieder befeuert
werden.

Die erste falsche Wahrnehmung ist
der Glaube, die Zuwanderung sei ein sozialer und wirtschaftlicher Nachteil für Deutschland.
Manche behaupten, Migration sei schädlich, weil es vor
allem eine Zuwanderung in die Sozialsysteme sei, die die Daseinsfürsorge für
Deutsche erodiert. So wird beispielsweise behauptet, Geflüchtete ließen sich „die
Zähne machen“
, während Deutsche auf einen Termin warten müssten. Dadurch wird
ein Verteilungskampf geschürt, bei dem verletzliche Gruppen von Deutschen und Zugewanderten
gegeneinander ausgespielt werden sollen.

Wohlstand dank Zuwanderung

Fakt ist: Die Zuwanderung der
letzten 50 Jahre war und ist im Ganzen eine Erfolgsgeschichte für Deutschland. Fast 30 Prozent der Menschen in Deutschland heute haben einen
Migrationshintergrund – sie sind also selbst ohne deutsche Staatsangehörigkeit
geboren oder zumindest ein Elternteil. Ohne diese Zugewanderten und ihre Kinder
wäre das Wirtschaftswunder und der große Wohlstand heute nicht möglich gewesen.
Dies gilt insbesondere für die vergangenen zehn Jahre, in denen über 50 Prozent des Aufbaus der Beschäftigung durch
Zuwanderung zustande gekommen ist. Im letzten Jahr war es sogar 100 Prozent. Denn
die Zahl der Deutschen im erwerbstätigen Alter sinkt seit geraumer Zeit. Ohne
die starke Zuwanderung wäre das goldene Jahrzehnt der 2010er-Jahre nicht
möglich gewesen und das Arbeitskräfteproblem heute um ein Vielfaches größer.

Immer wieder ist fälschlicherweise
zu hören, gerade die Geflüchteten, die ab 2015 nach Deutschland gekommen sind,
würden sich nicht gut in den Arbeitsmarkt integrieren. Das stimmt nicht. Denn
mit 86 Prozent ist die Erwerbsquote der Männer, die in den Jahren 2014 bis 2016
nach Deutschland geflüchtet sind, höher als die Erwerbsquote deutscher Männer.
Gerade Unternehmen gehören meist zu den größten Unterstützern dieser
Zuwanderung und werden nicht müde, die Notwendigkeit für Migration und den
Erfolg bei der Integration zu betonen. Dabei ist dieser Erfolg sicherlich nicht
ohne Kehrseiten und einzelne Misserfolge. Die Erwerbsquote von Frauen ist unter
Geflüchteten sehr gering, häufig brauchen Reformprozesse zu lange und natürlich
gibt es auch vereinzelten Missbrauch sozialer Leistungen. Aber Fakt ist: Gerade
in den letzten zehn Jahren wurden viele wichtige Reformen umgesetzt, sodass die
Integration von Zugewanderten in Arbeitsmarkt und Gesellschaft besser gelungen
ist, als damalige Prognosen vorhergesagt haben. 

Deutschland ist für viele Fachkräfte unattraktiv

Der zweite Irrglaube basiert auf
der Behauptung, Deutschland sei zu attraktiv als Zuwanderungsland und ziehe vor allem Menschen mit geringen Qualifikationen an, oder Personen, die eine andere
Kultur und Religion haben. Man müsse daher die sogenannten Pull-Faktoren
schwächen, also soziale Leistungen kürzen, Bezahlkarten und harte
Wohnsitzauflagen einführen oder Migranten erst später Zugang zur vollen Gesundheitsversorgung
ermöglichen. 

Eine Studie für Dänemark zeigt, wie kontraproduktiv dieser Kurs sein
kann. Denn gekürzte Leistungen erhöhen die Armut und erschweren die
Integration. Und sie reduzieren die Zuwanderung von Menschen mit geringen Qualifikationen
nur geringfügig. Dagegen reduzieren sie die Migration von Menschen, die
Deutschland heute dringend benötigt, nämlich von qualifizierten Ingenieurinnen,
Pflegekräften und IT-Programmierern. Denn diese Menschen haben Optionen und
werden weiterhin einen großen Bogen um Deutschland machen, wenn Migration eigentlich nicht gewünscht ist. Deutschland ist für
viele Menschen weltweit nicht das Paradies auf Erden. Zumal Deutschland bei
seiner Willkommenskultur mit am schlechtesten abschneidet. Die gegenwärtige Migrationspolitik gehört daher
zu der schlechtesten der Welt: Sie reduziert die Zuwanderung von Fachkräften und
erschwert die Integration derer, die bereits in Deutschland sind.

Zuwanderung lässt sich nicht steuern

Der dritte Irrglaube ist die
Behauptung, Deutschland könne Zuwanderung steuern. Die Forderung auch mancher
Politiker demokratischer Parteien nach einer konkreten Obergrenze von
beispielsweise 200.000 Migranten und Migrantinnen pro Jahr ist perfide, weil sie den Fokus des Diskurses verschiebt. Eine solche konkrete Zahl
ist unmöglich zu nennen und die Vorstellung, Deutschland könne Zuwanderung frei wählen und die
Grenzen schnell und kategorisch schließen, wenn die Höchstzahl erreicht ist, ist schlicht absurd.
Wer eine Obergrenze fordert, der fordert zumindest implizit eine Beschneidung
des Asylrechts und eine Veränderung des Grundgesetzes.

Wer behauptet, man könne Zuwanderung steuern, lenkt von der sehr viel
dringenderen Aufgabe ab: Wie kann die Integration derer, die sich bereits in
Deutschland befinden, besser und schneller gestaltet werden kann? Kommunen und
Städte stehen vor großen Herausforderungen, wenngleich nicht alle pauschal überfordert sind. Denn 70 Prozent der Kommunen geben an, dass sie weiterhin handlungsfähig
sind. Aber Kommunen benötigen deutlich mehr logistische und finanzielle
Unterstützung durch Bund und Länder, die sich häufig gegenseitig die
Verantwortung zuschieben.

Das effektivste Instrument ist eine schnellere und
bessere Integration – und nicht Leistungskürzugen oder höhere Hürden für
die Geflüchteten. Weniger Bürokratie und mehr Pragmatismus bei der Anerkennung
von Qualifikationen, bei den Anforderungen von Sprachkenntnissen, mehr Flexibilität bei Wohnsitzauflagen und mehr Unterstützung für die Unternehmen
bei der Ausbildung sind der richtige Weg, um sowohl die Integration in
Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu verbessern als auch gleichzeitig die Kommunen zu
entlasten.

Die Zuwanderung
nach Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Sie ist die Grundlage für
wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand und wird dies in den kommenden 20 Jahren
noch stärker sein. Dies bedeutet nicht, dass es nicht zahlreiche Defizite und
Herausforderungen gibt. Aber Deutschland braucht wieder einen klaren Kompass in
der Gesellschaftspolitik und im Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Dafür müssen wir das
Narrativ korrigieren. Zuwanderung ist eine riesige Chance für Deutschland. Wir wären klug beraten,
diese Chance zu nutzen.