Mehr Komik geht nicht: Loriot ist jetzt Frankfurter

Vor anderthalb Jahren schloss in Frankfurt eine Ausstellung, die mit ihren 130.000 Besuchern das veranstaltende Caricatura-Museum für Komische Kunst laut dessen Direktor Martin Sonntag zum „in Relation zu seinen Quadratmetern bestbesuchten Museum der Welt“ gemacht hat. Und auf der zweiten Station in Schloss Oberhausen wollten dann noch einmal mehr als 50.000 Menschen diese Schau sehen. Ihr Gegenstand: das Werk Vicco von Bülows alias Loriot. Es erwies sich mehr als ein Dutzend Jahre nach dem Tod Loriots als ­Massenmagnet – und damit als offenkundig zeitlos.

Bis jetzt war es für die Öffentlichkeit indes auch heimatlos. Aufbewahrt in Loriots Villa am Starnberger See, blieb es mit Ausnahme der besagten Ausstellung unzugänglich. Obwohl wir es ja alle nur zu gut zu kennen scheinen: in Form der Fernseh­sketche mit Loriot und Evelyn Hamann oder der Trickfilme mit Protagonisten wie Herrn Müller-Lüdenscheidt und Doktor ­­Klöb­ner oder dem über ein Frühstücksei in Rage geratenen Ehepaar, in Form der Auftritte von Wum und Wendelin in der Fernsehshow „Der große Preis“ (alle diese gezeichneten Figuren sprach Loriot selbst), der Kino-Riesenerfolge „Ödipussi“ und „Pappa ante Portas“, des Comic-Strips „Reinhold das Nashorn“ aus der Illu­strierten „Stern“ und vor allem der des berühmten Knollennasenmännchens mit Stresemann und Melone – einer Ikone der bürgerlichen Welt der Fünfziger.

Benimmregeln à la Loriot: Diese Zeichnung zeigte das Caricatura-Museum 2023/24 in seiner großen Ausstellung.
Benimmregeln à la Loriot: Diese Zeichnung zeigte das Caricatura-Museum 2023/24 in seiner großen Ausstellung.Anton Vester

Aber das, was hinter all diesen Klassikern des deutschen Humors (und wie wenige haben wir davon!) stand, also Zeichnungen, Drehbücher, Fotos, Dokumente, Produktionsmaterialien, Ideenskizzen, dieser ganze Nachlass bildet einen Schatz, um dessen Wert jeder wusste, ohne ihn in seiner Gesamtheit kennen zu können. Und morgen wird die Stadt Frankfurt bekanntgegeben, dass sie ihn bekommt. Also am 12. November, dem Geburtstag von Loriot.

Was München versäumt hat, nutzt jetzt Frankfurt

Das blamiert vor allem München, wo man die Hand schon am Hort hatte, denn die Familie des ja in der Nachbarschaft gelebt habenden Loriots war bereit, seinen Nachlass in eine dortige „Pinakothek der Komik“ einzubringen, die auf Initiative mehrerer ortsansässiger prominenter Humoristen gegründet werden sollte. Eine grandiose Idee, aber München rang sich trotz ständiger Debatte nie zu einem endgültigen Bekenntnis durch, und so kam nach jahrelanger Frustration der Initiatoren über Hinhalten eine andere Stadt beim Ringen um das Kronjuwel des verheißenen Bestandes ins Spiel.

Auch der Tonfall unverkennbar Loriot: „Brandmeister Dröge versichert, diese Darbietung in dringenden Fällen auch mit zwei Bällen zeigen zu können, vorausgesetzt, dass ihm zwei Schläuche zur Verfügung gestellt werden.“
Auch der Tonfall unverkennbar Loriot: „Brandmeister Dröge versichert, diese Darbietung in dringenden Fällen auch mit zwei Bällen zeigen zu können, vorausgesetzt, dass ihm zwei Schläuche zur Verfügung gestellt werden.“Jahrbuch „Satire“ des Museums für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch

Entscheidend dabei war natürlich die Frankfurter Ausstellung von 2023/24. Martin Sonntag, damals gerade frisch ins Direktorenamt gelangt, lud Loriots Nachkommen zu einem Besuch in Museum und Stadt ein, und mit Till Kaposty-Bliss konnte er einen externen Co-Kurator für die Loriot-Schau aufbieten, der als Mitherausgeber der traditionsreichen Zeitschrift „Das Magazin“ und Neueigentümer des altehrwürdigen Satireverlags Bärmeier & Nikel sein Herz für komische Kunst bereits vielfach bewiesen hatte. Dessen Verhältnis zur Familie von Bülow gestaltete sich denn auch in der Folge so vertrauensvoll, dass sie Kaposty-Bliss jetzt zum Geschäftsführer eines eigens zum Zwecke der Nachlassverwaltung gegründeten Unternehmens machte: dem „Studio Loriot“. Kürzlich hat es seinen Sitz nach Frankfurt verlegt. Das hätte alle hellhörig machen müssen.

Ein eigenes Domizil für Loriot wird schon gesucht

Doch die Stadt selbst agierte, ganz anders als München, über all die Zeit hinweg im Verborgenen, dafür aber zielstrebig, und so einigte sie sich schließlich auf ein Triumvirat aus Caricatura-Museum, Familie und Studio Loriot, das gemeinsam an die Erschließung des Nachlasses ging und ihn gesammelt vom Starnberger See an den Main überführte, wo er jetzt allerdings erst einmal im Depot ruht. Frühestens im kommenden März zum halbjährlichen Dauerausstellungswechsel des Caricatura-Museums darf man mit ersten Einblicken in den Zuwachs rechnen.

Es geht kein Blatt mehr zwischen Frankfurt und Loriot: Vicco von Bülow.
Es geht kein Blatt mehr zwischen Frankfurt und Loriot: Vicco von Bülow.Wolfgang Haut

Bis dahin werden weiterhin Gespräche mit potentiellen Sponsoren laufen, denn auch wenn die Stadt in der Ankündigung ihrer gestrigen Pressekonferenz zur Erwerbung von einem „Geschenk“ sprach, bekommt sie Loriot nicht gratis. Schon Erschließung und Konservierung des Nachlasses kosten Geld, und über sonstige finanzielle Konditionen wird noch nichts verlautbart.

Klar ist aber, dass der neue Bestand mit seinen mehreren tausend Objekten nicht einfach ins bestehende Museum inte­griert werden kann. „Niemand darf erwarten“, stapelt Sonntag tief, „dass wir etwas in der Größenordnung unserer damaligen Schau zeigen werden, die sich über alle drei Ausstellungsgeschosse des Caricatura-Museums erstreckte.“

Doch es wird ein neues Domizil für Loriot brauchen, und die Suche hat längst begonnen. Zentrumsnahe soll es liegen, denn das Museum hat seinen Platz direkt neben dem Dom, und selbstverständlich will man die Anziehungskraft des Namens Loriot auch fürs Stammhaus nutzen, dessen Sammlungsschwerpunkt bislang auf den Arbeiten der Neuen Frankfurter Schule liegt, also dem Zeichnerkreis um die hier gegründeten Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“: F. K. Waechter, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, Hans Traxler, Bernd Pfarr, Greser & Lenz und noch manche mehr. „Mit dem Werk von Loriot“, so sagt Sonntag, „erreichen wir eine neue Dimension, denn das steht für etwas anderes als die Neue Frankfurter Schule, etwas viel Breitenwirksameres: für die bürgerliche Komik statt der für ‚Pardon‘ oder ‚Titanic‘ typischen Satire.“

Diesmal kein Fokus mehr nur auf Zeichnungen

Darin liegt auch ein potentielles Konfliktfeld, denn Loriots Popularität übersteigt die seiner Kollegen bei weitem. Erst jüngst hat es unter den noch lebenden Veteranen der Neuen Frankfurter Schule Zerwürfnisse über die Museumspolitik der von ihnen als „unser Haus“ betrachteten Caricatura gegeben: Wurden dort traditionell Zeichner gesammelt, wünschten sich Autoren der Neuen Frankfurter Schule auch die Aufnahme ihrer Arbeiten, also schriftlicher Zeugnisse. Mit dem städtischen Ankauf eines Teils des Archivs von Pit Knorr, „Titanic“-Mitbegründer, wurde ein erster Schritt in diese Richtung getan, zum Missfallen von Hans Traxler, dem Nestor der Zeichnerriege.

Loriots Titelbild für die erste Ausgabe von „Pardon“, 1962
Loriots Titelbild für die erste Ausgabe von „Pardon“, 1962Jahrbuch „Satire“ des Museums für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch

Aber das Caricatura-Museum macht nun Fehler gut, die zu Beginn begangen wurden: Die Werke des vielseitigen, 2005 gestorbenen Robert Gernhardt etwa sind weit verstreut – die Zeichnungen in Frankfurt, Schriftliches in Marbach und die Gemälde immer noch in Familienbesitz. Doch nur der ganze ist der wahre Gernhardt. Daraus hat man beim Erwerb der Hinterlassenschaft von Loriot gelernt.

Und wessen Werk könnte noch Einzug ins Museum halten?

Mit dessen Werk wird das Museum auch multimedial neu herausgefordert: Die größte Wirkung erzielte Loriot über Fernsehen und Kino, es muss also Bildschirme in den Ausstellungsräumen geben. Vollständige Produktionsketten von Komik können anhand des von diesem Perfektionisten hinterlassenen Materials vorgeführt werden – eine Vorschau womöglich auf das, was andere dem Haus bereits verbundene Humoristen wie etwa Otto Waalkes dereinst zur Verfügung stellen könnten. Waalkes’ Ruhm verdankt sich ja nicht zuletzt seinem Autorentrio Gernhardt, Knorr und Bernd ­Eilert, deren Texte das Schaffen des ostfriesischen Komikers eng mit der Frankfurter Satireszene verzahnt haben.

Auch bei Loriot gibt es solche Verbindungen. Er war eng befreundet mit Hans Traxler, und als im September 1962 in Frankfurt das erste Heft von „Pardon“ erschien, schmückte das Titelbild ein Blumengruß aus der Zeichenfeder Loriots, charmant dargebracht von seinem legendären Knollennasenmann – übrigens sehr zur Enttäuschung das da­maligen Chefgestalters der Zeitung, F. K. Waechter, der mit seinem eigenen Entwurf den Kürzeren gezogen hatte: einem hinterhältigen Teufelchen.

Über alle wechselseitige Sympathie darf die Rivalität zweier Komiktraditionen nicht vergessen werden, deren eine sich als gesellschaftskritisch verstand, während die andere bourgeoisem Elitarismus frönte. Erstaunlich genug, auch erfreulich, dass es die Letztere, die von Loriot, war, die erfolgreicher war. Über sich selbst zu lachen ist souveräner als über andere. Von dem, was künftig mit den Beständen des Caricatura-Mu­seums über beide Spiel­arten der Komik erzählt und davon gezeigt werden kann, darf man träumen.

Herzstück der kommenden Präsentation soll Loriots Arbeitsplatz werden

So soll in einer künftigen externen Loriot-Galerie auch der Arbeitsplatz des Humoristen aus der Villa am Starnberger See rekonstruiert werden: der Ursprung seines Universums. Martin Sonntag er­innert sich an den ersten Besuch dort: „Ich bin kein Freund von Weihestätten, aber dort war die Aura unglaublich. Ein schlichter eher kleiner Schreibtisch, aber darum herum die zahllosen Schallplatten des Klassikliebhabers Loriot, und dazu Lautsprecher, mit denen er Musik bis nach Meppen hin hätte erklingen lassen können.“

Wer jemals das Charles-Schulz-Museum im kalifornischen Santa Rosa besucht hat, das dem Leben und Schaffen des Erfinders der Comicserie „Peanuts“ gewidmet ist, der weiß, was für einen Zauber solch ein Arbeitsplatz vermittelt, von dem das Lachen ganzer Generationen seinen Ausgang genommen hat. Derartige Installationen haben nichts Ehr­furch­tgebietendes, sie sind Freudequell.

Die jetzige Nachricht ist ein Freudenquell für Frankfurt. In den nächsten Monaten muss sich dann erweisen, wie gut das Triumvirat aus ­Museum, Studio und Familie zusammenarbeitet. Eine Kommune, die Geld investiert, auf dass ihr Komik-Museum zur wichtigsten deutschen Institution seiner Art werde, darf nicht in den Ruch kommen, Erfüllungsgehilfin privatwirtschaftlicher oder familiärer Interessen zu sein.

Aber da scheint jenes Vertrauensverhältnis vor zu sein, das sich morgen artikulieren soll. Loriots Enkel Leo von Bülow-Quirk, nach dem unerwarteten Tod seiner Tante, der jüngeren Loriot-Tochter Susanne von Bülow, im vergangenen Januar zum Sprecher der Familie geworden, wird ­eigens aus London an­reisen, um die neue Partnerschaft zu bekräftigen. Es kann ein großes Glück für Frankfurt werden. Nie war mehr Lametta. Sagen wir jetzt nichts. Es gibt ja genug zu lachen.

Source: faz.net