Medien | Schreiben pro die Charts: Wenn Major-Labels eigenen Musikjournalismus betreiben

Kaum zu glauben, aber es gibt sie noch: neue Onlinemagazine über Pop und Musik. Wer steckt hinter diesen Formaten? Welche Hand füttert hier eigentlich wen? Und was würden wir sagen, wenn Politiker ihre eigenen Zeitungen schrieben?


Wo sind die Edelfedern? Musikjournalist:innen kämpfen mit Newslettern, Podcasts und Instagram ums Überleben

Montage: Der Freitag, Material: Midjourney


Es steht nicht gut um den Musikjournalismus in Deutschland. Wer heute die großen Debatten und Diskurse lesen möchte, greift nicht mehr zu Magazinen, sondern informiert sich in Newslettern oder auf Instagram. Denn über diese Kanäle verbreiten viele Musikjournalist:innen mittlerweile vornehmlich ihre Texte, Analysen, Interviews und Reportagen – und hoffen auf Abos und Likes, die sich vielleicht in gut oder zumindest besser bezahlte Aufträge „konvertieren“ lassen.

Die Zeiten, in denen all das in renommierten Magazinen wie De:Bug, Spex, Groove und Intro stattfand, sind schon längst vorbei, die finanziellen Segel gestrichen. Die wenigen verbliebenen, regelmäßig erscheinenden Print-Magazine – Musikexpress und Rolling Stone – feiern unter der Fuchtel mächtiger Verlage (Springer) den Mainstream und hoffen in der Online-Präsenz darauf, dass KI-generierte Texte verfangen. Und die Journalist:innen? Folgen wieder mal dem großen Versprechen der Digitalkonzerne, das sich seit der Erfindung des Internets schon mehrmals als Finte herausgestellt hat.

Die Sackgasse der Selbstvermarktung

Denn Inhalte in den sozialen Medien zu veröffentlichen, um Leser:innen auf die eigene Website zu locken, funktioniert nicht. Und Bezahlschranken und Crowdfunding-Lösungen sind derart volatile Instrumente, dass sie in der Regel keinen messbaren Umsatz generieren. Das Resultat ist die Selbstvermarktung. Journalist:innen kämpfen um die wenigen Aufträge, mit denen wenigstens die Miete bezahlt werden kann: „Expert:innen-Gespräche“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sogenannte Pressetexte rund um neue Veröffentlichungen, gerne auch für die großen Plattenfirmen.

Oder eben Podcasts oder Newsletter, die man für Geld abonnieren kann und die oft über fragwürdige Plattformen wie Substack veröffentlicht und vertrieben werden. Fragwürdig, weil die Mechanik dieser Anbieter einerseits erneut den Plattform-Kapitalismus evoziert, der schon in den klassischen sozialen Netzen gescheitert ist, und andererseits – US-amerikanische Tradition – die Idee der „free speech“ zu wörtlich versteht und man so unter Umständen in unangenehmer Gesellschaft publiziert. Es steht also nicht gut um den Musikjournalismus in Deutschland.

In dieser Gemengelage ist es fast schon überraschend, dass immer noch neue Formate entstehen, die – zumindest auf den ersten Blick – klassischer, also unabhängiger Musikjournalismus sind. Beispiele sind die Websites thecircle.de und grainsmusic.com. The Circle empfiehlt sich musikbegeisterten Menschen auf Instagram als Magazin, Community und – natürlich – angeschlossenem Onlineshop rund um das Thema Vinyl. Neben Kurzmeldungen zu neuen Veröffentlichungen findet sich in der Navigation auch der Reiter „Magazin“, in dem zum Teil durchaus veritabler Journalismus zu aktuellen Themen und Phänomenen von ebenso veritablen Autor:innen veröffentlicht wird.

Grains hingegen – ebenfalls mit Onlineshop und im Gegensatz zu The Circle in englischer Sprache, also mit deutlich internationalerem Anspruch – versteht sich als Anlaufstelle rund um Ambient-Musik, zeitgenössische Klassik und Soundtracks. Das klingt interessant, vielleicht sogar unterstützenswert. Tut sich etwas im Musikjournalismus? Ein Blick ins Impressum beider Magazine legt jedoch den Absender offen: Universal Music, die größte Plattenfirma der Welt.

Universal stellt die eigene Marke nicht nach vorne. Findet sich das Label uncool?

Das ist zunächst keine Katastrophe, das Prinzip bekannt. Corporate Publishing markierte ab der Spätphase des Dotcom-Booms tatsächlich eine mögliche Alternative für das schreibende Prekariat. Die Idee ist einfach: Unternehmen investieren Geld in qualitativ hochwertige Texte und andere Inhalte, die zur Marke passen, auf die jedoch abseits des immer präsenten Logos nur selten Bezug genommen wird. So entstanden Formate und Plattformen, die sich die Firmen einfach leisteten.

Großzügige Budgets ermöglichten guten Journalismus, auch im Musikbereich. Die Red Bull Music Academy ist das vielleicht bekannteste Beispiel, aber auch Hersteller von Unterhaltungselektronik und Telekommunikationsfirmen erhofften sich mit der Aufarbeitung musikalischer Themen Kredibilität in den relevanten Zielgruppen ihrer Produkte. Dass Universal Music diesen Faden des Marketings wieder aufnimmt, ist nachvollziehbar, die Strategie dabei jedoch ungewöhnlich. The Circle und Grains präsentieren sich als eigenständige Plattformen.

Universal Music stellt die eigene Marke nicht nach vorne und lässt den Ursprung des Angebots damit im Unklaren. Vielleicht hält sich das Unternehmen selbst für zu uncool, um das offen zu kommunizieren. Dabei deckt die Universal Music Group (mit einem Umsatz 2024 von 11,38 Milliarden Dollar) faktisch alle Genres ab – von Klassik (Deutsche Grammophon) über Jazz (Blue Note) bis zu Hip-Hop, Rock, Pop etc. Und dass die in den Onlineshops angebotenen Produkte allesamt aus diesem Haus kommen, wissen und erkennen nur Nerds und Auskenner:innen.

Debatten und Diskurse verblassen

Aber wie verhält es sich nun mit den Artikeln, dem Journalismus? Reportagen und tiefgehende Interviews sucht man auf beiden Plattformen leider vergeblich. Künstler:innen und ihre neuen Veröffentlichungen werden vorgestellt, Daten der Musikgeschichte zum Anlass genommen, an dies oder das zu erinnern. Dazu kommen erklärende Texte, die in Genres oder das Werk von Musiker:innen einführen und – wenn es gut läuft – kontextualisieren.

Debatten und Diskurse werden auf beiden Plattformen nicht geführt. Das ist schade, aber noch kein Grund, die Websites sofort aus der Bookmark-Liste zu löschen. Es zeigt vielmehr, wie sehr diese prägende und wichtige Praxis, Dinge zu verhandeln, mittlerweile im Selbstverständnis vieler Musikjournalist:innen verblasst ist und vornehmlich in Nischen stattfindet, in denen nur die mitlesen, die schon zum Frühstück drei Kolumnen von Mark Fisher inhalieren.

Aber Musikjournalist:innen wissen eben, was gefragt und bezahlt wird. Ändern wird sich das nicht mehr. Auch das ist schade, interessiert Universal Music aber bestimmt nicht. Denn wo Produkte sind, sind auch Wege, um sie zu verkaufen.