Martina Hefter: „Hi Schönste, hallo Hübsche“
Es beginnt mit Tätowierungen, mit abwaschbaren und solchen, die in die Haut eingebracht und kaum mehr entfernbar sind. Ihre Trägerin heißt Juno, sie ist Tänzerin, Performerin und sie schreibt. Eines von Junos Tattoos, das fest eingebrachte auf ihrem rechten Oberschenkel, besteht aus den Worten „Dolce Vita“ in geschwungener Schrift über einem Stern aus Pünktchen. „Warum Dolce Vita?“, fragt die Erzählerin und gibt die Antwort: „Dolce Vita ist das, was man sich immer wünscht, und zugleich, was man verachtet. Nur durch Leid und Tod anderer zu bekommen.“ Mit diesen ersten Sätzen aus Martina Hefters viertem Roman Hey guten Morgen, wie geht es Dir? ist schon eines der Dilemmata umrissen, die in diesem Roman verhandelt werden: Wie geht es, das süße oder gute Leben, und auf wessen Kosten lebt man es?
Hefter, 1965 im Allgäu geboren, Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig und seit 1997 dort beheimatet, fasst nicht erst in diesem Roman heiße Eisen an. Die Autorin, die in diesem Jahr mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds ausgezeichnet wird, auch mit Blick auf ihre Lyrikbände Nach den Diskotheken oder Es könnte auch schön werden, schaut dorthin, wo es wehtut, wo Menschen sich gegenseitig und manchmal unfreiwillig wehtun, wo Machtgefälle entstehen. Und sie schaut auf die verletzlichen und verborgenen Seiten ihrer Figuren.
In Hey guten Morgen wie geht es dir? sehen wir Juno Isabella Flock bei ihrer prekären Arbeit als freiberufliche Tänzerin und Performerin zu. Juno, über fünfzig und deswegen als Tänzerin weit weniger gefragt als jüngere Kolleginnen, lebt mit ihrem chronisch kranken Mann Jupiter, einem Schriftsteller, zusammen, und muss ihr Leben um dessen Hilfsbedürftigkeit herum arrangieren, sich um ihr Training, ihre Auftritte, um praktisch alles kümmern, denn Jupiters Krankheit schreitet voran. Jupiter, das ist in der Realität Martina Hefters Partner, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, der seit 15 Jahren an Multipler Sklerose leidet. Sein Roman Krüppelpassion erzählt davon.
Knappes Geld ist Dauerthema
Derartig sacheingezwängt verspricht kaum etwas schnellere Ablenkung und Erleichterung bei Schlaflosigkeit als die „glitzernde, hüpfende Neugier“, die Juno verspürt, wenn sie sich über Instagram die Anfragen von Love Scammern ansieht: „Hi Schönste / Hallo Hübsche / Hi du Sonnenschein, wie geht’s?“ Juno weiß, dass sie es mit Love Scammern zu tun hat, mit Männerprofilen, die sich an Frauen richten, die einsam sind, sich nach Liebe sehnen, in ihrer Verwundbarkeit weich und damit leicht finanziell ausbeutbar werden.
Juno setzt eigene Lügengeschichten dagegen. Bis sie den nigerianischen Scammer „Owen Wilson“ trifft, hinter dem sich Benu verbirgt. Juno beginnt sich für ihn zu interessieren, für die Situation in Nigeria, die Konversation der beiden wechselt zu Whatsapp, und der Thrill, der damit verbunden ist, bringt Farbe in ihr eintöniges und oft mühsames Leben, in dem neben Jupiters Krankheit auch das knappe Geld ein Dauerthema ist.
Lakonisch und wahrhaftig, melancholisch und witzig ist der Ton, den Martina Hefters Roman anschlägt. Dadurch wird das Elend von Junos und Jupiters Leben, werden die kalten Ökonomien einer globalisierten Welt, in denen eine perverse Passung von über Zeit und Zuwendungsenergie verfügenden Männern, die nicht als Repräsentanten einer kapitalistischen Ordnung leben, und Frauen, die sich nach Zuwendung sehnen, erträglicher. Wie nebenher zielt Hefters Erzählerin hin und wieder auf die Lindenblätter des Literaturbetriebs, etwa bei einer Lesung Jupiters im Rahmen einer Preisvergabe – und trifft.
Brennend sind die Fragen, die Hefters Roman – er ist nominiert für die Longlist des Deutsches Buchpreises – aufwirft: Wie lässt sich unter prekären Verhältnissen gut mit Krankheit in einer Beziehung umgehen? Wohin mit der Sehnsucht, Traurigkeit, der Scham? Ob nun die Scham gegenüber der Frau vom Amt, die alljährlich neu Jupiters Einstufung seines Pflegegrads vornehmen muss, oder der Scham Junos über Benus Armut, gegenüber der sich ihre prekären Verhältnisse harmlos ausnehmen? In einer genau gearbeiteten Sprache trägt Hey guten Morgen, wie geht es dir? diese Fragen zur Zeit, zum guten Leben, an uns heran, frei von Pathos, in präziser Schärfe.
Hey guten Morgen, wie geht es dir? Martina Hefter
Klett-Cotta 2024, 224 S., 22 €