„Man kann es wie Churchill äußern: ‚Es wird Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß nötig haben‘“

Angesichts der Debatte über mögliche Friedenspläne für die Ukraine hat Frankreich dazu aufgerufen, keine Entscheidungen ohne Kiew zu treffen. Auch die Europäer müssten eine zentrale Rolle spielen, so Außenminister Jean-Noël Barrot. Die Sicherheit des Kontinents stehe auf dem Spiel.

Jean-Noël Barrot empfängt in seinem riesigen Büro im Quai d’Orsay, dem Sitz des Außenministeriums am südlichen Ufer der Pariser Seine. Die Holzvertäfelung ist bunt verziert, der Stuck vergoldet. In einer Ecke steht ein Standglobus aus einer Zeit, als Frankreich noch eine Großmacht war.

Barrot, 41, war lange Generalsekretär der Zentrumspartei Mouvement Démocrate (Modem), die Regierungschef François Bayrou gegründet hat. Bevor er im September Außenminister wurde, war er beigeordneter Minister für Digitales und danach Europaminister.

WELT AM SONNTAG: Die zweite Amtszeit von Donald Trump scheint das Ende des Multilateralismus zu besiegeln. Analysten sprechen von Neo-Imperialismus. Wie haben sich Frankreich und die EU auf diese neue Weltordnung vorbereitet?

Jean-Noël Barrot: Europa bereitet sich seit 2017 darauf vor und Frankreich hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Bei seiner ersten Sorbonne-Rede hat Präsident Emmanuel Macron die absolute Notwendigkeit dafür dargelegt, dass Europa eine strategische Autonomie aufbauen muss. Ausgehend von dieser Idee, die vor acht Jahren noch unerreichbar schien, sind zahlreiche Initiativen entwickelt worden, die uns heute in die Lage versetzen, dem Erwachen der Imperien gestärkt und geeint entgegenzutreten.

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WAMS: Das klingt, als sähen Sie dem Ganzen ziemlich gelassen entgegen?

Barrot: Die amerikanisch-französische Freundschaft besteht seit mehr als zwei Jahrhunderten. Sie hat 59 Präsidentschaftswahlen überstanden und wird eine 60. ebenfalls überdauern. Die Politik der Trump-Regierung darf weder dämonisiert noch idealisiert werden. Das wäre Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes. Doch die Herausforderungen sind immens, weshalb sie uns schwierige Entscheidungen, Opfer und schöpferische Anstrengungen abverlangen werden, wie es Robert Schuman formuliert hat. Man kann es auch wie Winston Churchill ausdrücken: Es wird Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß brauchen.

WAMS: Grönland, Panama, Gaza, jeden Tag macht Donald Trump eine neue Ansage. Wie ernst nehmen Sie seine Drohungen?

Barrot: Wir reagieren mit kühlem Kopf und erinnern an einfache Grundregeln. Frankreich lehnt Zwangsumsiedlungen entschieden ab, da sie einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen, den legitimen Bestrebungen des palästinensischen Volkes zuwiderlaufen und die Umsetzung der Zweistaatenlösung behindern. Die Äußerungen zu Gaza dürfen jedoch nicht andere Erklärungen Trumps übertönen, die auf eine mögliche Annexion des Westjordanlands hindeuten. Auch diese würde gegen das Völkerrecht verstoßen. Die Sicherheit Israels liegt uns sehr am Herzen, was wir bewiesen haben, als Israel vom Iran mit ballistischen Raketen attackiert wurde und wir militärischen Beistand leisteten. Und, als wir gegen das iranische Atomprogramm vorgegangen sind. Die einzig mögliche Lösung für diese regionale Krise ist eine Zweistaatenlösung.

WAMS: Diese ist seit der Terrorattacke der Hamas in weite Ferne gerückt. Sind wir naiv, wenn wir weiter daran festhalten?

Barrot: Vor fünf Monaten tobte noch der Krieg in Gaza und im Libanon. Baschar al-Assad hat in Syrien sein Volk unterdrückt und ließ Menschen in Gefängnissen auf geradezu industrielle Weise foltern. Vier Monate später herrscht in Gaza eine Waffenruhe und 18 israelische Geiseln sind bereits freigelassen worden. Auch im Libanon wurde dank diplomatischer Bemühungen von Frankreich und den USA ein Waffenstillstand erreicht. Der Libanon hat nun einen Präsidenten, einen Premierminister und bald auch eine Regierung. Was Syrien betrifft, ist eine neue, zerbrechliche, aber echte Hoffnung entstanden. Die Region hat eine Zukunft, für die wir uns mit aller Kraft einsetzen müssen.

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WAMS: Donald Trump will Frieden in der Ukraine erzwingen. Halten Sie einen Erfolg für möglich?

Barrot: Wir haben immer gesagt, dass es Sache der Ukrainer ist, zu entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen Friedensverhandlungen geführt werden und dass es an ihnen ist, den Rahmen und die Parameter festzulegen. Allerdings können die USA durch ihren Einfluss und ihre Macht Wladimir Putin, der derzeit keinerlei Anzeichen von Verhandlungsbereitschaft zeigt, dazu bringen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

WAMS: Wird Trump die Europäer einbeziehen?

Barrot: Das liegt im Interesse aller. Deswegen werden die Europäer eine zentrale Rolle spielen. Trump hat seine erste Auslandsreise als gewählter Präsident nach Frankreich gemacht, um sich unter Macrons Schirmherrschaft mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Gemeinsam mit den USA und der Nato werden wir Sicherheitsgarantien anbieten und dafür sorgen, dass die Einstellung der Kampfhandlung dauerhaft und der Frieden gerecht ist. Er kann nur gemeinsam mit den Europäern ausgehandelt werden, weil die Sicherheit unseres Kontinents auf dem Spiel steht. Ohne eine neue europäische Sicherheitsarchitektur kann das aber nicht erreicht werden.

WAMS: Unter dem Motto „Make Europe Great Again“ treffen sich an diesem Wochenende Marine Le Pen, Victor Orban und andere Rechtspopulisten in Madrid. Ist das die „neue reaktionäre Internationale“, von der Macron spricht?

Barrot: Die reaktionäre Internationale breitet sich auch in einigen europäischen Ländern aus. Aber machen wir uns nichts vor: Sie wollen nicht die Stärkung Europas, sondern, im Gegenteil, die Schwächung jedes einzelnen Mitgliedstaates. Erklärtes Ziel der rechtsextremen Parteien ist es, Europa zu schwächen und noch abhängiger von den Großreichen zu machen, als sie es ohnehin schon sind.

WAMS: Frankreich befindet sich in einer beispiellosen politischen Krise. Hat diese Instabilität den Einfluss international schwinden lassen?

Barrot: Frankreichs Präsident genießt nach acht Jahren im Amt internationale Glaubwürdigkeit, die es ihm ermöglicht, nicht nur in Europa die Linien zu verschieben, sondern auch bei regionalen Krisen und internationalen Herausforderungen, beispielsweise an der Reform der weltweiten Ordnungspolitik mitzuwirken. Frankreich war nicht nur an vorderster Front, um eine Lösung der Krise im Libanon herbeizuführen. Wir setzen uns auch dafür ein, den Dialog in Afrika in der Region der Großen Seen wieder aufzunehmen.

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WAMS: Nächste Woche ist Frankreich Gastgeber eines Weltgipfels zur künstlichen Intelligenz. Es scheint ein Rennen zu sein, das die USA und China unter sich ausmachen. Was ist Ziel dieses KI-Gipfels?

Barrot: Es ist der erste globale Gipfel dieser Größenordnung. Frankreich steht mit zahlreichen Talenten und tausend Start-ups an vorderster Front. Unser Ehrgeiz ist es, aus Europa und insbesondere Frankreich ein Eldorado für die Entwicklung dieser Zukunftstechnologie zu machen. Zweitens wollen wir damit einen dritten Weg eröffnen: den einer offenen, nachhaltigen und regulierten KI. Offen, damit sie nicht in den Händen einiger weniger amerikanischer oder chinesischer Milliardäre konzentriert wird. Nachhaltig, damit sie dazu beiträgt, die Probleme des Klimawandels zu lösen, anstatt sie zu verschärfen. Und reguliert, um sicherzustellen, dass die KI dem Gemeinwohl dient und nicht in die falschen Hände gelangt.

Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.

Source: welt.de