„Man ist hier total geschockt“ – Hotel in Istanbul evakuiert, Bäcker festgenommen
Zwei weitere Touristen wurden in Istanbul ins Krankenhaus eingeliefert. Auch hier geht es um Vergiftungserscheinungen. Sie sollen Gäste in demselben Hotel gewesen sein wie die Hamburger Familie. In der Türkei ist die Bestürzung groß.
Nach dem Tod einer Hamburger Mutter und ihrer zwei Kinder im Türkeiurlaub ist nun auch ein Bäcker festgenommen worden. Er arbeite in einem Laden in der Nähe des Hotels im Stadtteil Fatih, berichteten die Tageszeitungen „Cumhuriyet“ und „Sabah“ übereinstimmend. Damit steigt die Zahl der Festgenommenen auf acht.
Zuvor war das Hotel in Istanbul, in dem die Hamburger Familie untergebracht war, evakuiert worden. Alle Gäste seien am Samstag in andere Hotels gebracht worden, berichtete die Zeitung „Birgün“.
Wie viele Menschen betroffen waren, wurde nicht bekannt. Zwei weitere Gäste des Hotels im Stadtteil Fatih hatten unter den gleichen Symptomen wie die erkrankte Familie gelitten; sie seien wegen Übelkeit und Erbrechen ins Krankenhaus gebracht worden. Der Tageszeitung „Cumhuriyet“ zufolge handelt es sich um Touristen aus Italien und Marokko.
Die beiden klagten Anadolu zufolge über Übelkeit und Erbrechen, schweben jedoch nicht in Lebensgefahr. Ein Hotelbesitzer erklärte dem Sender CNN Türk zu einem möglichen Fall von Lebensmittelvergiftung, das Haus verfüge über kein Restaurant – es gebe lediglich Trinkwasser.
Mehrere Verdächtige festgenommen
Ermittler nahmen Anadolu zufolge vor Ort Trinkwasser-Proben und werteten die Überwachungskameras aus. Es sei zudem festgestellt worden, dass ein Zimmer im Erdgeschoss mit Chemikalien desinfiziert worden sei – mutmaßlich handele es sich dabei um Pestizide, die in der Regel zur Bekämpfung von Ungeziefer verwendet werden.
Die Polizei nahm Anadolu zufolge drei weitere Verdächtige fest: Einen Verantwortlichen des Hotels und zwei Personen, die die Desinfektion durchgeführt hatten.
Am Freitag waren bereits vier Verdächtige festgenommen worden. Laut dem Staatssender TRT handelt es sich um Verkäufer von Süßigkeiten, gefüllten Muscheln und einem Gericht aus Kalbsdärmen (Kokorec). Ihnen werde fahrlässige Tötung vorgeworfen. Demnach sind alle Verdächtigen wegen anderer Delikte vorbestraft.
Der Vater der Hamburger Familie wird weiter auf der Intensivstation behandelt. Als Todesursache wird weiterhin eine Lebensmittelvergiftung vermutet. Noch werde aber auf Laborergebnisse gewartet, so die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Ein erster Autopsiebericht der drei Hamburger habe kaum nennenswerte Hinweise geliefert.
WELT-Korrespondentin Marion Sendker berichtete, dass bei der verstorbenen Mutter und den Kindern Läsionen und Blutungen in der Magengegend festgestellt worden seien, die Todesursache aber weiterhin unklar sei. Zwar soll die Familie an denselben Orten gegessen, aber unterschiedliche Speisen verzehrt haben.
Die Tragödie sei Thema im ganzen Land. „Man ist hier total geschockt“, sagte Sendker. Eine Moderatorin fasste den Zustand im türkischen Fernsehen wie folgt zusammen: Lebensmittel seien verdorben, Kontrollen versagten – nur die Bestattungsunternehmen würden funktionieren. Einheimische seien besorgt über ihre Gesundheit, einige Ärzte würden sogar davor warnen, überhaupt noch draußen etwas zu verzehren.
Inzwischen wurden alle drei Toten in einem Ort der westtürkischen Provinz Afyonkarahisar beerdigt, wie Anadolu berichtete. An der Trauerfeier nahmen demnach Verwandte der Familie und Lokalpolitiker teil. Die Familie hat türkische Wurzeln.
Muscheln bei einem fliegenden Händler gegessen
Vater, Mutter, der sechs Jahre alte Sohn und die drei Jahre alte Tochter waren am Sonntag nach Istanbul gereist. Die Familie soll am Dienstag um die Mittagszeit in den Stadtteil Ortaköy gefahren sein. Das habe der Vater der Familie ausgesagt, bevor sich sein Zustand verschlechtert habe, berichtet die Zeitung „Sabah“.
Dort hätten sie bei einem fliegenden Händler gefüllte Muscheln und in einem anderen Laden dann Suppe und Kokorec gegessen. Auf dem Rückweg ins Hotel im Stadtteil Fatih hätten sie noch Lokum – eine türkische Süßigkeit – und Wasser eingekauft. Anadolu berichtete, die Familie habe auch Hühnchen gegessen.
Am Mittwoch sei die Familie zunächst wegen Übelkeit und Erbrechens in ein Krankenhaus mit Verdacht auf Lebensmittelvergiftung eingeliefert worden, berichtete die Nachrichtenagentur. Die Eltern seien mit Durchfall und Gastroenteritis diagnostiziert und behandelt worden, die Kinder in einer anderen Klinik wegen Übelkeit und Erbrechens, später aber wieder entlassen worden.
Als sich besonders der Zustand der Kinder verschlechterte, sei die gesamte Familie in der Nacht erneut in ein Krankenhaus gebracht worden. Kurz darauf verstarben beide Kinder, gefolgt von der Mutter.
dpa/AFP/lay/saha/dp
Source: welt.de