Mammutaufgabe Wärmewende

Doch das ist aus Klimagründen nicht mehr gewollt. Monatelang haben SPD, Grüne und FDP im vergangenen Jahr über das Heizungsgesetz gestritten, jetzt ist klar: Die Bundesregierung möchte, dass die Bürger bald das Heizen mit Gas und Öl einstellen. Allerspätestens 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, muss Schluss sein – und zwar ausnahmslos für alle. In Niedersachsen sogar schon 2040. In Osnabrück bedeutet das, dass die allermeisten der 29.000 Häuser, die aktuell mit Gas beheizt werden, entweder an ein Wärmenetz angeschlossen werden oder auf Wärmepumpen umsteigen müssen. Nur: Wie soll das gehen in so kurzer Zeit?

Für Daniel Waschow bedeuten die politischen Vorgaben eine Mammutaufgabe. Bis Ende Juni 2026 muss in Osnabrück die kommunale Wärmeplanung stehen; darum muss er sich gemeinsam mit der Stadt kümmern. „Wir versuchen jetzt erst einmal zu identifizieren, welche Gebiete sich für das Heizen mit Strom eignen und welche nicht“, sagt der Stadtwerke-Chef im Gespräch mit der F.A.Z. „In die Innenstadt mit ihrer hohen Wohn- und Bebauungsdichte zum Beispiel müssen wir wahrscheinlich Wärme bringen, weil Wärmepumpen dort nicht funktionieren.“

Jede fünfte Heizung hat die Lebenserwartung schon überschritten

Mit Nah- oder Fernwärme ist heißes Wasser gemeint, welches zentral erhitzt und dann durch große unterirdische Rohre an die Häuser in der Umgebung verteilt wird. Einige Nahwärmenetze gibt es schon in Osnabrück, doch besonders grün ist die Wärme, die dort erzeugt wird, nicht: Die Blockheizkraftwerke verbrennen vor allem Gas. Auch das muss sich ändern. Waschow und seine Mitarbeiter suchen jetzt Quellen für grüne Wärme. Das können in Osnabrück zum Beispiel Großwärmepumpen sein, industrielle Abwärme, Abwasser oder auch Tiefengeothermie; in dieser Hinsicht sind Nah- und Fernwärme technologieoffen. Erst danach wird festgelegt, wo weitere Wärmenetze aufgebaut werden. Ziel ist es, dass in zwei Jahren jeder Hausbesitzer in Osnabrück auf einer Internetseite nachgucken kann, ob sein Haus an ein Wärmenetz angeschlossen werden soll oder ob er in seinem Haus weiter eine eigene Heizungsanlage vorhalten muss, zum Beispiel eine Wärmepumpe.

Das klingt verbindlicher, als es ist. Selbst wenn ein Haus in einem sogenannten Vorranggebiet für Nah- oder Fernwärme liegt, haben die Besitzer keinen Rechtsanspruch darauf, in Zukunft tatsächlich einen Anschluss zu bekommen. Und schon gar nicht können sie mit einem konkreten Termin planen.

Noch schwieriger ist die Lage für Hausbesitzer, deren Gastherme demnächst kaputt geht. Das dürften sehr viele sein: Ein Fünftel aller Heizungen in Deutschland ist älter als 25 Jahre, hat also seine durchschnittliche Lebensdauer schon überschritten. Im Jahr 2023 haben sich fast 800.000 Menschen für eine neue Gasheizung entschieden. Eine „mögliche Kostenfalle“, vor der Thomas Engelke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) nur warnen kann. Denn Fachleute gehen davon aus, dass die Brennstoffkosten in den kommenden Jahren mit dem CO2-Preis stark ansteigen werden.

Auch bei den Stadtwerken Osnabrück melden sich viele verunsicherte Kunden, was sie beispielsweise im Fall einer kaputten Gastherme tun sollen. Dazu will der Energieversorger „noch keine konkreten Aussagen“ tätigen. Eher unwahrscheinlich sei ein Anschluss an ein Wärmenetz in den städtischen Randbereichen, sagt ein Stadtwerke-Sprecher. Alles andere sollten Menschen in einer individuellen Energieberatung oder mit ihrem Gasinstallateur klären, empfiehlt er.

Stadtwerk will die Leute zu ihrem Glück zwingen

Aber nicht nur die Bürger, auch die Stadtwerke stellt die Wärmewende vor viele Fragen. „Wir müssen hohe Millionensummen in den Ausbau der Wärmenetze investieren, obwohl wir hier vor erheblichen Unsicherheiten stehen“, sagt Waschow. Bauen kann er nur, wenn ein gewisser Anteil an Haushalten mitmacht. Deshalb sprechen sein Team und er schon jetzt Kunden proaktiv an, die entlang geplanter Trassen wohnen. Theoretisch helfen würden ihm Regeln, die Menschen in Wärmevorranggebieten zwingen, Fernwärme abzunehmen. Fachleute zweifeln allerdings, ob das in der Praxis juristisch durchsetzbar ist oder womöglich Klagen drohen.

Schon jetzt stehen Anbieter von Fernwärme des öfteren in der Kritik. Sie agieren als Monopolisten auf ihrem jeweiligen Gebiet, und nicht selten werden sie dafür kritisiert, überhöhte Preise zu verlangen. 17 bis 20 Cent je Kilowattstunde zahlen private Haushalte in einem typischen Mehrfamilienhaus durchschnittlich, zeigt eine Studie, die der VZBV in dieser Woche veröffentlicht hat. Die Unterschiede von Kommune zu Kommune sind zum Teil gravierend. Hinzu kommt, dass die Preise nach einer sehr komplexen Formel gebildet werden, die für Verbraucher kaum nachvollziehbar ist, wie auch der VZBV immer wieder kritisiert. Hier will das Bundeswirtschaftsministerium nachschärfen, die entsprechende Verordnung soll noch in diesem Jahr überarbeitet werden, hieß es in dieser Woche. Verbraucherschützer Engelke plädiert dafür, den Menschen die Wahlfreiheit zu lassen: „Wenn die Stadtwerke oder andere Fernwärmebetreiber ein gutes Angebot machen, dann werden auch viele Haushalte bei der Fernwärme mitmachen.“

Aber können sich Besitzer einer Gasheizung wenigstens darauf verlassen, in den kommenden Jahren noch beliefert zu werden? Kürzlich sorgte ein Medienbericht für Aufregung, wonach in Augsburg schon in zehn Jahren viele Haushalte kein Gas mehr erhalten sollen. Entsprechende Ankündigungen seien auch an große Wohnungsgesellschaften verschickt worden. Was die Augsburger Stadtwerke sogleich dementierten und erklärten, derzeit sei kein Rückbau des Gasnetzes geplant. „Das war ein Sturm im Wasserglas“, sagt auch Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), im Gespräch mit der F.A.Z. „Kein Versorger will sofort das Gasnetz stilllegen und die Kunden im Regen stehenlassen.“ Klar sei, dass niemand unversorgt bleibe. „Aber im Sinne des Klimaschutzes und der politischen Zielsetzung müssen wir den Umstellungsprozess weg vom Erdgas hin zu treibhausgasarmen Lösungen aktiv managen.“

Warum Wärmenetze so schwer zu finanzieren sind

Die künftige Versorgung wird aus Liebings Sicht im Wesentlichen aus einer von drei Optionen bestehen: Wärmepumpen, Nah- und Fernwärme, und möglicherweise auch grüne Gase wie Wasserstoff über das Gasnetz. „Alles gleichzeitig bereitzustellen, ist im Regelfall nicht sinnvoll und auch unbezahlbar – geradezu volkswirtschaftlicher Unfug.“ Ob überhaupt Teile des Gasnetzes erhalten bleiben, hängt also von der künftigen Verfügbarkeit und auch vom Preis des (grünen) Wasserstoffs ab. Der Osnabrücker Stadtwerke-Chef glaubt nicht daran, dass Wasserstoff in der Wärmeversorgung privater Haushalte eine große Rolle spielen wird. Das würde bedeuten, dass die 680 Kilometer langen Gasleitungen, die aktuell in der Stadt im Boden liegen, irgendwann nicht mehr gebraucht, stillgelegt und sogar abgebaut werden müssen.

Gasleitungen könnten theoretisch für Wasserstoff umgewidmet werden.
Gasleitungen könnten theoretisch zu Händen Wasserstoff umgewidmet werden.dpa

„Wichtig ist, dass die kommunale Wärmeplanung für jeden Ort untersucht, wo es richtig ist, das Gasnetz weiter vorzuhalten“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Liebing. Dafür gebe es keine generelle Lösung, es komme auf den richtigen Mix vor Ort an. „Weder unterstützen wir die extreme Position, dass es im Jahr 2045 nur noch Wärmepumpen und kein Gasverteilnetz geben soll, nicht einmal für Wasserstoff. Noch ist es realistisch, das gesamte Gasnetz beizubehalten und komplett auf Wasserstoff umzustellen.“ Er weist auf die 1,8 Millionen mittelständischen Industrie- und Gewerbebetriebe hin, die derzeit an die Gasverteilnetze angeschlossen sind. Viele könnten auf die Prozesswärme aus Gas nicht verzichten und würden demnächst auf Wasserstoff angewiesen sein.

Klar ist jedoch: Alle Stadtwerke müssen mit rückläufigen Erlösen aus dem Gasgeschäft rechnen. „Die bräuchten wir aber eigentlich, um die Investitionen in den Ausbau der Stromnetze und den Aufbau von Wärmenetzen zu stemmen“, sagt Waschow. Wie in vielen anderen Städten auch finanzieren aktuell seine Energie- und Netzsparte in einem steuerlichen Querverbund die defizitären Nahverkehrs- und Bäderbetriebe mit.

Das wird in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Denn er rechnet damit, dass in den kommenden Jahren immer weniger Osnabrücker mit Gas versorgt werden wollen. Auch weil die Netzentgelte immer stärker steigen werden, je weniger Nutzer an einem Strang hängen. Im Extremfall würde der letzte verbliebene Kunde die Kosten für den Betrieb des gesamten Netzes zahlen. „Wenn sich immer mehr Kunden für Wärmepumpen entscheiden oder wenn immer mehr an die Fernwärme angeschlossen werden, dann werden Gasstränge in einzelnen Quartieren oder Straßenzügen unwirtschaftlich“, sagt auch Liebing.

Doch nach der heutigen Gesetzeslage müssen die Stadtwerke auch noch den letzten Kunden bis zum Ende beliefern – selbst in den Gebieten, in denen schon Wärmenetze existieren oder die Mehrheit mit Wärmepumpen heizt. Deshalb ist auch in Osnabrück aktuell kein Rückbau geplant. „Viele Versorger halten sich mit Ankündigungen zurück, weil sie die regulatorischen Bedingungen nicht kennen“, sagt VKU-Chef Liebing.

Er fordert, dass die Versorger demnächst sogenannte Anschlussbegehren ablehnen dürfen – nämlich dann, wenn klar ist, dass einzelne Gasstränge in absehbarer Zeit nicht mehr für die Versorgung zur Verfügung stehen werden. So ist es auch in einem „Green Paper“ des Bundeswirtschaftsministeriums angedacht, zu dem Branchenverbände und Bundesländer bis vor einer Woche Stellung nehmen konnten. Entscheidend sei, dass Kunden und kommunale Unternehmen zügig Planungssicherheit bekämen, um sich rechtzeitig auf die neue Lage einzustellen, so Liebing. Damit würde das Problem von Daniel Waschow, die Wärmeversorgung in Osnabrück vom Kopf auf die Füße zu stellen, zumindest etwas kleiner.