Mamdani-Mania | Erst New York. Dann Berlin? Die Linke Elif Eralp will Regierende Bürgermeisterin werden
Ob sie schon mit Zohran Mamdani telefoniert habe? Elif Eralp lacht: „Nein. Ich würde mich natürlich sehr freuen, auch gern noch hinfahren, aber momentan habe ich alle Hände voll zu tun, ich werde hier gebraucht.“ Hier, das ist Berlin. Mamdanis Kampagne, „die sehen wir uns natürlich ganz genau an“, sagt Eralp. Denn sie will schaffen, was er geschafft hat: Linke Bürgermeisterin einer Metropole werden, in der sich viele Menschen das Leben kaum noch leisten können.
An einem grauen Spätoktobertag sitzt die 44-Jährige im Linken-Wahlkreisbüro in Berlin-Kreuzberg. Sie trägt große Ohrringe und einen tiefen Pony, ist ein bisschen außer Atem, weil sie noch mit dem Sohn zum Arzt musste. Die Wahl auf der anderen Seite des Atlantiks liegt noch eine Woche in der Zukunft, doch Mamdanis Sieg zeichnet sich schon ab.
Die Berliner*innen wiederum werden in knapp einem Jahr zu den Urnen gerufen. „First we take New York, then Berlin“, ein abgewandeltes Leonard-Cohen-Zitat, ist dieser Tage auf Flyern und Social-Media-Kacheln der Linkspartei zu lesen. Eralp soll es möglich machen.
An diesem Samstag will die Partei sie auf ihrem Berliner Landesparteitag offiziell zur Bürgermeisterkandidatin für die Abgeordnetenhauswahlen 2026 küren. Im Parteienspektrum links der CDU ist die Linke in Umfragen stärkste Kraft oder gleichauf mit den Grünen. Zusammen mit ihnen und der SPD könnte es für eine Mehrheit unter linker Führung reichen.
Gemeinsamkeiten zwischen Mamdani und Eralp gibt es einige, nicht nur programmatisch oder weil beide eine Migrationsgeschichte haben
Gemeinsamkeiten zwischen Mamdani und Eralp gibt es einige, nicht nur programmatisch oder weil beide eine Migrationsgeschichte haben und als rhetorisch talentiert gelten. Sondern auch, weil sie in der Stadt noch ziemlich unbekannt ist. Auch Mamdani war vor einem Jahr ein weitgehend unbekannter Kommunalpolitiker und lag in Umfragen für die demokratischen Vorwahlen bei einem Prozent. Die Herzen der New Yorker*innen eroberte er mit einem klaren Programm mit wenigen sozialen Forderungen: freie Busse, Mietendeckel, kostenlose Kinderbetreuung, für eine lebenswerte Stadt für alle.
„Ich glaube, das ist auch in Berlin möglich“, sagt Eralp ohne Zögern. So wie fast alles, was sie ausspricht: klar, verbindlich, durchdacht, nicht nachdenklich. Ihr Vater, erzählt sie später amüsiert, habe das mit der Kandidatur zunächst gar nicht so richtig verstanden. Jaja, Elif macht wieder was mit der Linken. Ein paar Tage später habe er sie dann noch einmal angerufen und gefragt: Echt? „Ja, echt“, hat sie geantwortet und wiederholt es an diesem Tag im Wahlkreisbüro mit Nachdruck. „Ich will wirklich Bürgermeisterin werden.“
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Elif Eralp ist kein Neuling, aber unbekannt – ein Problem?
Am Nachmittag auf dem Markt am Neuköllner Maybachufer scheint den meisten nicht klar zu sein, dass sie mit einer Anwärterin mit Chancen auf das Rote Rathaus sprechen. Die Bedingungen für längere Gespräche sind an diesem Tag allerdings erschwert: Es regnet in Strömen. Rund um den kleinen Stand, von dem aus Linke-Mitglieder hier an Markttagen ausschwärmen, um mit Einkäufer*innen zu sprechen, stehen fröstelnd zwei junge Frauen in roten Westen. Eralp schnappt sich einen Stapel Zeitungen und biegt in den Markt ein. Ein paar kurze Gespräche – auf Englisch, Deutsch und Türkisch –, aber insgesamt ist das Echo heute verhalten. Die Zeitungen, die Eralp verteilt, sind nach wenigen Minuten nasser als die Fische am Fischstand.
Auch wenn erst wenige sie kennen, ein Politik-Neuling ist Eralp nicht. 2017 in die Linkspartei eingetreten, sitzt sie seit 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus. „Für mich war damals für die Kandidatur der rassistische Anschlag in Hanau ausschlaggebend.“ 2010 war Eralp nach Berlin gezogen, um für die Linksfraktion im Bundestag als Rechtsreferentin zu arbeiten. Sie kommt aus der antirassistischen Bewegung, hat Jura studiert, um Menschen, die beispielsweise keinen deutschen Pass besitzen, zu ihrem Recht zu verhelfen.
Sie hat schon gegen Thilo Sarrazin protestiert, für die Verteidigung des Rechts auf Asyl, gegen Abschiebungen
Sie hat schon gegen Thilo Sarrazin protestiert, für die Verteidigung des Rechts auf Asyl, gegen Abschiebungen. In die Linkspartei eingetreten ist sie seinerzeit, weil die AfD in den Bundestag eingezogen war und um den Pol gegen Sahra Wagenknecht zu stärken. Eralps Eltern stammen aus der Türkei, waren dort in einer sozialistischen Gruppe aktiv und kamen nach dem Militärputsch 1980 als Flüchtlinge nach Deutschland. Sie selbst wurde in München geboren und ist danach viel herumgekommen. „Meine Eltern hatten im Asylverfahren zunächst keine Arbeitserlaubnis. Meine Mutter war Berufsschullehrerin für Krankenschwestern, das ist nicht anerkannt worden. Wir waren sechs Jahre in Dortmund, dann in Hamburg. Wir sind immer dorthin gegangen, wo es Arbeit gab.“
Berlin hat sie schon angezogen, lange bevor sie sich hier niederließ, eine Familie gründete, Kinder kriegte. „Ich war als Schülerin und Studentin oft in Berlin und war immer begeistert von dieser Stadt“, sagt Eralp.
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Das Ziel der Kandidatin: Berlin wieder bezahlbar machen
„Diese Stadt“ wieder bezahlbarer zu machen, das wird das wichtigste Anliegen des Wahlkampfes werden, dafür wird die Linke auf wenige zentrale Forderungen setzen. Das hat sich bereits bei den letzten Bundestagswahlen bewährt: Bei den eigenen Themen bleiben, nicht ablenken lassen, die drei zentralen Positionen wiederholen, bis jeder sie sich gemerkt hat.
Und konkrete Hilfe anbieten. Eralp berichtet von einem Treffen von Vonovia-Mieter*innen, bei dem sie wenige Tage zuvor war, im Westend, keine klassische linke Hochburg. Die Mieter*innen dort hatten Mieterhöhungen erhalten, begründet mit angeblich wohnwertsteigernden Merkmalen. „Wir haben das vor Ort mit der ortsüblichen Vergleichsmiete abgeglichen und festgestellt, dass die Mieter oft 60 Euro pro Monat zu viel zahlen und die Erhöhungen rechtswidrig sind. Jetzt schauen wir überall: Wo sind Vonovia-Siedlungen, haben wir da Mitglieder? Dann rufen wir an und fragen, ob es ähnliche Erhöhungen gab. Wenn Ja, gehen wir an alle Haustüren, informieren und unterstützen Mieter bei ihren Widersprüchen.“
Außerdem klingeln Mitglieder der Partei derzeit an Haustüren in der ganzen Stadt, um die wichtigsten Forderungen für den Wahlkampf herauszufinden. Anfang des Jahres soll daraus das Wahlprogramm entstehen. Dann geht’s richtig los. Aber gefühlt sei man, so Eralp, eigentlich schon mittendrin im Wahlkampf. Wer die Partei beobachtet, bekommt den Eindruck: Eine gute Kampagne – das werden die schon hinkriegen, das kann die Partei inzwischen. Wenn sie nicht allzu viele Fehler macht, besteht eine echte Chance auf einen Wahlsieg.
Vieles von dem, wogegen die Partei heute kämpft, hat sie mit verursacht, wie die Privatisierung kommunaler Wohnungen
Die Frage ist, was dann passiert. Kann eine linke Bürgermeisterin in Berlin auch linke Politik machen? Von Mamdani lässt sich dazu bislang nichts lernen, er muss diesen Beweis selbst erst erbringen. Die Berliner Linke hat dagegen reichlich Regierungserfahrung, immerhin hat sie in den letzten 25 Jahren 17 Jahre mitregiert. Die Bilanz ist, vorsichtig gesagt, durchwachsen. Vieles von dem, wogegen die Partei heute kämpft, hat sie mit verursacht, wie die Privatisierung kommunaler Wohnungen.
Deshalb findet aktuell eine innerparteiliche Evaluation bisheriger Regierungsbeteiligungen statt. Lehren ziehen, um alte Fehler, auch in der Zusammenarbeit mit SPD und Grünen, nicht zu wiederholen, so das Motto. Dass nun die Chance besteht, in einem rot-rot-grünen Bündnis stärkste Kraft zu werden, ist allerdings neu.
Die Linke hat sich verändert: „Eine Crew, eine Klasse“
Auch die Partei hat sich verändert. Neben Tausenden Neumitgliedern hat das alte Machtzentrum um den früheren Kultursenator Klaus Lederer sie verlassen und der linke Flügel, zu dem auch Eralp gehört, an Einfluss gewonnen. Sie strahlt deutlich mehr Konfrontationsbereitschaft als frühere Spitzenkandidaten aus. Und spricht von Mindestanforderungen für einen Eintritt in die Regierung, auch das ist neu.
Eine ist: Die Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co. „Aber Vergesellschaftung wird nicht von heute auf morgen sofort spürbar sein, deshalb brauchen wir zusätzliche Maßnahmen“, sagt Eralp. „Ich kann in keine Regierung eintreten, wo nicht klar ist, dass sich das Leben der Menschen verbessert – und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern schnell.“
Sie strahlt deutlich mehr Konfrontationsbereitschaft als frühere Spitzenkandidaten aus
Juristisch lässt Eralp daher gerade die Idee eines Mietendeckels für landeseigene Wohnungen prüfen, eine Bezahlbares-Wohnen-Quote, die auch für Private gelten würde, aber auch Maßnahmen, die die Einnahmeseite verbessern würden. Eine „Luxusvillensteuer“ etwa oder die Erhöhung der Grunderwerbs- und Gewerbesteuern auf Brandenburger Niveau. Das sind auch Vorbereitungen auf etwaige Koalitionsverhandlungen, denn anders als Mamdani bräuchte Eralp eben Partner, um Bürgermeisterin zu werden.
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Wer kann sich die aktuelle Regierung aus SPD und CDU leisten?
Vorerst muss sie die eigene Partei mitnehmen. Die scheint insgesamt zufrieden mit der Nominierung. Auch wenn ein paar sich daran stören, dass Eralp sich ihrer Ansicht nach zu spät und zu leise öffentlich zu Gaza geäußert habe. Angesprochen auf die Frage, wie sie denn als Bürgermeisterin mit Polizeigewalt umgehen würde, die nicht nur, aber seit zwei Jahren besonders oft palästinasolidarische Demonstrant*innen betrifft, sagt sie: „Es ist das gute Recht der Menschen, ihre Trauer und Wut auf die Straße zu tragen.“ Polizeigewalt sei ein riesiges Problem, dass sie als Bürgermeisterin auch dafür Verantwortung trage, dass sich etwas daran ändere, sei ihr bewusst.
Große Erwartungen – die Ansprüche sind hoch, einerseits. Anderseits sind auch die Probleme vieler Berliner*innen gravierend. Mit dieser Regierung aus CDU und SPD weiterzumachen, wer kann sich das überhaupt noch leisten? „Wegner arbeitet permanent daran, unsere Klasse zu spalten. Nein, 85 Prozent in Berlin sind Mieter*innen, wir haben eigentlich alle das gleiche Interesse, und diese Spaltung muss aufhören“, sagt Eralp.
Mamdani habe es in New York geschafft, gemeinsame Interessen nach vorne zu stellen und Menschen dafür zu mobilisieren. „Wir sind eine Crew, eine Klasse. Das finde ich großartig, das wünsche ich mir auch für Berlin.“