Mallorca: Viele Spanier nach sich ziehen genug vom Massentourismus

Spanien verdankt seinen Boom vor allem dem Tourismus. Doch immer mehr Spanier wenden sich dagegen. Am Samstagabend gingen im Zentrum von Palma Tausende gegen Massentourismus und Wohnungsnot auf die Straße. „Mallorca ist nicht zu verkaufen“, lautete ihr Slogan. Nach Angaben der Polizei waren es 10.000, die Veranstalter sprachen von 25.000 Personen, der bisher größte Protest dieser Art. Sie trugen rote Schilder, die sonst an Häusern mit freien Mietwohnungen hängen. Darauf stand „Hier kann ich nicht mehr leben“.

Nicht nur auf den Balearen wird für immer mehr Einheimische das Leben zu teuer. Vor wenigen Wochen gingen die Proteste auf den Kanaren los. Fast 60.000 Einwohner demonstrierten auf allen Inseln des Atlantikarchipels unter dem Motto „Die Kanaren haben ihre Grenzen“.

Auf den Balearen organisierte die Plattform „Weniger Tourismus, mehr Leben“ den Protest. Nicht nur die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt, sondern auch in den Krankenhäusern und auf den Straßen, wo im Sommer die riesige Flotte der Leihwagen Mallorca buchstäblich überrollt und Staus verursacht. Die Gefahr sei groß, dass die Balearen an ihrem eigenen Erfolg zu Grund gingen, heißt es. Die Spanier, die sich um ihre Gäste kümmerten, könnten es sich nicht mehr leisten zu leben, wo andere Urlaub machten.

10,8 Millionen deutsche Touristen

Mallorca ist nicht nur unter Deutschen beliebt. Seit der Jahrtausendwende ist die Bevölkerungszahl um ein Drittel gewachsen. Im vergangenen Jahr lebten auf den Balearen gut 1,1 Millionen Einwohner, und es kamen fast 18 Millionen Urlauber. Auf den Kanaren waren es 16 Millionen Urlauber und in ganz Spanien 85,1 Millionen, ein neuer Rekord.

Spanien ist dabei, zum ersten Mal Frankreich als wichtigstes Urlaubsland der Welt zu überholen; die USA hatte es schon 2017 hinter sich gelassen. Nach Spanien reisten im vergangenen Jahr 10,8 Millionen Deutsche, die zu den treuesten Gästen gehören und fast wieder die Zahl aus den Jahren vor der Pandemie erreichten. Die Nummer eins unter den Urlaubern sind die Briten, vor Franzosen und Deutschen.

Nachholbedarf aus der Pandemie

Die Besucher gaben fast 109 Milliarden Euro aus, das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr, der höchste jemals verzeichnete Wert; der Tourismus ist die treibende Kraft der spanischen Wirtschaft. Zwar lässt auch in Spanien das Wachstum etwas nach, aber es liegt weiterhin über dem EU-Durchschnitt. In ihrer jüngsten Frühjahrsprognose erwartet die Europäische Kommission, dass das spanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 2,1 Prozent und 2025 um 1,9 Prozent wachsen wird.

Beim Tourismus dauert der Nachholbedarf nach der Pandemie an, die Rekordzahlen von 2024 könnten ein weiteres Mal übertroffen werden. Schon im ersten Quartal dieses Jahres, in dem es sonst ruhig zugeht, empfing Spanien mehr als 16 Millionen ausländische Gäste. Das sind gut 17 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, wie das Nationale Statistikinstitut (INE) mitteilte.

Hinter den Zahlen verbirgt sich eine neue Entwicklung. Immer mehr Reisende weichen wegen der sehr heißen Sommer auf die kühleren Jahreszeiten und Regionen aus. So verzeichneten im atlantischen Norden das Baskenland, Kantabrien und Asturien 2024 das stärkste Wachstum mit rund 26 Prozent. Das berichtet die Zentralbank, die die Diversifizierung der Touristenströme lobt und zugleich warnt: „Unser Land ist den physischen Risiken des Klimawandels besonders ausgesetzt.“ Noch zieht es jedoch 80 Prozent auf die Balearen, die Kanaren, nach Andalusien und Katalonien.

Dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt

Das Jahr begann zwar im größten Teil des Landes relativ kühl und regnerisch. Aber besonders Katalonien, wo die Costa Brava liegt, und Andalusien, leiden weiterhin unter Wassermangel. Zunächst hatte es so ausgesehen, als müssten Tankschiffe Städte wie Barcelona und Málaga mit Trinkwasser versorgen. Das wird wohl nicht nötig sein, bedeutet aber noch lange nicht, dass die schon viel länger andauernde Trockenheit vorbei ist.

Akuter ist für die Bewohner der Gegenden, die der Massentourismus heimsucht, die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die Zahl der Ferienwohnungen wächst ungebremst, bezahlbare Apartments fehlen, Immobilienpreise steigen. Laut dem nationalen Statistikamt wurde mit mehr als 350.000 Ferienwohnungen ein weiterer Rekord aufgestellt, nicht nur an der Küste: In Madrid sind es 16.000, in Barcelona 9000 und in Málaga rund 7000 Wohnungen. Es sind wohl noch mehr, denn viele haben keine Lizenz, in der Hauptstadt weniger als 10 Prozent. Gleichzeitig fehlen im ganzen Land nach Angaben der Zentralbank mehr als 600.000 Wohnungen.

Hoteliers und Reiseveranstalter fordern, dem Chaos Einhalt zu gebieten. Spanien müsse entscheiden, welches Tourismusmodell es wolle, sagte Gabriel Escarrer, Präsident der Hotelkette Meliá. Man müsse „stärker auf Qualität als auf Quantität setzen“. Die Demonstranten in Palma haben unterdessen keine Geduld mehr. Auf ihren Plakaten stand am Samstag „Wo werden meine Kinder leben?“.