Maerz München: Der Marken-Fan will weg vom Hans-Dietrich-Genscher-Image

Die Überraschung ereilte Louis Bezner beim gemeinsamen Familienessen während eines Segelurlaubs in Kroatien. Völlig unvermittelt fragte Mark Bezner, Chef des baden-württembergischen Hemdenspezialisten Olymp, seinen Sohn im Sommer 2024, ob er sich vorstellen könnte, die Geschäftsführung des Strickwarenherstellers Maerz München zu übernehmen. Und beiden, Vater und Sohn Bezner, war in dem Moment klar, dass mit einem möglichen Einstieg in die Tochtergesellschaft des Familienunternehmens der Weg des Siebenundzwanzigjährigen endgültig vorgezeichnet sein würde – auf den Chefsessel des führenden europäischen Herstellers von Oberhemden.
„Ich habe nichts geahnt, auch deswegen, weil ich nicht wusste, dass meine Vorgängerin unser Unternehmen verlassen wollte und gekündigt hatte“, sagt Louis Bezner im Interview mit der F.A.Z. Eigentlich habe er andere Pläne gehabt: Der Schwabe wollte in die USA gehen, noch einmal studieren, um dann eine Zeit lang in Amerika zu arbeiten – und zwar bei einem Unternehmen, das nichts mit der Textilbranche zu tun hat. „Natürlich stand ich im Austausch mit meinem Vater. Und irgendwie war schon klar, dass mein Weg irgendwann zurück nach Bietigheim-Bissingen zu Olymp führen würde“, sagt er als Ältester von vier Geschwistern.
Kein Mangel an Selbstbewusstsein
Wenige Wochen nach dem Segelausflug entschied sich Bezner bei einem Gespräch mit seinem Vater in der Zentrale von Maerz München dazu, die Verantwortung für den 1920 gegründeten Strickwarenhersteller zu übernehmen. Zuerst unterstützte ihn noch seine Vorgängerin Katja Beibl, seit Februar 2025 führt Bezner den Spezialisten für Strickpullover allein. „Für mich ist das eine riesige Chance – und natürlich eine große Herausforderung“, sagt Louis Bezner.
Louis Bezner mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Er redet schnell und springt von einem Thema zum nächsten. Wenn er über seine Zukunftspläne spricht, ist von Zweifeln oder Unsicherheit nichts zu spüren – nur in seltenen Zwischentönen blitzt die Erkenntnis auf, dass die Aufgabe, vor der er sich sieht, nicht einfach sein wird. „Ich trage hier im Unternehmen den Namen Bezner und muss nun auch beweisen, dass ich hier etwas bewegen, dass ich anpacken kann“, sagt er. Und das unter den Augen seines Vaters, der die Olymp-Bezner-Gruppe noch eine Weile führen wird. „Grundvoraussetzung, wenn man in das Familienunternehmen einsteigt, ist ein festes, gutes Verhältnis auf Augenhöhe – und zwar auf beruflicher und familiärer Ebene.“
„Marken erzeugen eine Begehrlichkeit“
Das Selbstbewusstsein, Maerz München im umkämpften Modemarkt erfolgreich in die Zukunft führen zu können, gründet sich nicht zuletzt auf die Erfahrungen, die Bezner während des Studiums und seiner vorherigen Tätigkeiten gesammelt hat. Studiert hat der neue Maerz-München-Chef an der WHU Otto Beisheim School of Management – und zwar nach einem Vorpraktikum beim Modehersteller Hugo Boss, bei dem er wegen seiner Olymp-Herkunft nicht in der Männermode arbeiten durfte, sondern in der Frauenabteilung tätig war. Weitere Praktika folgten beim Textilhersteller Esquel in Hongkong, beim Nivea-Konzern Beiersdorf, beim Spirituosenhersteller Moët Hennessy und bei Adidas. „Die großen Namen beherrschen die Marketingkunst – und da ist es egal, ob man jetzt Cola, Champagner, Schokolade oder am Ende Hemden und Strickpullover verkauft“, sagt er. „Die Marken erzeugen eine Begehrlichkeit – und die Frage, wie man diese Relevanz schaffen kann, die Begehrlichkeit der Marke im Zeitgeist sichern kann, interessiert mich.“
Und in dieser Hinsicht stach für Bezner eine Marke immer heraus: die mit den drei Streifen. Seit der damalige Adidas-Chef Kasper Rorsted an der WHU einen Gastvortrag gehalten hatte, wollte Bezner für das Unternehmen aus Herzogenaurach arbeiten. „Die Marke ist etwas ganz Besonderes, weil sie aus dem Sport kommt, dort die besten Produkte für Topathleten macht, es als Lifestyle-Marke aber gleichzeitig bis in die höchste Fashion-Spitze geschafft hat“, erklärt Bezner. „Adidas macht die besten Fußballschuhe, ist aber trotzdem auf den Laufstegen bei den Modeschauen in Paris und Mailand neben Gucci zu sehen.“
Lehrjahre beim Sportartikelhersteller Adidas
Eigentlich wollte Bezner nach seinem Praktikum bei Adidas bleiben. Doch die Corona-Pandemie und der damit verbundene Einstellungsstopp machten das unmöglich, sodass er zuerst zur Platform Group von Dominik Benner nach Wiesbaden ging, bevor er dann doch nach wenigen Monaten bei dem Spezialisten für Onlinehandel auf eine feste Stelle zu Adidas wechselte. Dort erlebt Bezner, wie zwei Chefs zwei verschiedene strategische Ansätze verfolgen.
Während Rorsted geprägt von Auswirkungen der Corona-Pandemie mit geschlossenen Läden und leeren Innenstädten auf direkte Kundenbeziehungen, den eigenen Onlineshop und ausgewählte große Premiumhändler setzt, dreht Nachfolger Björn Gulden von Anfang 2023 an diese Strategie wieder zurück. „Ich habe mitbekommen, wie Unternehmen vieles richtig, aber eben auch vieles nicht richtig gemacht haben“, sagt er. „Prägend war die Adidas-Zeit mit dem Chefwechsel, mit dem ein riesiger Kulturwandel verbunden war.“
Mit seinem Wechsel zu Maerz München hat Bezner selbst einen Kulturwechsel erlebt. Während er bei Adidas als letztes großes Projekt die Marketingkampagne zur Fußball-WM leitete, betreut er nun eine Marke, die vor allem für Altherrenpullis bekannt ist, wenn sie denn überhaupt jemand kennt. Eine Marke, deren bekanntester Fan einst Hans-Dietrich Genscher war. Seine berühmten gelben Pullover stammten aus dem Hause Maerz München.
Erster maschinenwaschbarer Merino-Pulli
Pullover aus Merinowolle wie die des 2016 verstorbenen FDP-Politikers sind nach wie vor das Brot-und-Butter-Geschäft von Maerz München. Mehr als 150.000 verkauft das Unternehmen jedes Jahr. 1979 brachte der Strickspezialist den ersten Merinopulli heraus, den man in der Waschmaschine waschen konnte. Ein Verkaufsschlager. Früher produzierte Maerz München in einer eigenen Strickerei im Münchner Stadtteil Giesing. Heute hat das Unternehmen ein Werk in Ungarn und arbeitet mit mehreren Auftragsfertigern in Rumänien, Bulgarien und Italien zusammen. Rund 350 Menschen arbeiten für das Strickunternehmen, davon 220 in der ungarischen Fabrik. Der Umsatz ging zuletzt um 1,4 Prozent auf 27,4 Millionen Euro im Jahr 2024 zurück.
In diesem Jahr rechnet Bezner mit einem leichten Plus, zum Gewinn will er gar nichts sagen. Nach Informationen der F.A.Z. aus Branchenkreisen ist Maerz München profitabel. Wichtigster Markt ist Deutschland. Hier erwirtschaftet das Unternehmen rund 90 Prozent seiner Erlöse – für Bezner ein Anlass zur Sorge. „Der deutsche Markt ist unter Druck, ich rechne mit einer starken Konsolidierung in den nächsten Jahren – sowohl im Handel als auch aufseiten der Industrie“, sagt er.
Gegensteuern will der Maerz-München-Chef dadurch, dass er das Hans-Dietrich-Genscher-Image hinter sich lässt, jüngere Zielgruppen erschließt und das Angebot an Frauenmode ausbaut. „Wir stecken so ein bisschen in der Schublade, dass wir den Pullunder machen, den der Opa getragen hat, und den Pullover, den der Vater im Schrank hat. Ich denke jetzt nicht an die Gen Z, aber an die 30- bis 40-Jährigen“, erläutert Bezner. Und perspektivisch soll der Anteil an Strickpullovern, Strickjacken, Strickhemden und Strickhosen für Frauen von 20 auf 50 Prozent steigen.
Vor allem aber will Louis Bezner Maerz München von einem Produktspezialisten zu einer Marke weiterentwickeln. Aktuell sei es so, dass Kunden im Geschäft am Produkt Gefallen finden und es deswegen kaufen, ihnen die Marke aber in der Regel nichts sagt. „Wir müssen aber eine Marke werden, um zu überleben“, sagt Bezner. Nur so könne er die Produkte auch im Premiumsegment etablieren, in dem ein Unternehmen die Preise erzielen könne, die die Qualität einer aufwendigen Produktion in Europa gegenfinanzieren.
Der Markenfan setzt bei seiner Mission ganz auf die aus seiner Sicht einzigartige Geschichte des Unternehmens. „Wir stehen seit mehr als 100 Jahren für höchste Strickqualität – und wir haben Meilensteine bei den Produkten, um die uns andere beneiden“, sagt Bezner mit Blick darauf, dass Maerz München nicht nur 1956 die deutsche Mannschaft für die Winterolympiade in Cortina d’Ampezzo ausgestattet hat, sondern dass die Produkte aus München auch bei einer der herausragendsten Leistungen in der Geschichte des Alpinismus dabei waren: Als der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl 1953 als erster Mensch den 8125 Meter hohen Nanga Parbat bestieg, trug er, wie auch alle Mitglieder seines Teams, einen Pullover von Maerz München. „Wenn wir diese Geschichten erzählen, werden wir als Marke relevant“, sagt Bezner.
Louis Bezner ist sich bewusst, dass die Etablierung der Marke keine kurzfristige Angelegenheit wird. Da ist es gut, dass der Vater „noch voll und ganz im Machen und Tun ist“, wie es der Sohn ausdrückt. Olymp-Chef Mark Bezner ist 62 Jahre alt und will Europas größten Hemdenhersteller noch ein paar Jahre führen, bevor der neue Chef von Maerz München übernimmt.