„Macht endlich dies Licht an!“ am TD Berlin: Die ganze Geschichte dieser Rothschilds – WELT
Ein Theaterstück über die jüdische Bankiersfamilie Rothschild? Keine Angst, es geht weder um raunende „Kritik am Weltjudentum“ noch um den nächsten Aufklärungsworkshop. Regisseurin und Autorin Carolin Millner gelingt viel mehr. Zeit, sich ihren Namen zu merken.
Ein Theaterstück über die jüdische Bankiersfamilie Rothschild? Keine Panik, das ist nicht das Kulturprogramm der Freunde und Förderer der gemäßigten „Kritik“ am „Weltjudentum“, die sich heute wieder vermehrt an die Öffentlichkeit trauen. Im Gegenteil: Die Regisseurin Carolin Millner setzt mit „Macht endlich das Licht an! Eine Rothschild-Variation“ im TD Berlin den verhetzten Mythen über die Rothschilds etwas entgegen. Und das ist besser als jede Lehrstunde über Verschwörungsideologien.
Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden, schrieb Theodor W. Adorno einmal. Und über die Rothschilds hält sich hartnäckig das Gerücht, sie würden die Welt regieren – ein Kurzschluss aus der Allerweltsweisheit „Geld regiert die Welt“ und der Gleichsetzung von Juden und Geld. Dabei war es so: Durch Berufsverbote und Gettoisierung drangsaliert, konnten viele Juden im vorbürgerlichen Europa nur Geldberufe ergreifen. So auch Mayer Amschel Rothschild aus der Frankfurter Judengasse, der – als die Beschränkungen um 1800 fielen – aus seiner Bank ein erfolgreiches Unternehmen machte, indem er seine Nachkommen in die europäischen Metropolen schickte.
Millner lässt die Geschichte der Rothschilds von den Nachfahren erzählen. Vier Kinder im Puppenkostüm, die von früher fabulieren, wobei Fakten und Fiktionen bereits zu verschwimmen beginnen. Es handelt sich um die Kinder von Charles und Rózsika Rothschild, eine Familie zwischen Großbritannien und Österreich-Ungarn, die (inklusive der Eltern und weiterer Rollen) von der spielfreudigen Vierertruppe verkörpert werden – das sind Mariann Yar, Lisa Heinrici, Mareike Hein und Markus Bernhard Börger.
Aus dieser durch die Kinderaugen gebrochenen Innenperspektive wird das Dilemma der Juden in der bürgerlichen Gesellschaft auf der Bühne entfaltet. In die Geldwirtschaft gedrängt, macht man sie für alle Übel des Kapitalismus persönlich verantwortlich. Der Bürgerrechte beraubt, wirft man ihnen Mangel an Patriotismus vor. In die Anpassung gezwungen, verdächtigt man sie der Täuschung. Und so weiter. An den Juden tobt sich die Mehrheit mit ihren affektiven und kognitiven Pathologien und Projektionen aus.
Die äußeren Widersprüche führen zu inneren. Auf welche Emanzipation dürfen die Juden in der Moderne hoffen? Auf die im Nationalstaat, der sie in jeder Krise als Fremde auszustoßen versucht? Oder auf einen eigenen Nationalstaat, in dem sie fremd unter den Staaten bleiben? Die Kontroverse über Assimilation oder Zionismus zerreißt auch die Familie Rothschild. So waren Rothschild-Frauen mit dem führenden Zionisten Chaim Weizmann in Kontakt, auch die berühmte Balfour-Deklaration war an einen Rothschild adressiert.
Eine große Familiengeschichte
In knapp zwei Stunden erzählt Carolin Millner, die selbst das Stück geschrieben hat, eine große Familiengeschichte, in der die Figuren mit ihren Hoffnungen und Abgründen greifbar werden. Es ist zugleich eine Geschichte über die Juden, nachdem die Mauern des mittelalterlichen Gettos von Napoleon und dem Kapitalismus niedergerissen wurden. Das wirkt niemals wie ein Aufklärungsworkshop der Landeszentrale für politische Bildung, sondern weiß zu unterhalten, ohne das Aufklärerische zu vernachlässigen. Allein das ist für ein Dokumentarstück aus der freien Theaterszene erstaunlich.
Beachtlich ist auch, dass sich das Dokumentarische hier nicht, wie häufig, in ein paar eilig zusammengekratzten Trauma-Resten der zumeist gutbürgerlichen Beteiligten erschöpft, sondern sich an größere Zusammenhänge wagt. Millner hat bereits in der Vergangenheit mit einer Serie zur DDR-Geschichte oder mit Stücken über Marianna Hoppe, Manfred Krug und Jurek Becker gezeigt, dass große Themen sie nicht schrecken. Und dass sich Dokumentartheater mit strenger Formgebung sehr gut verbinden lässt, wie sie mit ihrer Theatergruppe „Eleganz aus Reflex“ immer wieder demonstriert.
„Macht endlich das Licht an!“ erzählt – glücklicherweise! – nicht die Mythen über die Rothschilds nach, um sie anschließend nach dem Lehrbuch der Verschwörungstheorien zu dekonstruieren (eine Methode, die wenig Erfolg verspricht, weil sie den narrativen Gewinn solcher Märchen über dunkle Machenschaften nicht gerecht wird). Stattdessen erzählt der Abend eine andere Geschichte, die sich als weit spannender erweist und nicht darauf verzichtet, die Gesellschaft im Ganzen in den Blick zu nehmen. Die Regisseurin und Autorin Carolin Millner darf man sich merken. Mit „Was bleibt. Das Leben der Familie Cohn“ feiert ihr neues Stück Ende November 2024 in Dessau Premiere.
Source: welt.de