Luxus zwischen Krise und Aufbruch: Die letzte Bastion dieser italienischen Mode
Loro Piana, Valentino, Armani und Tod’s – das sind vier italienische Modehäuser, denen Staatsanwälte in jüngerer Zeit die Ausbeutung von Beschäftigten in Zulieferbetrieben in Italien vorgeworfen hat. Das Parlament in Rom debattiert daher über ein Lieferkettengesetz, das den Ruf des Labels „Made in Italy“ im Modebereich schützen soll. Während die Kritiker befürchten, dass das neue Gesetz die großen Namen vor juristischen Problemen mehr bewahren werde als sie zur Rechenschaft zu ziehen, erhoffen sich die Befürworter der Initiative mehr Verantwortungsbewusstsein der Luxushersteller für die Vorstufen der Endfertigung.

„Alles, was Richtung größere Sicherheit, Geradlinigkeit und Transparenz geht, begrüßen wir“, sagte der Prada -Vorstandsvorsitzende Andrea Guerra kürzlich anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Ausbildungs-Akademien im Werk Scandicci bei Florenz. Der Hersteller will die Debatte nutzen, um sich ins rechte Licht zu rücken. Denn Prada habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Alleine schon die traditionell hohe Fertigungstiefe, die mit vergleichsweise wenigen Zulieferern auskomme, sorge für eine korrekte Behandlung der Mitarbeiter, betonte der 37 Jahre alte Marketingchef Lorenzo Bertelli, der aus der Eigentümer-Familie Prada-Bertelli stammt. „Ich glaube, dass unsere Fertigungstiefe die höchste in der Branche ist“, fügte Guerra hinzu. Zahlen dazu liefert er jedoch nicht – aus Konkurrenzgründen, wie er sagt. Dabei beanspruchen mehrere Wettbewerber einen Spitzenplatz. Eine hohe Fertigungstiefe betont in Frankreich etwa gern Hermès, in Italien zudem auch Brunello Cucinelli oder Ermenegildo Zegna .
Prada will an Italien festhalten, auch mit der Ausbildung
Prada will auf jeden Fall seine Präsenz in Italien verstärken. In diesem Jahr investiert das Mailänder Unternehmen 60 Millionen Euro, um bei Arezzo ein Werk auszubauen und in Gubbio bei Perugia einen neuen Standort für Strickwaren zu errichten. Eine Lederfabrik entsteht bei Siena. Rund 200 Millionen Euro hat Prada von 2019 bis 2024 in seine industrielle Produktion investiert. Das betrifft auch die Vorstufen: Im letzten Jahr flossen 40 Millionen Euro in die Integration von Zulieferern. Prada beteiligte sich etwa an der Gruppe Rino Mastrotto, zu der verschiedene Lederverarbeiter gehören.
571 junge Leute erhielten zudem seit 2021 eine Ausbildung in den Prada-Akademien; von 25 Produktionsstandorten befinden sich nur zwei außerhalb Italiens. „Viele Manager machen es sich einfach und sagen: Das lassen wir produzieren“, sagte Bertelli. Prada aber habe die Eigenproduktion „im Blut“. Seitdem sein Vater Patrizio Bertelli in den Siebziger Jahren ins Unternehmen eintrat und später seine Mutter Miuccia Prada heiratete, präge den Hersteller eine Zweiteilung: Miuccia Prada kümmere sich ums Design; Patrizio Bertelli um die Produktion.
Luxusbranche hat mit Flaute zu kämpfen
Vorstandschef Guerra erinnerte daran, dass sich „die Lieferkette derzeit in der größten Krise der letzten 25 Jahre befindet“. In China lässt die Nachfrage nach, Handelskonflikte dämpfen das Geschäft, und manche stellen den Wert von Luxus generell infrage. Nur wenige hundert Meter entfernt traten in Scandicci vor einigen Wochen die Mitarbeiter der französischen Kering -Gruppe mit Marken wie Gucci, Saint-Laurent und Balenciaga zum ersten Mal seit dreißig Jahren in Streik, weil sie Personalabbau befürchten.
Prada will sich gegen die Krise durch Verbreiterung schützen. In diesen Tagen schließt der Konzern die größte Übernahme seiner Geschichte ab: Die von Versace für 1,25 Milliarden Euro. Die Integration, durch die sich der zum Versace-Chairman ernannte Lorenzo Bertelli bewähren soll, wird Kraft kosten, zumal es bei Versace nicht gut läuft und die Stile der Häuser sehr unterschiedlich sind. Daher sei in den kommenden drei Jahren keine weitere Übernahme zu erwarten, sagte Guerra.
„Eine lange und kostspielige Restrukturierung von Versace“ stelle ein Risiko für Prada-Aktionäre dar, meint der Analyst Chris Huang von UBS. Das Unternehmen habe zwar weiter einen guten Lauf, zumal die einstige Flaute der Prada-Marke überwunden sei und die Zweitmarke Miu Miu im vergangenen Jahr außerordentlich reüssierte. Huang glaubt an die „langfristige Strategie von Prada, Italiens Aggregator der Luxusbranche zu werden“. Doch vorsichtshalber hat der Analyst seine Empfehlung von Kaufen auf Neutral heruntergestuft. Seit Februar verlor die an der Börse von Hongkong notierte Prada-Aktie ein Drittel an Wert. Die Analysten von Bernstein sehen darin eine Kaufgelegenheit und stuften das Papier herauf. Guerra bezeichnete die Auswirkungen von Trumps Zöllen, die den Aktienmarkt belastet hatten, als „überwunden“. Er will die Kunden trotz Preissteigerungen von der Qualität der Produkte zu überzeugen.
Seine Herstellungsprozesse sieht Prada als Schlüssel zum Erfolg. In den Hallen von Scandicci werkeln die Arbeiter in sauberen weißen Kitteln auf blitzblanken grauen Böden. Gleißendes Neonlicht leuchtet die kleinsten Winkel aus. Die Botschaft lautet: „Sweatshops“ voller schwitzender Malocher sucht man hier vergeblich. Fast wähnte man sich in einem Reinraum der Halbleiter- oder Pharmaindustrie. Doch hier entstehen vermeintlich banale Handtaschen – freilich in einer Weise, dass sie die Kunden überzeugen, dafür je Stück mehrere tausend Euro auf den Ladentisch zu legen.
„Leder lebt, jedes Stück ist anders“
Zunächst misst ein Computer mit einem Laserstrahl ein Stück Kalbsleder so aus, dass Vier- und Rechtecke sowie gerundete Formen es optimal ausfüllen; minderwertige Stellen werden ausgelassen. Nachdem an der Schneidestation zwei automatische Messer das Leder entsprechend der Lasermarkierungen zugeschnitten haben, sticht eine lange Nähmaschine mit zwölf Nähköpfen vollautomatisch Garn in die Lederteile, um sie aneinander zu fügen. Frauen und Männer bekommen dann die entstehenden Handtaschen in ihre geübten Finger. Sie pressen mit einer Zange das Leder an Falten zusammen, beugen oder glätten es, beklopfen es mit einem Hammer oder pinseln Klebstoff auf die Ränder. Irgendwann kommen die Handtaschen auch an den Nähmaschinen des klassischen Typs an, besetzt mit jeweils einer Näherin. Diese führt weitere Fäden ein, knotet sie zusammen und schneidet die Reste ab. In einem Ofen wird das Leder schließlich getrocknet. Per Handarbeit gelangt danach auch das dreieckige Prada-Logo auf die Tasche, festgehalten mit vergoldeten Pins. Am letzten Tisch der Fußballfeldgroßen Halle packt eine Arbeiterin das Endprodukt in Papier ein.
„Leder lebt, und jedes Stück ist anders“, sagt der Ausbildungsleiter Daniele Eclizietta, „wir würden alles verlieren, wenn wir die Materialien einfache in eine Maschine steckten, und am Ende käme die fertige Tasche heraus“. Mit der aufwendigen Handarbeit lassen sich auch besser die hohen Preise rechtfertigen. Prada-Chef Guerra ist sich sicher: „Das Problem Italiens ist nicht das ‚Made‘ – die Fertigung – sondern der Verkauf und die Fähigkeit, eine Marke zu erzählen, zu vermarkten, und die Geschäfte überall auf der Welt gut zu führen“.
Die französischen Luxus-Konzerne sind der italienischen Konkurrenz da voraus. Sie konnten die Wettbewerber reihenweise aufkaufen und an der Börse ihre Kurse multiplizieren. Auch Prada kann da mit einer Marktbewertung von nur rund 15 Milliarden Euro bei einem geringen Free float von 20 Prozent des Kapitals nicht mithalten. Doch die Börse ist bei einem familienkontrollierten Unternehmen nur eine Seite der Medaille. Auf jeden Fall versucht Prada, die italienische Spitzenmode zu verteidigen – als quasi letzte Bastion südlich der Alpen; zumal derzeit niemand weiß, was nach dem Tod von Giorgio Armani aus seiner Hinterlassenschaft wird.