Lutz-Nachfolger: Deutschland sucht den Bahnchef

Die Deutsche Bahn braucht einen neuen Chef, nachdem vor fünf Wochen die geplante Trennung von Richard Lutz bekannt geworden ist. Am Montag, so hofft Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), werde er einen geeigneten Nachfolger – oder eine Nachfolgerin – für den noch amtierenden Vorstandsvorsitzenden Lutz präsentieren können, zusammen mit seiner neuen Strategie für den Staats­konzern und den Eisenbahnverkehr in Deutschland. „Sauber, sicher, pünktlich“, soll die Bahn wieder werden, so hat Schnieder Mitte August die Ziele auf der Pressekonferenz zur abrupten Demission von Lutz grob umrissen.

Dass das nicht alles sein kann, versteht sich von selbst. Die Erwartungen könnten kaum höher sein, so tief wie die Pünktlichkeitswerte des Staatskonzern in den vergangenen zwei Jahren gesunken sind. Verspätungen, Zugausfälle, kaputte Züge – die Mängelliste der Kunden ist lang. „Wir haben hier einen schwierigen Job für Dich“, so hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Ende der Neunzigerjahre Jahren dem mit allen Wassern gewaschenen Manager Hartmut Mehrdorn den Job des Bahnchefs angedient. „Da kannste nichts gewinnen.“

Gebraucht wird eine herausragende Persönlichkeit

Fast 30 Jahre später ist mit dieser knappen Beschreibung die Tätigkeit noch immer vortrefflich umrissen. Diesmal reicht aber kein Anruf, auch kein Handschlag, um handelseinig zu werden. Schnieder hat sich einen „formalisierten Prozess“ gewünscht, der von einer pro­fessionellen Personalberaterfirma organisiert wird. Im Auftrag von Aufsichtsratschef Werner Gatzer (SPD) suchen die Headhunter in aller Diskretion nach der Allzweckwaffe für den Staatskonzern.

Gebraucht wird eine herausragende Persönlichkeit vom Schlag eines erfahrenen Sanierers, durchsetzungsstark und gleichzeitig anpassungsfähig, schließlich muss sie sich in die fertige Bahnstrategie des Verkehrsministeriums einfügen können. Zudem muss der Kandidat bereit sein, für die Dauer der Amtszeit auf seinen Vornamen zu verzichten und fortwährend nur als „Bahnchef“ bezeichnet zu werden. Trotz des formalisierten Prozesses ist eine persönliche Verbundenheit zum Eigentümer, konkret also zu Schnieder, unerlässlich. Daran hatte es zuletzt gehapert. Kurz nach seiner Amtsübernahme hat der sonst eher zurückhaltende Politiker aus der Eifel schon „die Korsettstangen eingezogen“, wie er es gegenüber der F.A.Z. formulierte.

In selbstbewussten Managementkreisen kommen solche engen Vorgaben weniger gut an. In den Bewerbergesprächen soll deshalb dem Vernehmen nach das Gehalt eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Wichtiger war die Frage nach der verbleibenden Beinfreiheit. Dass das Gehalt gemessen an der Unternehmensgröße von mehr als 200.000 Beschäftigten eher mager ausfällt, entfaltet schon seit Jahren abschreckende Wirkung. Die Deutsche Bahn belegt zwar Platz 33 im F.A.Z.-Ranking der größten Unternehmen in Deutschland, allerdings liegt das Festgehalt des Vorstandsvorsitzenden mit 1,4 Millionen Euro im Jahr deutlich unter dem Branchenschnitt. Hinzu kommt der öffentliche Spott, wenn dann doch mal ein Bonus fließt – zuletzt 700.000 Euro.

Wer will sich das antun?

Dass der Suchauftrag höchst anspruchsvoll ist, ist in der Branche unbestritten. „Einen solchen Auftrag hätte ich nicht angenommen, obwohl mir die Bahn sehr am Herzen liegt“, sagte kürzlich Personalberater Heiner Thorborg der F.A.Z. „Weil ich mir nicht vorstellen kann, wer sich den Posten des Bahnchefs antun will.“ Es sei zwar eine tolle Aufgabe, die Bahn zu führen. Aber dem Konzern fehlten die unternehmerische Freiheit und der wirtschaftliche Sachverstand. Zudem werde der Bahnchef viel zu schlecht bezahlt.

Im Konzern schaut man gespannt auf den kommenden Montag – „wie das Kaninchen auf die Schlange“, so heißt es intern. Seit dem Regierungswechsel, spätestens aber seit der Korsettstangen-Episode im Mai sei der Konzern wie gelähmt. Dringend zu klärende Personalfragen bei der Tochtergesellschaft DB InfraGO liegen auf Eis, bis der „Neue“ an Bord ist. Neben der gefühlten Vakanz an der Spitze – Lutz ist offiziell noch im Amt, bis die Nachfolge geklärt ist – gibt es noch eine tatsächliche. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat schon im Mai Finanzchef Levin Holle als Abteilungsleiter in das Kanzleramt geholt. Auch dieser Posten muss neu besetzt werden.

Kukies oder Obermann werden es wohl nicht

Immer länger wird die Liste an Kandidaten, die den Job dem Vernehmen nach nicht haben wollten, theoretisch infrage kommen, aber nicht gefragt wurden oder deren Bewerberstatuts aus anderen Gründen unklar ist. Die Namen werden auf den einschlägigen Berliner Sommerfesten mit einer Mischung aus Lust am Klatsch und echter Besorgnis um die Zukunft des Bahnverkehrs in Deutschland umfassend erörtert.

Zum allgemeinen Branchenbedauern gehört der frühere Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) ebenso in die Kategorie wie der ehemalige Telekom-Chef René Obermann, zudem namhafte Bahnfachleute aus dem europäischen Ausland wie Peter Füglistaler oder Christian Kern, der als ehemaliger österreichischer Bahnchef und Kanzler eine besonders delikate Wahl gewesen wäre. Auch auf eine interne Lösung setzen nicht mehr viele, wobei in Evelyn Palla, im Konzernvorstand zuständig für den durchaus ordentlich dastehenden Regionalverkehr, eine ge­eignete Kandidatin gesehen wird.

Die interessierte Öffentlichkeit, bestehend aus Millionen frustrierten Bahnkunden, denkt indes in ganz anderen Kategorien. So mancher wünscht sich Hazel Brugger an die Spitze des Bahnkonzerns. Die Stand-up-Comedian mit Schweizer Pass wurde von ihrem Publikum ins Spiel gebracht – mit durchaus nachvollziehbaren Gründen: Humor und die exzellenten Erfahrungen mit der Schweizer Bahn könnten in der Pünktlichkeitskrise jedenfalls hilfreich sein.