„Live Stream“ im Fluentum: Die Kunst, sich neben Nazi-Architektur zu behaupten

Dort, wo sich die Nazis einst ein schickes Hauptquartier für die Reichsluftwaffe hinbauen ließen, mit Säulen, braunem Marmor und zu beschreitenden Treppen, vom Architekten Fritz Fuß entworfen, der, nachdem die Sowjets Berlin freibombten, sicherheitshalber gleich mal Selbstmord beging, da also befindet sich heute ein Privatmuseum, das sich vielleicht ein ganz klein wenig mehr an der späteren Geschichte des Gebäudes orientiert, als es zum Hauptquartier der US-Armee in Dahlem wurde und die Straße, an der es gelegen ist, unbenannt wurde zur Clayallee, um den US-Militärgouverneur General Lucius D. Clay zu ehren. Der hat nämlich die Luftbrücke initiiert und das ist ja eindeutig die schönere Geschichte.

Der Berliner Software-Unternehmer Markus Hannebauer hat das Gebäude 2016 gekauft und 2019 das Privatmuseum Fluentum eröffnet, wo in wechselnden Ausstellungen zum Beispiel Teile seiner Privatsammlung gezeigt werden, für die er sich vor allem auf Videokunst spezialisiert hat. Dazu gehören Werke von Hito Steyerl, Andreas Gursky und so weiter. Aber auch Neuproduktionen werden im Fluentum unterstützt und gezeigt.

Doch dieses Gebäude ist Fluch und Segen, denn wenn man eines über Nazi-Architektur sagen kann, dann, dass sie wirkungsvoll ist – und daneben und damit muss sich Kunst erst mal behaupten. Jetzt gerade und noch bis Ende Juli versucht das die Ausstellung Live Stream, die mit dem Ausstellungsort und „seinen Geschichten in Dialog treten“ möchte, wie es im Begleitheft heißt, und weiter: „Durch die Folie von künstlerischer Praxis wird die historische Architektur des ehemaligen Luftgaukommandos III und späteren US-Hauptquartiers aus klassizistischer Formensprache mit wuchtigem Naturstein zu einem breiten Feld aus Assoziationen.“ Und jetzt könnte man schon das Problem erahnen.

Geschichte ist mächtiger als Kunst

Ausgestellt werden ein Pikachu-Kuscheltier, das der Künstler Michael E. Smith als Readymade an der Eingangstür befestigt hat, eine Skulptur aus altem Baumaterial von Patricia L. Boyd, die von der Decke baumelt und zwar an Seilen „gehalten, die eine vorübergehende Stabilität suggerieren und gleichzeitig den Moment des Entgleisens (…) vorstellbar machen“. Auch ein Video über einen Grillwalker am Alexanderplatz von Nina Könnemann ist zu sehen. Außerdem ein Designersofa, das wie eine geöffnete Schachtel im Raum steht. Und Schuhsohlen in einem Eimer.

Und die im Begleitheft versprochenen Assoziationen bleiben merkwürdig blass. Weil man erst mal diesen Ort spüren muss, die Architektur bestaunen, den Schrecken imaginieren. Und da wird die Installation Floaters von Jason Hirata, für die er verschiedene Beamer geliehen hat, die aber alle nur den blauen Startbildschirm projzieren, niedergeschrien, von dem Ort, an dem sie gezeigt wird. Wirkt ähnlich frech wie ein Künstler, der ein leeres Blatt zeigt.

Eigentlich sollte es in diesem Text um Erwartungen gehen, die an die Kunst gestellt werden. Erleuchtung oder kleine Erkenntnis, Entertainment, Emotionen. All das wäre doch was. Passiert aber leider so selten. Oder wie der tolle Kunstkritiker Timo Feldhaus in der Berliner Zeitung schrieb, das womöglich größte Problem der zeitgenössischen Kunst sei, dass sie nicht so geil sei wie Fußball.

Aber vielleicht sind Erwartungen an Kunst auch immer etwas gemein. Und vielleicht sind Erwartungen auch immer das persönliche Problem der Betrachter. Vielleicht muss Kunst gar nichts.

Was man hier im Fluentum jedenfalls – auch von den ausgestellten Exponaten – lernen kann: Geschichte ist immer mächtiger als Kunst.

Laura Ewert ist Kunst-Kolumnistin für der Freitag. Sie schreibt als freie Autorin und Journalistin für Zeit, Monopol, Spiegel Online, Focus Magazin und viele andere. Als Kritikerin bespricht sie Kunst und Musik im Deutschlandradio oder Deutschlandfunk Kultur.