LGBTQI+-Rechte: Ungarn schreibt Geschlechterbinarität in Verfassung hold
In Ungarn können Menschen nach einer Verfassungsänderung durch das Parlament ausschließlich als Mann oder Frau definiert werden. Nonbinäre Menschen sollen demnach nicht als solche anerkannt werden. 140 Parlamentarier stimmten für den Änderungsantrag, den das vom rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geführte Regierungslager eingebracht hatte. Es gab 21 Gegenstimmen. Die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit kam demnach erwartungsgemäß zustande.
Während der Stimmabgabe gab es im Plenarsaal Proteste von Gegnern der Verfassungsänderung. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrieren zahlreiche Anhänger der Opposition. Menschenrechtsorganisationen forderten ein Verfahren der EU-Kommission gegen Ungarn, weil die Orbán-Regierung damit europäisches Recht missachte.
Viele Kritiker sehen Ungarn mit der Verfassungsänderung auf dem gleichen
Weg wie Russland, wo es ähnliche Restriktionen für homosexuelle, bisexuelle, trans und queere Menschen sowie andere sexuelle Minderheiten
(LGBTQI+) gibt.
Mit der Festlegung, dass das Geschlecht einer Person bei der Geburt ein
biologisches Merkmal sei und es nur zwei Geschlechter gebe, wird in der
Verfassung die Existenz von trans Personen und intersexuellen Menschen
ignoriert, die mit atypischen Geschlechtsmerkmalen geboren werden. Nach
Zahlen der Vereinten Nationen kommen 1,7 Prozent der Weltbevölkerung mit
intersexuellen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt, die nicht mit binären
Vorstellungen von männlich und weiblich übereinstimmen.
Bereits am 18. März hatte Ungarns Parlament im Eilverfahren die bisher alljährlichen Pride-Paraden verboten, bei denen Menschen für die Rechte nicht heterosexueller Lebensformen demonstrieren.
„Nationales Glaubensbekenntnis“
Es ist die 15. Änderung der nach den Vorstellungen Orbáns und seiner politischen Freunde 2011 neu eingeführten ungarischen Verfassung, deren Präambel den Titel Nationales Glaubensbekenntnis trägt. Seit Dezember 2020 besagt diese Verfassung zudem, dass eine Mutter nur eine Frau und ein Vater nur ein Mann sein könnten. Seit 2020 gilt zudem in Ungarn ein Gesetz, das es trans Personen unmöglich macht, amtlich ihr Geschlecht zu ändern.
Konkret wird durch den neuen Zusatz zur Verfassung unter anderem verankert, dass das Geschlecht einer Person bei der Geburt nur entweder männlich oder weiblich sein kann. Außerdem wird damit ein Verbot von Veranstaltungen wie der Pride-Parade in Budapest dauerhaft festgeschrieben. Zusätzlich ermöglicht die Änderung die zeitweise Aberkennung der ungarischen Staatsbürgerschaft, wenn die betroffene Person als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft wird. Möglich ist das allerdings nur bei Doppelstaatsbürgern, deren zweite Staatsbürgerschaft nicht die eines EU- oder EWR-Staates ist.
Orbán vergleicht Menschen mit Insekten
Orbán hatte zuletzt zunehmend energisch vor angeblich ausländischen Bestrebungen gewarnt, die Politik des Landes zu beeinflussen oder sogar seine Regierung zu stürzen. In einer auf Verschwörungstheorien basierenden Rede verglich der Ministerpräsident zuletzt Mitarbeiter von Bürgerrechtsgruppen und kritischen Medienhäusern mit Insekten und versprach, „die gesamte Schattenarmee“ der vom Ausland finanzierten „Politiker, Richter, Journalisten, Pseudo-NGOs und politischen Aktivisten“ zu beseitigen.
Der 15. Zusatz zur Verfassung, seit die Fidesz-KDNP-Koalition sie 2011 erarbeitete und beschloss, schafft zudem die rechtliche Grundlage für ein im März im Eilverfahren beschlossenes Gesetz, das das Abhalten von oder die Teilnahme an Veranstaltungen unter Strafe stellt, die gegen das umstrittene sogenannte Kinderschutzgesetz des Landes verstoßen, das die „Darstellung oder Propagierung“ von Homosexualität für Minderjährige unter 18 Jahren verbietet. Dieses Gesetz erlaubt es den Behörden auch, Personen, die an verbotenen Veranstaltungen wie der Budapester Pride-Parade teilnehmen, mithilfe von Gesichtserkennung zu identifizieren. Ihnen drohen Geldstrafen von bis zu 200.000 Forint (rund 490 Euro).
Einige Rechtsexperten sind der Ansicht, dass eine solche Einschränkung des Versammlungsrechts gegen die ungarische Verfassung verstößt. Um das Pride-Verbot damit in Einklang zu bringen, wird in der Novelle erklärt, dass das Recht der Kinder auf moralische, körperliche und geistige Entwicklung Vorrang vor allen anderen Grundrechten außer dem Recht auf Leben habe.
Die Organisatoren der Gegenproteste warfen Orbán vor, nicht den Schutz von Kindern im Sinn zu haben, sondern das Land in den Faschismus zu führen.