Leihgabe im Regierungszimmer: Wie kommt dasjenige Anselm-Kiefer-Bild ins Kanzler-Büro?
Es ist nicht unüblich, dass sich Politiker mit Kunst schmücken und sie zum Teil ihrer Selbstdarstellung machen. Barack Obama lieh sich 2014 beim New Yorker Whitney Museum für sein Büro im Oval Office zwei Werke von Edward Hopper aus, zu sehen war unter anderem die Holzhütte eines Postvorstehers auf Cape Cod. Der amerikanische Präsident hatte so beim Regieren das Leben der einfachen Leute im Blick und eine idyllische amerikanische Landschaft im Rücken.
Zum Amtsantritt von Donald Trump fragte das Weiße Haus im New Yorker Guggenheim Museum an, ob man van Goghs „Landschaft im Schnee“ bekommen könne. In Angela Merkels Amtssitz hingen lange zwei Leihgaben der Berliner Nationalgalerie, ein „Blumengarten“ von Emil Nolde und vom selben Maler ein Seestück von 1936, der „Brecher“. Als 2019 eine Ausstellung das Verhältnis von Nolde zum Nationalsozialismus und zu rassistischen Theorien untersuchte – es war, wie sich herausstellte, ein von Zustimmung und Begeisterung geprägtes Verhältnis –, wurden beide Bilder abgehängt und dem Museum zurückgegeben.
Stroh und Kohle
Allen Fällen gemein ist, dass Staatsoberhäupter die Kunstwerke, die sie zum Teil ihres öffentlichen Bildes machen möchten, in staatlichen Museen ausleihen. Dafür gibt es gute Gründe: Öffentliche Museen sind immer noch die Orte, an denen staatlich bezahlte Kuratoren und Experten jenseits von Marktinteressen und Kunstspekulation verhandeln sollen, in welchen Werken sich eine Gesellschaft spiegelt und über ihre Fragen und Werte verständigt.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hat in seinem Amtszimmer im Kanzleramt ein monumentales Kunstwerk hängen, ein Gemälde des deutschen Künstlers Anselm Kiefer. Es trägt den Titel „Des Herbstes Runengespinst“ und stammt aus einer Serie von Werken, die Kiefer als Hommage an Paul Celan verstanden wissen will und die, teilweise mit Stroh und Kohle kollagiert, verschneite Felder zeigen, auf denen halb abstrakte schwarze, dürre Dinger stehen, die entfernt an abgebrannte Weinreben, herumtanzende Runen und Panzersperren erinnern.
Kiefer hat einen enormen Erfolg als Staatskünstler. Sein Werk hängt nicht nur im Rücken von Friedrich Merz, auch Emmanuel Macron liebt sein Werk und beauftragte Kiefer mit Entwürfen fürs Pariser Pantheon; einen solchen Auftrag gab es zuletzt 1924. Was mögen Politiker so an Kiefer? Vielleicht erstens die Größe seiner Themen – deutsche Geschichte, Auschwitz, Mythen – und zweitens, dass niemand sonst so viele leicht erkennbare Symbole in einem Kunstwerk unterbekommt.
Gerade spätere Kiefer-Werke strotzen nur so vor Symbolik: Eine schrundig gemalte, semiabstrakte Landschaft ist zu uneindeutig, um die Schrecken des Krieges oder der menschlichen Natur darzustellen? Malt man noch einen Wachturm dazu. Noch nicht eindeutig genug? Kinderkleidung und Schuhe von Soldaten aus den Weltkriegen hineinkleben oder davorhängen – und damit man symbolisch ganz auf der sicheren Seite ist: ein deutlich lesbares Zitat von Paul Celan hineinschreiben (Kiefer hat in seinen Werken Celan so exzessiv zitiert, dass er sich mit Urheberrechtsbeschwerden auseinandersetzen musste).
So borgt sich das Kunstwerk Tiefe und Geheimnis bei anderen Künstlern und teilt seine Themen gleichzeitig mit einer wahlkampfredenhaft trommelnden Unmissverständlichkeit mit. Dass dabei die konkreten politischen Katastrophen, auf die Kiefer anspielt, und die Frage, wie es dazu kommen konnte, oft in Bildern einer allgemeinen dunklen Mythenwelt eingeweicht werden, stört Kiefer-Liebhaber nicht.

Es ist eine Frage, was Merz in Kiefers apokalyptisch karger Landschaft sehen mag: das Ende eines prosperierenden Landes in klimawandelinduzierter Dürre? Ein Europa, das sich auf einen neuen, nicht mehr so kalten Krieg einstellen muss? Oder doch vor allem die Erinnerung an die Abgründe der deutschen Geschichte – so werden Kiefers Arbeiten schon wegen ihrer überdeutlichen Referenzen an den jüdischen Dichter Celan ja gern interpretiert. Oder dient das Werk der Impulskontrolle eines Kanzlers, der mit seinen schnell rausgehauenen Sprachbildern öfter mal danebengreift?
Wem gehört das Bild?
Eine andere interessante Frage lautet, woher das Werk stammt und wie es überhaupt ins Kanzleramt kam. Diese Frage ist leichter zu beantworten: Das Werk ist nicht im Besitz eines öffentlichen Museums, sondern, wie der Sprecher der Bundesregierung auf Nachfrage gegenüber der F.A.S. mitteilte, eine Dauerleihgabe der privaten „Stiftung für Kunst und Kultur e. V.“ in Bonn, die der Kulturmanager Walter Smerling betreibt. Mit ihr habe das Kanzleramt einen „dauerhaften Leihvertrag“ abgeschlossen.
Warum lässt sich Merz nicht, wie seine Parteifreundin Merkel, von den Museumsleitern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beraten, etwa von der Berliner Nationalgalerie, die ebenfalls ein paar Kiefer-Werke aus der Sammlung Marx zu verleihen hätte, die demnächst in dem halbmilliardenteuren Museumsneubau am Berliner Kulturforum gezeigt werden soll? Dass die Stiftung einer im Kunstbetrieb tätigen Privatperson dem Bundeskanzler ein zentrales Repräsentationsbild leiht, sei aber keineswegs ein einmaliger Vorgang, betont das Kanzleramt: Auch Bundeskanzler Schröder habe „seinerzeit auf Herrn Smerling als Kunstexperten und Vermittler zugegriffen“.
Tatsächlich ist Walter Smerling in Kunst- und Politikerkreisen kein Unbekannter. Als er 2021 von der Stadt Berlin einen Vertrag für die Nutzung von zwei Hangars des Flughafens Tempelhof erhielt, um dort eine große Übersichtsausstellung mit dem Titel „Diversity United“ zu veranstalten, waren Schröders Parteifreunde schnell zu Diensten: Frank-Walter Steinmeier, inzwischen von Schröders Kanzleramtschef zum Bundespräsidenten aufgestiegen, übernahm die Schirmherrschaft der Ausstellung, für die Smerling als weitere Staatslenker Emmanuel Macron sowie Wladimir Putin angefragt hatte.
Das war ein paar Jahre nach der Annexion der Krim, zu einem Zeitpunkt, als Alexej Nawalnyj schon im Knast saß, aber das machte Putins Schirmherrschaft weder für Smerling noch für Steinmeier zum Problem. Aus heutiger Perspektive ist es kaum noch vorstellbar, wie beharrlich man sich damals darauf berief, dass Kultur Brücken bauen kann, auch über vergiftete Dissidenten hinüber.

Wo Smerling Kunst zeigt, sind Politiker nie weit. Als er 2009 in enger Zusammenarbeit mit dem Springer-Konzern im Berliner Gropiusbau die Ausstellung „60 Jahre – 60 Bilder“ eröffnete, gab das Bundesinnenministerium 100.000 Euro, und Angela Merkel hielt die Eröffnungsrede. Gezeigt wurde unter anderem Anselm Kiefer. Smerlings Stiftung will „an der Schnittstelle von Kultur, Politik und Wirtschaft“, wie es auf der Website heißt, „einen Gestaltungsanspruch formulieren“. Bei dieser Formulierung helfen ihm als Mitglieder des Stiftungsvorstands Jürgen Großmann, Ex-Boss des Energiekonzerns RWE, und der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, im Beirat sitzen der CDU-Politiker Ronald Pofalla und die Managerin Mayssoun Zein Al Din – eine Vertraute des ehemaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der Smerling mit dem Landesverdienstorden ehrte und auch zur Eröffnung von „Diversity United“ anreiste.
Vor Kunst wird Politik gemacht
Nach Recherchen der F.A.S. kam damals heraus, dass Smerling mit seiner Stiftung – in Zeiten des Mangels von Geld und Räumen für die Berliner Kunstszene – in Tempelhof nicht nur Kunst nach seinem Privatgeschmack ausstellen durfte, sondern dass ihm die SPD-geführte Landesregierung dafür auch noch Steuergelder in Millionenhöhe zur Verfügung gestellt hatte.
Smerling pflegte in der so mit SPD-Senatsgeldern bezuschussten „Diversity“-Schau auch seine Kontakte zu CDU-Größen, denen im echten Leben Diversity-Parolen eher ein Gräuel sind. Friedrich Merz bekam eine „Preview“-Führung, was Smerling am 21. Mai 2021 stolz auf Instagram postete. Auch in Duisburg ließ Merz sich bei einer Ausstellung im mit privaten Sammlerbeständen gefüllten Museum Küppersmühle sehen, wo Smerling als Direktor tätig ist.
Seine nächste große Ausstellung eröffnete Smerling in Leipzig. Es ging um die Geschichte der digitalen Kunst, und wieder kam es zum Aufmarsch von Spitzenpolitikern wie Sigmar Gabriel, dem ehemaligen Vizekanzler und Vorsitzenden der „Atlantik-Brücke“, und Wirtschaftsbossen. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer eröffnete die Ausstellung und sprach lobend darüber, wie hier „Menschen, die wirtschaftlich erfolgreich sind, der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen“.
Einer dieser Menschen war der in hellen Hosen und einer blauen Skijacke angereiste Hauptsponsor Alex Karp, der Chef des von Peter Thiel mitgegründeten Big-Data-Unternehmens Palantir. Palantir ist der Hersteller der Analysesoftware „Gotham“, die die Sicherheitsbehörden von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern bereits nutzen und die, wenn es nach dem Willen von Innenminister Dobrindt geht, jetzt bundesweit eingeführt werden soll, obwohl Kritiker befürchten, dass sich Deutschland damit von privaten Tech-Konzernen mit undurchsichtigen Praktiken abhängig mache und Grundrechte verletze. Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster hat sich für Palantir ausgesprochen. Sein Chef hat dank Smerling bereits einen schönen Vernissageabend mit Karp verbracht; vor Kunst wird Politik gemacht.

Auf Nachfrage will aber niemand irgendetwas getan haben, was man zumindest als intensives Networking bezeichnen müsste. Anfrage an Smerling: Hat er jetzt dem Kanzler einen Anselm Kiefer besorgt als „Dauerleihgabe“? Die überraschende Antwort von Smerling: „Schön wär’s – leider nicht.“ In einem Telefonat betont er nochmals, er habe nichts damit zu tun. Also kommt der Kiefer doch nicht von Smerling? Aus dem Kanzleramt heißt es auf erneute Nachfrage: „Der Leihvertrag wurde geschlossen zwischen dem Bundeskanzleramt und der Stiftung für Kunst und Kultur e. V., unterzeichnet durch den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Schauhoff.
Im Vorfeld der Anlieferung gab es eine Ortsbegehung mit dem Vorstand der Stiftung, Prof. Dr. Smerling. Das Bild wurde auch im Beisein von Prof. Smerling angeliefert und gehängt.“ Seltsam, dass Smerling dieses Detail offenbar entfallen war. Und wer ist eigentlich Eigentümer des Gemäldes? Antwort des Sprechers der Bundesregierung: Das sei dem Leihvertrag nicht zu entnehmen, „dazu müsste die Stiftung eine Antwort geben“. Auf Anfrage der F.A.S. meldet sich schließlich René Freund, Direktor der Stiftung, mit einer Antwort: „Die Stiftung für Kunst und Kultur e.V. ist Leihgeber der Arbeit ,Des Herbstes Runengespinst’ von Anselm Kiefer. Das Werk befindet sich in Privatbesitz.“ So hängt hinter Friedrich Merz nun an politikonographisch zentraler Stelle ein Werk, von dem selbst das Kanzleramt nicht genau sagen kann und die Stiftung nicht sagen will, wem es überhaupt gehört.
Mit dem Kran in den siebten Stock
Was man weiß, ist nur, dass die Dauerleihgabe an Friedrich Merz pünktlich zu dessen Amtsantritt im Kanzleramt eintraf, aber wegen der enormen Größe des Gemäldes nicht durchs Treppenhaus transportiert werden konnte – weswegen die Hausmeister des Kanzleramts den Kranführer eines für Reparaturarbeiten aufgebauten Krans baten, die Kiste mit dem Werk in den siebten Stock zu hieven.
Während die Gabe von Smerlings Stiftung an Friedrich Merz wie ein verrückt großes Geschenk noch hoch in der Luft am Kran vor dem Kanzleramt baumelte, arbeitete Walter Smerling bereits an einer neuen Idee: Zum 250. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit will er in Berlin eine große Ausstellung organisieren, die fragt, wie Amerikas Kunst Erbe und Gegenwart der Vereinigten Staaten reflektiert. Smerlings Wunschort ist der Flughafen Tempelhof – der Ort der Luftbrücke. Die Zeit drängt, man müsste idealerweise schon am 4. Juli 2026 eröffnen, wollte man den Anlass nicht verpassen.
Kulturpolitik im Herrenclub-Stil
Bald kursierten in Berlin Gerüchte, dass der Kulturstaatsminister, mit dem Smerling sich nach eigenem Bekunden traf, sich selbst Smerlings Idee angenommen habe und auf die neue Chefin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Marion Ackermann, zugegangen sei, um die Idee einer solchen Amerika-Schau zu besprechen – andere sagten, einen Ausstellungsort für Smerling klarzumachen. Dem „Tagesspiegel“ bestätigte Ackermann, dass der Kulturstaatsminister ein Gespräch mit ihr geführt habe. Aber hatte Weimer wirklich versucht, in die Planungsautonomie staatlicher Museen einzugreifen, um Ausstellungsideen eines privaten Kunstmanagers zu platzieren? Was ist dran an dem Gerücht, dass, wie Berichte suggerierten, Weimer „Ausstellungen dekretiert“ („Tagesspiegel“) oder sogar „in Deutschlands Museen hineinregiert“ („Der Spiegel“)?
Nach Informationen, die der F.A.S. vorliegen, gab es tatsächlich Gespräche zwischen Weimer und Smerling. Die Idee, eine Amerika-Schau einzurichten, sei auch „sexy“, der Standort Tempelhof „überzeugend“, sagt ein hochrangiger Berliner Kulturfunktionär gegenüber der F.A.S. Er sei enttäuscht, dass „keiner der Museumsleiter in Berlin auf dieses Datum und diese Idee gekommen“ sei. Nun kann ein Kulturstaatsminister mit allen möglichen Leuten über Ideen reden, auch mit einem privatwirtschaftlich agierenden Kunstmanager. Aber wenn dessen Stiftung gerade zuvor dem Kanzler ein riesiges Bild zukommen ließ, muss man damit rechnen, dass der Eindruck entsteht, es handele sich hier um ein System von Gabe und Gegengabe, und dass die neue Kulturpolitik von einem Herrenklub im Stil von Hinterzimmerdeals gemacht werde.
Der F.A.S. gegenüber erklärt Smerling, er werde seine Amerika-Ausstellung, für deren Vorbereitung er in den Vereinigten Staaten bereits Künstler traf, ohne jede öffentliche Unterstützung selbst finanzieren. Und er wolle sie in Tempelhof in Hangar 7 zeigen, allerdings wohl noch nicht im kommenden Jahr, weil er bis dahin die Gelder nicht zusammenbekomme. Leider, beklagt Smerling, seien auch aufgrund der negativen und falschen Vorberichterstattung in der Presse Sponsoren verunsichert worden, einige seien sogar abgesprungen. So bleibt die Präsenz der Bonner Stiftung in Berlin zunächst auf ein Winterbild im Kanzleramt beschränkt.
So aber wird die neue Kunst im Kanzleramt auch zum Bild für den Einfluss von Privatinteressen auf die Politik.
Source: faz.net