Lebensverhältnisse in Deutschland: Gleichwertiger, doch noch lange Zeit nicht gleich

„Ein Kompendium, wie es Deutschland geht“: So bezeichnete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den am Mittwoch veröffentlichten ersten „Gleichwertigkeitsbericht“ der Bundesregierung. Dieser bündelt zum einen Daten, wo die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte bezüglich 38 verschiedener Faktoren wie der Wirtschaftsleistung, der Arbeitslosigkeit, aber auch der Kinderbetreuung oder der Luftqualität stehen. Gegenübergestellt werden den Daten Umfrageergebnisse, wie die Bürger ihre persönlichen Lebensverhältnisse empfinden. Hintergrund des Berichts ist das im Grundgesetz verankerte Ziel „gleichwertiger Lebensverhältnisse“.

In 27 der 38 Kategorien gebe es eine Angleichung innerhalb Deutschlands, sagte Habeck. „Die Schere schließt sich.“ Er betonte, dass in den strukturschwachen – meist ländlichen – Regionen die Wirtschaft zuletzt stärker gewachsen sei als in den strukturstarken Ballungszentren und Großstädten. Ein Problem sei aber, dass in den strukturschwachen Regionen die Einwohnerzahl in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen werde. „Die Konzentration der Bevölkerung um die Zentren herum wird immer stärker.“ Unterschiede zwischen Realität und Wahrnehmung gebe es beispielsweise hinsichtlich der Kinderbetreuung: Das Angebot sei in den östlichen Bundesländern „super“, die Zufriedenheit aber nicht überall. Anders im Süden Deutschlands: Dort sei das Angebot teils nicht gut, aber die Zufriedenheit dennoch hoch.

19 Förderprogramme zur Verbesserung der Lebensverhältnisse mit 155.000 Einzelmaßnahmen gibt es laut Habeck. Die Treffsicherheit bezeichnete er als erstaunlich gut. Er nutzte die Vorstellung des Berichts zugleich, um für das „Dynamisierungspaket“ zu werben. Dieses soll zusammen mit dem Bundeshaushalt 2025 vorgestellt werden, möglichst noch in dieser Woche.

Weit vorangeschritten seien die Arbeiten, deutliche Impulse zu erwarten. „Es wäre schade, wenn das verzögert würde oder gar nicht käme“, warnte Habeck. Zum Stand der Haushaltsberatungen sagte er: „Wir müssen das Ding jetzt festnageln.“ Es dürfe „keine Vorfestlegungen“ geben. Ob sich dieser Appell vor allem an die FDP richtete, die ein Abweichen von der Schuldenbremse ablehnt, oder an die SPD, die Kürzungen im Sozialbereich ausschließt, ließ Habeck offen.

Habeck wirbt für das Beispiel Dänemark

Er nutzte die Pressekonferenz jedoch, um ein neues Verständnis des Begriffs „soziale Gerechtigkeit“ zu fordern. „Die Infrastruktur ist häufig viel bedeutsamer als wir es einschätzen für das Gerechtigkeitsgefühl im Land.“ Die politische Debatte kreise oft um den Mindestlohn, Zuschüsse und Transferleistungen des Staates. Eine große Bedeutung hätten aber auch Faktoren wie der Öffentliche Nahverkehr, ob es vor Ort Läden, Apotheken und Ärzte gebe. Habeck, der aus Norddeutschland kommt, verwies auf das Beispiel Dänemark.

„Die skandinavische Sozialpolitik geht von der Infrastruktur aus.“ Der gemeinsam genutzte Raum stehe dort im Vordergrund, von Radwegen über Spielplätze bis zu Schwimmbädern. „Da geht Geld rein“, sagte er. „Ob das ein probates Mittel gegen einen grassierenden Populismus ist, weiß ich nicht genau, aber es ist ein kluges Konzept.“

Auffällig in den Deutschlandkarten des mehr als 220 Seiten umfassenden Berichts ist, dass sich die befragten Bürger in vielen Landkreisen im Osten Deutschlands durchschnittlich oder überdurchschnittlich zufrieden mit ihrer persönlichen Lebenssituation zeigen, während sich im Süden Deutschlands auch etliche Flecken mit unterdurchschnittlicher Zufriedenheit finden. Als besonders wichtig für ihre Lebensqualität nennen die Menschen die Gesundheitsversorgung, bezahlbaren Wohnraum sowie die Sicherheit vor Kriminalität. Innenministerin Nancy Faeser (SPD), deren Haus an dem Bericht mitgearbeitet hat, verwies zum Thema Wohnungsmarkt auf die schwierigen Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre wie gestiegene Zinsen und Baukosten. „Wir haben es trotzdem geschafft, für 300.000 neue Wohnungen zu sorgen.“

Der Gleichwertigkeitsbericht soll jetzt in Dialogformaten mit Bürgern vor Ort diskutiert werden, Förderprogramme sollen je nach Bedarf angepasst werden. Mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sagte Habeck, dass wegen der Erfahrungen nach der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands Veränderungen eher als Bedrohung des erarbeiteten Wohlstands erlebt würden. Er betonte aber, dass wegen der gestiegenen Löhne und gesunkenen Inflation die verfügbaren Einkommen wieder wüchsen. „Seit dem Jahreswechsel haben die Deutschen wieder mehr Geld im Portemonnaie.“