Leben denn Partisanin: Ein Frühlingstag irgendwo in Belarus

Die „10 nach 8“-Redaktion veröffentlicht an dieser
Stelle in unregelmäßigen Abständen Beiträge von Frauen, die in Krisengebieten
und Diktaturen leben. Die Beiträge entstehen teils unter äußerst schwierigen
Bedingungen, manche können zum Schutz der Autorinnen nur unter Wahrung ihrer
Anonymität publiziert werden. Daher erscheinen einige dieser Texte auch –
anders als üblich bei „10 nach 8“ – weder mit einem Foto noch einer
Kurzvita der Verfasserinnen. In diesem Fall ist der Name der belarussischen
Autorin, die hier über ihren Alltag berichtet, ein Pseudonym, der Name der
Übersetzerin kann aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden. Die
„10 nach 8“-Redaktion kennt Autorin und Übersetzerin aus persönlichen
Kontakten und Arbeitsbeziehungen ihrer Netzwerke. 

Aufstehen! Kaffee, Fitness, ich gehe zum Markt. Im Frühling sind nur wenige Autos im Hof. Alle Nachbarn
sind auf ihren Datschen. Es ist praktisch, um den Überblick zu behalten. So
lässt sich leichter beobachten, ob ein sich unauffällig gebender Geely
mit den üblichen zwei Männern um die Dreißig vor dem Eingang steht. Vor den
Sanktionen fuhren sie Skoda, jetzt dieses chinesische Modell in unauffälliger
Farbe.

Kein Auto in Sicht. Also gehe ich
raus. Die Sonne scheint. Die rot-grünen Staatsfahnen sehen wie Lappen aus. Wieso sehe ich keine Polizisten? Ach ja, heute ist ja
Samstag. Nanu! Die Jabatki [Anhänger des Präsidenten, deutsche Übersetzung] haben ein Blumenbeet in der Form des Umrisses von Belarus angelegt. Morgen werden sie
hier wohl rote Blumen pflanzen und das Beet mit einem Schild versehen, damit es aus dem Weltall zu sehen ist.

Ich erreiche den Markt, finde den
Stand mit dem handgemachten Sauerteigbrot.

Hallöchen.
Dürfte ich ein halbes Brot haben?

Da gibt es nichts zu schneiden, nehmen
Sie doch das Ganze. Nur fünf Rubel.

Wie könnte
ich mit einem belarussischsprachigen Bäcker streiten, der den Tisch mit einer
rot-weißen Tischdecke dekoriert hat?

Okay, ich nehme es.

Sie sind die erste Käuferin heute. Bringen Sie Glück?

Je nachdem. Ich kann auch das
Gegenteil bringen, wenn es um einen Feind geht.

Dann tun Sie es doch!

Tja, wie kommt man denn dazu?

Ja, das Ungeheuer ist
unerreichbar. 

Danke. Einen schönen Tag noch! 

Ebenfalls! Bis dann.

Ich
laufe weiter zum Eierverkäufer.

Hallöchen, wie geht’s?

Es geht so. Ich bin Einzelunternehmer. Halb lebendig, halb tot. Der Druck lässt nicht nach.

Ich weiß. Es ist ein Wunder, dass ihr
noch nicht komplett aufgegeben habt. Ich hätte gern zwei Zehnerpackungen Eier.
Die bemalten, bitte.

Gehen Sie in die Kirche?

Nee, zu den Z-Patrioten gehe ich
nicht. Ich lasse sie mir
durch einen Aufständischen weihen. 

Er
lacht.

Fertig mit den Einkäufen. Laufe nach Hause, checke die Nachrichten,
packe ein und beeile mich, um zu einem Kumpel zu kommen, der ohne Pass in einem
Versteck auf seine Schleusung ins Ausland wartet. 

Ich steige aus dem Trolleybus aus.
Verdecke mein Gesicht mit Kappe und Brille. Handy ist auf Flugmodus gestellt.
Ich checke die Situation in der näheren Umgebung. Alles scheint sicher, ich
tippe den Code, gehe durch die Haustür, horche. Es ist still, ich mache das
vereinbarte Klopfzeichen an der Wohnungstür. Werde begrüßt und übergebe
Osterkuchen und Eier. „Hier hast du was zu essen für morgen. Was, wenn wir das
nächste Ostern in einem freien Belarus feiern dürfen? Was, wenn ein Wunder
geschieht?“