Lea Ypi: Was ist Freiheit?

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 50/2024.

Im Frühjahr 2020 sitzt Lea Ypi in einer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf und schreibt an einem Buch, das sie wenig später berühmt machen wird. Sie sitzt nicht am Schreibtisch, sie sitzt in einem Schrank, einem stabilen Kleiderschrank, den man von innen verschließen kann.

Es ist das erste Jahr der Coronapandemie, und Ypi, die eigentlich in London lebt, ist gerade für einen Forschungsaufenthalt nach Berlin gezogen, mitsamt ihrer Familie. Draußen breitet sich das Virus aus, Bibliotheken, Schulen und Kindergärten schließen. Drinnen toben Ypis Kinder in der Wohnung herum: ein Mädchen und zwei Jungs, damals zwei, vier und neun Jahre alt. Der Schrank sei der einzige Ort gewesen, an dem sie ungestört habe schreiben können, sagt Ypi heute. Ein dunkler Verschlag, so eng, dass sie sich kaum habe bewegen können. „So ungefähr müssen sich die Menschen in Platons Höhle gefühlt haben“, sagt sie und lacht.