Langlebigkeit: Ist denn ein langes Leben gut?
DIE ZEIT: Sie sind nun 77 Jahre alt – ein Alter, das die allermeisten Menschen bis in die 1950er-Jahre gar nicht erreichen konnten. Was bedeutet das lange Leben für Sie?
Dipesh Chakrabarty: Als ich in Indien geboren wurde, gab es zwar bei uns zu Hause schon Strom, doch in Teilen meiner Familie gab es noch keinen. Meine Großeltern hatten 15 Kinder, sieben von ihnen sind gestorben, und meine Großmutter war sicher, dass die Toten sie besuchen kamen, um mit ihr zu sprechen. Nachts war es so dunkel, dass die Menschen Geister fürchteten. Ich wuchs in einer ländlichen Gegend auf, in der Füchse und Schlangen lebten, sie verschwanden mit der Verstädterung. Ich habe den Übergang von der Vormoderne zum gegenwärtigen Energiehunger am eigenen Leibe erlebt. Er hat sich während meiner Lebenszeit vollzogen. Wenn ich heute meinen Studenten erzähle, dass der Philosoph Martin Heidegger sein Hauptwerk ein Jahr vor der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 schrieb, können sie sich das nicht vorstellen. Es war kurz vor den Antibiotika, dass er über das menschliche Leben zum Tode philosophiert hat. Seither sind die Chancen auf ein längeres Leben drastisch gestiegen. Und über Vergänglichkeit denken wir aufgrund des Klimawandels erst seit Kurzem neu nach.