Lage in Putins Reich: Russlands Wirtschaft drohen Jahre jener Stagnation

Diese Woche hat Wladimir Putin wieder einmal den Zustand der russischen Wirtschaft schöngeredet. Der Präsident trat auf dem Forum „Russland ruft!“ auf, das ausländische Investoren anwerben soll. Während Putins Rede vor einem asiatisch geprägten Publikum warteten im Kreml schon Emissäre des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, um über ein Ende des Krieges in der Ukraine zu verhandeln. Doch Putin ließ sich Zeit, sprach ausführlich über die stabile Wirtschaft, die mit dem „Druck von außen“ erfolgreich zurechtkomme. Danach drohte er vor seinem Medienpulk noch Europa, zu einem Krieg „bereit“ zu sein, und traf mit mehr als zwei Stunden Verspätung im Kreml ein.
Durch solche Reden, aber auch durch Reisen wie die Ende dieser Woche nach Indien will Putin die Botschaft nach Washington senden, dass sein Land wirtschaftlich nicht auf ein Ende des Krieges und auch nicht auf den Westen angewiesen sei. Gleichzeitig will er Trump mit vermeintlich lukrativen Angeboten für einen Deal zu Russlands Bedingungen gewinnen: So wirbt Putins eigener Emissär, der Chef des Staatsfonds RDIF, Kirill Dmitrijew, schon das ganze Jahr über für Vorhaben, die teils grotesk anmuten wie der Bau eines „Trump-Putin-Tunnels“ zwischen dem abgelegenen und schwer zu erreichenden Gebiet Tschukotka im äußersten Nordosten Russlands und Alaska. Trump nannte die Idee „interessant“.
Düstere Aussichten
In Wahrheit ist die Lage der russischen Wirtschaft deutlich schlechter, als Putin sie darstellt. Und die Aussichten sind düster. Selbst ein Einfrieren des Angriffskriegs und eine Lockerung der Sanktionen dürften nach Meinung von Fachleuten keinen schnellen Aufschwung bringen. In diesem Jahr soll das Wachstum nur noch 0,5 bis ein Prozent betragen. Putin bezeichnet das als „weiche Landung“ nach zwei Jahren Überhitzung. Doch Fachleute sehen die Krise schon in vollem Gang.
Etwa Alexandra Prokopenko, Expertin für die russische Wirtschaft bei der Denkfabrik Carnegie und frühere Beraterin der russischen Zentralbank. Die Wirtschaft breche zwar nicht ein, aber sie stagniere und sei nicht ausbalanciert, sagt sie der F.A.Z. Die Ausgaben für Rüstungssektor und Militär liegen bei sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch im nächsten Jahr sollen sie nur minimal sinken. Das viele Geld, das in die Waffenfabriken und an die Soldaten geht, hat nicht nur die Löhne, sondern auch die Inflation steigen lassen. Zuletzt stiegen die Preise zwar deutlich langsamer, und die Teuerungsrate lag nur noch bei 6,6 Prozent, doch die Inflationserwartungen sind etwa doppelt so hoch. Deshalb hält die Zentralbank den Leitzins immer noch bei 16,5 Prozent.
Das stürzt immer mehr zivile Unternehmen in Probleme, ihre Schulden zu bedienen. Im November schätzte die Zentralbank, rund zwei Drittel der Schulden der größten russischen Unternehmen seien bereits „schwer oder unmöglich“ zu bedienen. Selbst die Rüstungsindustrie wächst kaum noch, weil die Produktion an ihre Grenzen gelangt ist.
Dann sind auch noch die Einnahmen aus den Öl- und Gasverkäufen in diesem Jahr um rund 20 Prozent eingebrochen, weil die Preise niedrig lagen, der Rubel stark war und die Sanktionen wirkten. Im kommenden Jahr wird ein Öl-Überangebot auf dem Weltmarkt erwartet, was für Russland keine gute Nachricht ist.
Wachstum der Vorjahre scheint ausgeschlossen
Doch ist die Lage weiter nicht ernst genug, um ein Einlenken Putins herauszufordern. Noch immer ist Russland mit etwa 20 Prozent des BIP im internationalen Vergleich kaum verschuldet. Das Haushaltsdefizit können die heimischen Banken auffangen, auch wenn die Tilgung der Anleihen teurer wird. Zugleich werden Steuern, Abgaben und Strafen erhöht, also Bürger und vor allem mittlere und kleine Unternehmen weiter belastet. So könne Putin noch mindestens ein Jahr die Rüstungsausgaben auf dem aktuellen Niveau halten, sagt Prokopenko. Andere Fachleute gehen von einem noch längeren Zeitraum aus. Doch ein Wachstum wie in den vergangenen beiden Jahren, als die auf Hochbetrieb laufende Rüstungsindustrie jeweils ein Plus von etwa vier Prozent bewirkte, scheint ausgeschlossen. Eine „Stagnation, die zur neuen Normalität werden dürfte“, erwarten drei exilrussische Ökonomen in einem aktuellen Bericht für die Denkfabrik Center for Analysis and Strategies in Europe (CASE). Die Ökonomen nehmen an, dass es im Laufe der kommenden zehn Jahre zu einem Ende der Kämpfe in der Ukraine kommt. Das ändere nichts an den schlechten Aussichten. Ein Nachkriegsboom sei nicht zu erwarten.
Die Autoren halten es wie viele andere Fachleute für wahrscheinlich, dass die Rüstungsausgaben auch nach einer Beendigung des Konflikts nur nach und nach sinken. Zwar sei möglich, dass sich viele Russen dann neue, hochwertige Autos kaufen wollten oder Haushaltsgeräte. Das würde aber nur die Importe stärken und kein Wachstum anstoßen.
Für einen Aufschwung wären Investitionen von außen nötig. China hat entgegen allen Hoffnungen des Kremls die Lücke nicht gefüllt, die der Verlust des wichtigsten Wirtschaftspartners Europa gerissen hat. Mit Direktinvestitionen halten sich chinesische Unternehmen zurück. Sie liefern zwar Mikrochips und Bauteile für Drohnen, aber kein Kapital, Wissen oder Hochtechnologie. Ein Lockern der Sanktionen könnte zwar helfen, wieder leichter an Geräte und Ersatzteile zu kommen. Zusätzliche Kosten würden wegfallen, etwa für die „Schattenflotte“, längere Transportwege oder komplizierte Zahlungsmechanismen. Doch das „Stigma“ der Sanktionen werde auch nach ihrer Aufhebung bleiben und Investoren abschrecken, sagt Prokopenko.
Dabei schien es in den vergangenen Monaten, als wartete Amerikas Geschäftswelt ungeduldig auf eine Möglichkeit zur Rückkehr. So wurde berichtet, die Führung des Energiekonzerns Exxon Mobile habe in geheimen Gesprächen mit dem staatlich kontrollierten Rosneft -Konzern Möglichkeiten eines Wiedereintritts in das vielversprechende Öl- und Gasprojekt Sachalin-1 ausgelotet. Das „Wall Street Journal“ listete kürzlich eine Reihe ähnlicher Annäherungen auf: Geschäftsleute und Putin-Vertraute wie Gennadij Timtschenko, Jurij Kowaltschuk oder die Rotenberg-Brüder hätten den Amerikanern Angebote über gemeinsame Energieprojekte und im Bereich Seltener Erden gemacht. Meist liegen die unerschlossenen Felder aber in der Arktis, was ihre Ausbeutung teuer und aufwendig macht und Russland ohne ausländische Hilfe nicht schaffen würde.
Sergej Alexaschenko, einer der Autoren des CASE-Berichts, Experte der Denkfabrik New Eurasian Strategies Centre und in den Neunzigerjahren stellvertretender russischer Finanzminister, nennt solche Ideen Teil von „Putins Reklame“. Wenn es etwa um die Förderung von Öl oder Seltenen Erden in der Arktis gehe, sei jedem Energiekonzern klar, dass solche Projekte sich nur bei einem Ölpreis von mindestens 150 Dollar lohnten, weshalb das derzeit keiner machen werde, sagt er der F.A.Z. Die Einschätzung könne sich ändern, wenn die Amerikaner nicht ihr eigenes Geld investieren müssten – sondern, wie in Trumps 28-Punkte-Plan vorgesehen, die in der EU eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank. Doch dass Investoren in großem Stil zurückkehren, glaubt auch Alexaschenko nicht. Viele westliche Geschäftsleute mussten ihre Vermögenswerte seit 2022 abschreiben oder zu Niedrigpreisen verkaufen. Weiterhin werden russischen und ausländischen Unternehmern ihre Betriebe unter fragwürdigen juristischen Vorwürfen abgenommen. Alexaschenko geht für die Zeit nach einem hypothetischen Kriegsende von einer großen Zahl von Klagen und Verfahren aus. Bis diese beigelegt seien, bleibe das „Investitionsrisiko sehr hoch“.