Kunstpodcast: Ist dies ein Witz oder ist dies Kunst?


In seinem Kunstwerk „Him“ zeigt Maurizio Cattelan den um Vergebung bittenden Hitler.

In Augen zu, dem Podcast von ZEIT und ZEIT ONLINE, geht es das erste Mal um einen lebenden Künstler: den italienischen Konzeptkünstler Maurizio Catellan, der im Jahre 1960 in Padua geboren wurde. Es gibt kaum einen Künstler, auf dessen Aktionen von Anfang an mit genauso viel Staunen wie Empörung reagiert wurde.  Seine Satiren segeln immer scharf entlang an den Grenzen des Geschmacks, der Moral und des Humors. 

Weltberühmt sind vor allem zwei Werke von ihm, beide zeigen lebensechte Wachsfiguren historischer Figuren in einer verstörenden Situation: Im Jahre 1999 entstand Die neunte Stunde – sie zeigt den von einem Meteoriten getroffenen Papst Johannes Paul II. und 2002 schuf Catellan Him, ein auf den Knien um Verzeihung bittender Adolf Hitler. Beide Werke gelang etwas, was in der Gegenwart zeitgenössischer Kunst eigentlich kaum noch gelingt: Tabus zu verletzen. Wie kann der Papst der Stellvertreter Gottes auf Erden sein, wenn er nicht weiß, dass er von einem Meteoriten getroffen wird? Und darf man Adolf Hitler als Wachsfigur nachbilden und dann noch in einer Haltung, die ihn um Vergebung bitten lässt?

In diesen wie in sehr vielen anderen seiner Werke spürt man Catellans Herkunft und dauernde Auseinandersetzung mit dem katholischen Glauben. Die Fragen, die er mit seiner Kunst stellt, berühren die Grundfesten des Christentums – allerdings, ohne sie einzustürzen. Denn obwohl der Papst vom Meteoriten getroffen wurde, reckt er mit seinen Händen das Kreuz in die Höhe – und der Titel Die neunte Stunde ist eine Anspielung auf die neunte Stunde, in der Jesus Christus gestorben ist. Und auch mit der Frage, ob nicht auch Adolf Hitler, der Verkörperung des Bösen, von Gott verziehen werden müsste in einem strengen Verständnis von Vergebung, trotz der Abermillionen Toten, die er auf dem Gewissen hat, hat Catellan jenseits aller Provokation eine theologische Diskussion angestoßen.


So überrascht es nicht, dass ausgerechnet er in diesem Sommer auf Einladung des Vatikans ein Kunstwerk auf der Biennale in Venedig ausstellt. Und auch in Stockholm, im Moderna Museet, ist gerade eine große Retrospektive seiner Kunst zu sehen (bis zum 12. Januar 2025). Nach einer großen Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum, als er alle seine je geschaffenen Werke wie Requisiten seines Lebens von der Decke baumeln ließ, hatte Catellan angekündigt, nie wieder ein Kunstwerk zu schaffen. Natürlich hat er sich daran nicht gehalten. Aber Florian Illies und Giovanni di Lorenzo sind sich in dem Podcast Augen zu einig: Wir sollten ihm dankbar dafür sein.

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